Wasserstoff im „Deutschlandtempo“: Scholz will noch mehr Gas geben

Die nötigen Beschlüsse zur Errichtung eines deutschen Wasserstoff-„Kernnetzes“ sollen noch im Laufe des Jahres 2023 fallen – so will es Bundeskanzler Olaf Scholz. Trotz „Deutschlandtempo“ wird es aber wohl noch Jahre dauern, bis Industrie, Verkehr und Haushalte den Kraftstoff breitflächig nutzen können.
Titelbild
Das Symbolbild zeigt ein Zwischenstück einer Wasserstoffleitungsanlage.Foto: iStock
Von 16. Juni 2023

Nach dem Ausfall von günstigem Gas aus Russland will die deutsche Bundesregierung möglichst in Windeseile neue Standbeine für die langfristig „klimaneutrale“ Energieversorgung der Industrienation aufbauen. Auch Wasserstoff soll künftig eine größere Rolle im Energiemix spielen – besonders in den Bereichen Industrie und Straßenverkehr.

„Ein großes wirtschaftliches Projekt“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) in Berlin am 15. Juni mit Vertretern der Länder vereinbart, „die notwendigen Entscheidungen“ für ein künftiges Wasserstoff-„Kernnetz“ noch im Laufe des Jahres 2023 zu treffen. Unternehmen müssten schnell in die Lage versetzt werden, sich für Wasserstoff zu entscheiden. Dafür müssten sie aber Vertrauen schöpfen und „wissen, sie werden ihn haben, wenn sie ihn brauchen“, zitiert ihn die „Zeit“. Insgesamt handele es sich um „ein großes wirtschaftliches Projekt.“

Deshalb sei nun auch beim Thema Wasserstoff das „Deutschlandtempo“ angesagt. Den Begriff hatte Scholz erstmals bemüht, als es um den Ausbau der LNG-Terminals gegangen war. Künftig müsse das „Deutschlandtempo für alles“ gelten, bekräftigte Scholz. Alle Beteiligten hätten ihren „gemeinsamen Willen“ erklärt, generell mehr Tempo für den Ausbau erneuerbarer Energien zu machen.

Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte Ende Mai angekündigt, erste „wichtige Wasserstoff-Infrastrukturen“ bis spätestens 2032 in Betrieb nehmen zu wollen. Experten gehen davon aus, dass jährlich mindestens 1,5 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff benötigt werden. Auch hier wäre Deutschland auf Importe angewiesen – beispielsweise aus Norwegen, den USA, Spanien, Australien, Chile, Marokko, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder der Ukraine.

Abstimmungen zwischen Bund und Ländern: „Deutschlandtempo“ eher langsam

Offensichtlich aber mahlen die Mühlen zwischen Bund und Ländern langsamer, als es das Wort „Deutschlandtempo“ suggeriert: Auf der MPK wurde nach Angaben der „Zeit“ ein „gemeinsamer Monitoringprozess“ zwischen Bund und Ländern vereinbart. Als Nächstes müsse „zügig“ eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, habe der Kanzler erklärt. Und erst danach seien konkrete Beschlüsse zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu treffen.

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) habe zudem bestätigt, dass man erst „nach der Sommerpause“ mit der gemeinsamen Suche nach einem Termin beginnen werde, an dem ein „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“ offiziell besiegelt werden soll. Eine solche gegenseitige Verpflichtung zu schließen, sei schon im September 2022 vereinbart worden, schreibt die „Zeit“.

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, habe sich wie alle anderen auch für eine „flottere“ Gangart für die „Planungsbeschleunigung“ ausgesprochen. Darüber wolle man aber erst auf einer noch einzuberufenden „Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz“ mit Bundeskanzler Scholz reden.

Wie ist Ihre Bereitschaft zu Klima-Einschränkungen? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil:

„Windrad vorm Wohnzimmer und hohe Stromrechnung im Briefkasten“

Und bei welchem Treffen und zu welchem Termin auch immer abschließend darüber verhandelt werden wird: Die Frage, wer welche Kosten des Netzausbaus für „erneuerbare Energien“ tragen wird, steht nach wie vor im Raum.

Nach Angaben der „Zeit“ sehen sich zehn der 16 Bundesländer hier im Nachteil, nämlich Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Sie hätten mit einer gemeinsamen „Protokollerklärung“ zum offiziellen MPK-Beschluss bekräftigt, „faire Netzentgelte“ kassieren zu wollen.

Derzeit sei die Situation so, dass die Bürger in jenen Regionen, die stark ausgebaut seien, mit höheren Stromrechnungen belastet würden als Bürger in weniger gut erschlossenen Landstrichen: „In Brandenburg haben viele das Windrad vor dem Wohnzimmer und die hohe Stromrechnung im Briefkasten“, zitiert die „Zeit“ den dortigen Regierungschef Dietmar Woidke (SPD).

 Überregionales Versorgungsnetz

Um die Wasserstoffinfrastruktur zu stützen, will Deutschland perspektivisch LNG-Terminals umrüsten, deren Ausbau derzeit noch die Erdgasversorgung sichern soll. Nach früheren Bekundungen des Kanzlers sollen solche „Wasserstoff-ready“-Gaskraftwerke als künftige Grundlastkraftwerke dienen, die „Flautesituationen ausgleichen“ können sollen. „In den Dreißiger Jahren müssen alle diese vielen Kraftwerke gebaut sein und ihren Beitrag zur Energiesicherheit in Deutschland gewährleisten“, hatte Scholz am 23. Mai bei einem Treffen des CDU-Wirtschaftsrates in Berlin gefordert.

Parallel soll ein überregionales Versorgungsnetz entstehen, das bis zum Jahr 2032 eine Leitungsinfrastruktur von bis zu 8.500 Kilometern Gesamtlänge umfassen soll.

Gut möglich aber, dass die Union allen Beschleunigungsideen noch einen Strich durch die Rechnung macht: Man sei „nicht mehr bereit, aufgrund von schlechter Vorarbeit in den Ministerien Fristverkürzungen im parlamentarischen Verfahren zuzustimmen“. Deshalb werde die Union, so hieß es aus deren Fraktionsspitze, in dieser Legislaturperiode keine beschleunigten Verfahren mehr mittragen.

Habeck setzt auf „grünen Wasserstoff“ zum Heizen

Nicht nur in der Industrie und im Straßenverkehr, sondern auch bei den Heizungsgesetzplänen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spielt das Element Wasserstoff eine gewisse Rolle: Während Erd- oder Luftwärmepumpen „nur“ elektrischen Strom brauchen, sollen auch Gasheizkessel nach dessen Vorstellung irgendwann nur noch überwiegend mit „grünem Wasserstoff“ betrieben werden dürfen.

Solche Gasthermen, die per Wasserstoffzuleitung betrieben werden könnten, sind nach Angaben der Industrie derzeit aber noch nicht marktreif. Lediglich Brennstoffzellenheizungen sind grundsätzlich erhältlich, wegen der für sie nötigen H₂-Speichertechnik aber teuer und wenig erprobt.

Nach Angaben der „Morgenpost“ sind die im deutschen Erdgasnetz „verbauten Stahlrohrleitungen“ zu den Hausanschlüssen („Letzte Meile“) grundsätzlich für den Wasserstofftransport geeignet, lediglich „einzelne Einbauteile müssten ertüchtigt oder ausgetauscht werden“. Wasserstoff und Erdgas könnten allerdings nicht gemeinsam durch dieselbe Leitung fließen, getrennte Anschlüsse seien unabdingbar.

Grün, grau, blau: Die „Farben“ und Physik des Wasserstoffs

Reiner Wasserstoff wird per Elektrolyse aus dem nahezu unbegrenzten Rohstoff Wasser (H₂O) gewonnen: Wasser kann dabei in seine chemischen Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff „zerlegt“ werden. Dazu braucht es elektrische Energie.

Wird dieser Strom emissionsfrei hergestellt – zum Beispiel in Wasserkraftwerken – darf das Wasserstoff-Endprodukt „grün“ genannt werden. Als „grau“ gilt der Wasserstoff, wenn die Energie zu seiner Herstellung aus fossilen Quellen stammt. „Blau“ darf er heißen, wenn beim Einsatz konventioneller Energieträger zumindest das ausgestoßene CO₂ aufgefangen wird. In Wirklichkeit hat gasförmiger Wasserstoff aber keine Farbe.

Gespeichert wird der Energieträger nach Angaben der „swb AG“ in der Regel „in großen Wasserstoff-Kavernenspeichern“ unter der Erde, und zwar unter hohem Druck, denn Wasserstoff ist flüchtig.

Zur Energiegewinnung wird der Wasserstoff entweder in eine Brennstoffzelle oder in einen Verbrennungsraum geleitet. In beiden Fällen reagiert der Wasserstoff mit Sauerstoff: Es entsteht wieder Wasser. Da es sich um eine „exotherme“ Reaktion handelt, wird dabei Energie frei, die als Strom oder Wärme genutzt werden kann.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion