Libyens Premier über Flüchtlinge: „Würden Rückführungen stattfinden, würden sie sich sehr genau überlegen, ob sie kommen wollen“
Die Fluchtbewegung von Afrika über das Mittelmeer gewinnt immer mehr an Bedeutung und damit auch die Zahl derer, die auf der zentralen Route von Libyen nach Italien sterben. In diesen Jahren nahmen bereits 22 000 Menschen die Fahrt über das Meer auf sich, offiziell kamen dabei rund 600 Menschen ums Leben.
Nun will die EU die Grenzen des europäischen Transitlandes besser schützen – dafür muss sie mit der libyschen Regierung zusammenarbeiten. Hier gibt es seit dem Sturz von Gaddafi im Jahr 2011 eine UNO-unterstützte Regierung der nationalen Einheit unter Fajis al-Sarradsch – doch nicht alle Teile des Landes unterwerfen sich der Kontrolle dieser Regierung.
„BILD“ traf den libyschen Ministerpräsidenten, um mit ihm über die Lage im Land und die Flüchtlingssituation zu sprechen.
Auf die Frage nach einem neuen Zustrom von afrikanischen Flüchtlingen antwortete er: „Wir gehen von Tausenden aus, die sich allein in diesen Tagen auf den Weg machen.“ Das Schlepper-Geschäft für die kriminellen Banden sei florierend.
Bisher erfüllte Europa die Forderungen Libyens nicht
Gleichzeitig kritisiert er Europa, das bisher nicht geholfen, sondern nur leere Versprechungen abgegeben habe. Libyens Forderungen seien bisher nicht erfüllt worden.
Gefordert habe Al-Sarradsch mehr fachliche Hilfe zum Schützen und Kontrollieren der Küsten. Das bedeute, eine bessere Ausbildung der Küstenwache, Satelliten, ein elektronisches Beobachtungssystem der Grenzen und personelle Hilfe.
Weiter erwarte der libysche Ministerpräsident eine Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft, um das Land zu stabilisieren. Sicherheitslücken und eine unstabile politische und wirtschaftliche Lage dienten dem Schleusergeschäft.
Doch wie können die Küsten überhaupt kontrolliert werden, wenn verschiedene Milizen teile des Landes für sich beanspruchen? Können nur internationale Truppen die Lage stabilisieren und die Schlepper stoppen?
Al-Sarradsch verweist erneut auf die internationale Gemeinschaft, die Libyen so lange im Stich gelassen habe. Jetzt werde das hoffentlich anders. Allerdings sei es unmöglich, Bodentruppen aus anderen Ländern in Libyen zu stationieren.
Ob im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nach Libyen zurück gebracht werden könnten, verneint Al-Sarradsch. Da es keine Libyer seien, müsse sich Europa selbst um die Rückführung in die jeweiligen Heimatländer kümmern. Würde diese Rückführung tatsächlich stattfinden, würden die Leute sich genauer überlegen, ob sie nach Europa kommen wollen, meint er.
Diesbezüglich ist für ihn auch der Einsatz der vielen Rettungsorganisationen vor Libyen fraglich. Die Flüchtlinge wüssten von den Booten und auch, dass sie mit dem Erreichen eines der Boote ihr Ziel erreicht haben. Europa müsse darüber nachdenken. (mcd)
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