Was ist die Vertrauensfrage und wie läuft sie ab?

Die Ampel-Koalition ist am Mittwochabend im Streit um die Haushalts- und Wirtschaftspolitik zerbrochen. Olaf Scholz kündigte die Vertrauensfrage und mögliche Neuwahlen an. Allerdings könnte die Opposition auch schon vorher den Kanzler per Misstrauensvotum abberufen.
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Scholz will die Vertrauensfrage im Bundestag am 15. Januar stellen.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 8. November 2024

Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. Am 15. Januar plant Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Dies könnte zu vorgezogenen Neuwahlen führen.

Diese müssten aufgrund von im Grundgesetz verankerten Fristen von insgesamt 81 Tagen spätestens Anfang April stattfinden. Als wahrscheinlichster Termin gilt derzeit der 30. März, weil dann in keinem Bundesland Ferien sind.

Laut Paragraf 52 Absatz 3 des Bundeswahlgesetzes kann das Innenministerium jedoch die Wahlvorbereitungszeiten per Verordnung abkürzen.

Doch wie genau läuft eine Vertrauensfrage ab? Und gibt es auch für die Opposition eine Möglichkeit, Scholz bereits vorher abzusetzen?

CDU-Chef Friedrich Merz hat gefordert, dass Scholz sofort die Vertrauensfrage stellt.

Allerdings gibt es keine Pflicht für einen Bundeskanzler, dies zu tun.

Vertrauensfrage – ein Weg zu Neuwahlen

Die Vertrauensfrage ist nach Artikel 68 des Grundgesetzes ein Mittel, mit dem ein Regierungschef sich vergewissern kann, dass seine Politik noch die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hat.

In der Vergangenheit wurde sie in politisch unsicheren Zeiten durchgeführt oder wenn die Regierung für wichtige Entscheidungen die Unterstützung der Regierungsfraktionen sicherstellen wollte.

Nachdem der Regierungschef die Vertrauensfrage gestellt hat, findet im Bundestag eine Abstimmung statt. Falls eine einfache Mehrheit der aktuell 733 Abgeordneten dem Kanzler das Vertrauen verweigert, kann der Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Eine einfache Mehrheit bedeutet, dass mindestens 50 Prozent der abgegebenen Stimmen plus eine Stimme erreicht werden müssen.

In der bundesdeutschen Geschichte ist dies bereits fünfmal geschehen. Und zwar in den Jahren 1972, 1982, 2001 und 2005. Vertrauensfragen wurde von Helmut Kohl und Gerhard Schröder gezielt eingesetzt, um vorgezogene Neuwahlen herbeizuführen.

Dieser Vorgang ist umstritten, weil es nicht – wie im Grundgesetz beabsichtigt ist – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen, sondern gerade im Gegenteil, die dafür nötige Mehrheit zu verfehlen. Man spricht daher auch von einer „unechten Vertrauensfrage“.

Jedoch kann der Bundespräsident sich trotz eines negativen Abstimmungsergebnisses auch gegen eine Auflösung des Bundestages entscheiden. Der Bundestag selbst hat also kein Recht, sich aufzulösen und eine Neuwahl zu initiieren.

Sollte Scholz eine Mehrheit der Stimmen erhalten, bleibt er im Amt und kann somit seine Regierungsarbeit fortsetzen. Scheitert Scholz mit der Vertrauensfrage, kann er entweder zurücktreten oder, wie er bereits ankündigte, den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen, was zu Neuwahlen führen könnte.

Das Recht zur Auflösung des Parlaments erlischt jedoch, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählt. Vorausgesetzt, zwischen dem Antrag und der Abstimmung liegen 48 Stunden.

Die Ampelfraktionen haben ihre Beratungen zum Sicherheitspaket abgeschlossen – kommenden Mittwoch will die Koalition die Änderungen an ihren Gesetzesentwürfen in den Innenausschuss des Bundestags einbringen. (Archivbild)

Der Deutsche Bundestag. (Archivbild). Foto: Sabina Crisan/dpa

Mehrheit gegen Scholz nicht unwahrscheinlich

Dass eine Mehrheit im Bundestag zustande kommt, die dem Kanzler das Vertrauen entzieht, ist dabei nicht unwahrscheinlich. 367 Abgeordnete müssten dazu gegen Scholz als weiteren Kanzler stimmen. Vorausgesetzt, die Union, die AfD und die FDP (ohne Wissing) stimmen geschlossen gegen Scholz, wären es bereits 362 Stimmen. Allerdings sind hierbei die Gruppe der Linken (28), die Gruppe BSW (10) und die Fraktionslosen (8) noch unberücksichtigt.

So sieht der Bundestag im November 2024 aus. Foto: Bildschirmfoto/Website Bundestag.de

Die Opposition kann den Kanzler abberufen

Allerdings kann auch die Opposition das Vertrauen in die Regierung und den Bundeskanzler infrage stellen und damit entziehen. Deutschland sieht dabei im Grundgesetz das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum vor.

Konstruktiv, da bei diesem Instrument die Abgeordneten nicht nur dem amtierenden Kanzler das Vertrauen entziehen, sondern sie müssen sich auch auf einen neuen Kanzler einigen. Dieser muss für ein erfolgreiches Misstrauensvotum auch die Mehrheit der Stimmen erhalten.

Dies soll ein politisches Vakuum verhindern, weil eine regierungsfähige Mehrheit vorausgesetzt wird.

Konkret bedeutet dies: Hat die Mehrheit der Abgeordneten dem Bundeskanzler das Misstrauen ausgesprochen, ersucht der Bundestag den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler zu entlassen und den gewählten Nachfolger zu ernennen.

Der Bundespräsident muss diesem Ersuchen entsprechen. Also anders als bei der Vertrauensfrage durch den Kanzler gibt es hier keinen Spielraum für den amtierenden Bundespräsidenten. Auch hier müssen zwischen dem Antrag und der Wahl 48 Stunden liegen.

Beispiel für ein erfolgreiches Misstrauensvotum in der bundesdeutschen Geschichte war die Abwahl am 1. Oktober 1982 von Helmut Schmidt (SPD) als Bundeskanzler und die Wahl Helmut Kohls (CDU) zum neuen Kanzler. Die Union setzte sich damals erfolgreich durch.

Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, so sind die organisatorischen Abläufe, wie bei einer regulären Bundestagswahl nach vier Jahren, jedoch mit verkürzten Fristen. Vorgezogene Neuwahlen fanden in den Jahren 1972, 1983 und 2005 statt.



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