War die Abberufung Schönbohms von Anfang an geplant?

Hat Innenministerin Nancy Faeser ihren Cyberabwehrchef Arne Schönbohm wirklich wegen „fehlendem Vertrauen“ versetzt? Spielten BMI-Kontakte zu ZDF-Satiriker Jan Böhmermann eine Rolle? Ein neues Papier wirft neue Fragen auf. Darin heißt es: „Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als Präsident des BSI wurde erreicht“.
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Archivbild: Wollte Bundesinnenministerin Nancy Faeser ihren früheren Cybersicherheitschef Arne Schönbohm loswerden?Foto: MICHELE TANTUSSI/AFP via Getty Images
Von 12. September 2023

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) steht weiter unter Druck. Nach Angaben der „Bild“ ist mitten in ihrem Wahlkampf für das Amt der hessischen Ministerpräsidentin ein neues Dokument aufgetaucht, dass Faeser in der Affäre Schönbohm belastet. Es handelt sich nach Angaben des „Focus“ um eine 15-seitige Disziplinarakte „eines Beamten aus dem Bundesinnenministerium“.

Der Inhalt seines „Langvermerks“ deutet nach Einschätzung des „Focus“ darauf hin, dass Faeser schon lange geplant haben könnte, Arne Schönbohm (CDU) aus seinem Amt als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu entfernen – deutlich vor der Ausstrahlung jener ZDF-Sendung mit Jan Böhmermann, auf deren Publikumswirkung das Bundesinnenministerium (BMI) Mitte Oktober 2022 bei der Versetzung Schönbohms hingewiesen hatte. In einem Vermerk der nun gesichteten Disziplinarakte heiße es:

Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als Präsident des BSI wurde erreicht“.

Diese Formulierung legt nach Einschätzung des „Focus“ nahe, dass es schon zuvor das Ziel Faesers gewesen sein könnte, Schönbohm abzuberufen.

Aus dem Papier gehe nämlich hervor, dass „Vorermittlungen“ über den damaligen Cyberabwehrchef „lediglich ältere Dienstvergehen zutage gefördert“ hätten, wie das Onlineportal „NiUS“ schreibt. Nach Ansicht des BMI-Beamten sei es aber zweifelhaft, ob diese älteren Vergehen sich als „Grundlage für die Amtsabberufung“ geeignet hätten – schon wegen der „Verhältnismäßigkeit“. Die Disziplinarakte enthält nach Angaben von „NiUS“ auch einen Passus, nach dem „Fragen zu den ‚Hintergründen der Abberufung‘“ ebenso wie Fragen „zur Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit“ verhindert werden sollten.

Schönbohm-Anwalt spricht von „konstruierten“ Vorwürfen

Prof. Dr. Christian Winterhoff, der Rechtsbeistand Schönbohms, sieht sich laut „Focus“ im Sinne seines Auftraggebers bestätigt: „Die ganzen Vorwürfe waren konstruiert, um meinen Mandanten mit fadenscheinigen Gründen aus dem Amt des BSI-Präsidenten zu entfernen“, zitiert das Nachrichtenmagazin den Juristen. Und weiter: „Normalerweise verläuft eine disziplinarische Voruntersuchung ergebnisoffen. Hier aber diente das Verfahren dazu, Herrn Schönbohm kalt zu stellen“.

Wie die „Welt“ berichtet, hatte das BMI die Versetzung Schönbohms im Oktober 2022 allerdings nicht nur mit den Anschuldigungen Jan Böhmermanns, sondern auch mit einer „Vielzahl von Vorkommnissen in Zusammenhang mit der fachlichen sowie der personellen Führung des Amtes“ begründet. Diese Ereignisse hätten „auch das Vertrauen von Frau Ministerin in Ihre Amtsführung irreparabel gestört“.

Mehrere Anschuldigungen

Das Originaldokument mit einer Liste der Vorwürfe liegt nach Angaben der „Tagesschau“ der „Deutschen Presse Agentur“ (dpa) vor. Die Tagesschau nennt selbst die Kritikpunkte „mangelnde politische Sensibilität“, „ausufernde Pressearbeit“ und „unzureichende Kooperation mit der Fachaufsicht“ und zitiert einen BMI-Sprecher mit den Worten, dass es „durchgängig“ um das „fehlende Vertrauen in die Amtsführung des damaligen Präsidenten“ gegangen sei.

Laut „Focus“ soll es sich bei dem Originaldokument um eine „Verbotsverfügung ihrer Zentralabteilung Z“ handeln. Darin sei „an erster Stelle der Beitrag des Fernsehmoderators Jan Böhmermann genannt“.

BMI schon im Frühjahr 2022 in Kontakt mit Böhmermann?

Wie das Onlineportal „NiUS“ berichtet, soll Faesers Staatssekretärin Juliane Seifert bereits am 6. April und 23. Mai 2022 mit Böhmermann telefoniert haben. Das sei nach einer „Kleinen Anfrage“ der AfD-Fraktion im Bundestag herausgekommen. Diese Gespräche habe das BMI „in einer späteren Anfrage der Unions-Fraktion […] wahrheitswidrig“ abgestritten, so „NiUS“.

Doch schon „unmittelbar“ nach den Seifert-Böhmermann-Telefonaten soll Andreas Könen, der Leiter der BMI-Stabstelle für IT- und Cybersicherheit und sichere Informationstechnik, „seine Abteilung mit der Erstellung eines Dossiers über Schwächen und Verfehlungen von BSI-Chef Arne Schönbohm“ beauftragt haben. Das Dossier habe schon „an einem Freitag Ende Mai“ 2022 vorgelegen, berichtet „NiUS“ unter Verweis auf bestimmte Dokumente, „die NIUS bekannt sind, die dem Parlament aber bisher offenbar vorenthalten werden“.

Mit dem Dossier in der Hinterhand, soll dann die Fernsehsendung „ZDF Magazin Royale“ vom 7. Oktober 2022 der richtige Anlass für Faeser gewesen sein, zu handeln: Wenige Tage, nachdem der Satiriker Jan Böhmermann Schönbohm als „Cyber-Clown“ verspottet und ihm über den „Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V.“ eine angebliche Nähe zu einem russischen Geheimdienst angehängt hatte (Video auf „YouTube“), versetzte Faeser  ihren BSI-Chef mit „sofortiger Wirkung“ an die Spitze der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV).

Der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann sieht übrigens keinen Grund, sich vom seinem Cyber-Clown-Beitrag zu distanzieren: Vorwürfe eines politischen Komplotts seien aus seiner Sicht „absurd“, berichtete das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND). An den Fakten sei nicht zu rütteln: „Unsere Kritik an der Kompetenz und Amtsführung des ehemaligen BSI-Chefs Arne Schönbohm steht weiterhin“.

Das Bundesinnenministerium aber musste im April 2023 gegenüber Schönbohms Anwalt einräumen, dass seinem Mandanten kein Fehlverhalten bezüglich Russland nachzuweisen war, wie der „Business Insider“ berichtete. Deshalb habe man auch kein offizielles Diziplinarverfahren angestrengt.

Die Rolle des Verfassungsschutzes

Nach Recherchen des „Focus“ soll BMI-Chefin Faeser persönlich im Herbst 2022 auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) angewiesen haben, nach belastendem Material zu suchen, dass die Böhmermann-Version stützen sollte.

Faeser hatte auf Anfrage der „Bild“ am 7. September erklärt, dass „zu keinem Zeitpunkt nachrichtendienstliche Mittel gegen Herrn Schönbohm eingesetzt“ worden seien. Sie habe Schönbohm nie „ausspähen“ lassen. Dass sie das BfV eingeschaltet habe, habe mit einer „Vorprüfung“ zur Einleitung eines Disziplinarverfahren zu tun. Faeser gegenüber der „Bild“:

Bei einer Vorprüfung, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, werden alle belastenden und entlastenden Umstände sorgfältig geprüft. Um diese Prüfung hatte Herr Schönbohm selbst gebeten. Dafür wird auch nach vorhandenen Erkenntnissen der Behörden gefragt.“

Bei Schönbohms Entlassung sei es ihr „um das Vertrauen in das BSI und seine Leitung“ gegangen, nicht um die Vorwürfe aus der Böhmermann-Sendung, stellte Faeser nun klar. Das „Vertrauen in die Amtsführung“ sei „nicht mehr gegeben“ gewesen. Dass sie selbst um mehr Informationen gebeten habe, geschehe „häufig“ und sei „völlig normal“.

Ähnlich argumentierte noch am Abend desselben Tages Lars Castellucci (SPD), der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, im ZDF: Es habe keine nachrichtendienstlichen Ermittlungen gegeben. Schönbohm selbst habe beantragt, „dass die Vorwürfe gegen ihn geklärt“ würden. Nach der Kurzfassung der Erkundigungen habe die Ministerin lediglich auch die Langfassung erbeten.

BfV-Mitarbeiter: „häufig und energisch“ nachgefragt

Für die „NiUS“-Autoren Julian Reichelt und Ralf Schuler, beides frühere „Bild“-Journalisten, passt Faesers Darstellung nicht so recht zu ihren Recherchen. „Ein hochrangiger Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz“ habe „NiUS“ gegenüber geäußert, dass „die Vorbereitungen gegen Schönbohm über Monate liefen und im Nachhinein mit der Böhmermann-Sendung koordiniert schienen“. Das BMI habe sehr „häufig und energisch“ nachgehakt.

Dabei sei klar, dass Schönbohm als Geheimnisträger der höchsten Stufe ohnehin andauernd „vom Verfassungsschutz auf Verlässlichkeit überprüft“ werde. „Das Innenministerium musste also wissen, dass es keine Erkenntnisse über Schönbohm gab – und fragte dennoch weiter nach“, so Reichelt und Schuler, „die wiederholte Abfrage beim Verfassungsschutz konnten die Beamten dort also nur als Aufforderung verstehen, irgendwie und ohne einen konkreten Anlass belastendes Material über Schönbohm zu beschaffen“. Nach Ansicht von Reichelt und Schuler hätten sowohl Faeser als auch Könen jeweils Motive gehabt, Schönbohm loszuwerden.

Schönbohm klagt auf Schadensersatz

Der in Ungnade gefallene Schönbohm strengt inzwischen Klagen gegen das ZDF, gegen das BMI und gegen dessen Chefin Faeser an. Vom ZDF verlangt er wegen „schwerer Persönlichkeitsverletzungen“ 100.000 Euro Schadensersatz und eine Unterlassungserklärung. Der Mainzer Sender lehnt beides ab. In punkto BMI und Faeser steht der Vorwurf des „Mobbings“ im Raum. Mindestens 5.000 Euro will Schönbohm dafür einklagen. Im BSI hat die Mathematikerin Claudia Plattner seit dem 1. Juli 2023 das Sagen.

Faeser mied den Innenausschuss

In den vergangenen Tagen hatte es Nancy Faeser vermieden, im Innenausschuss des Bundestags noch einmal zu den Hintergründen Stellung zu beziehen. Bei einer Sondersitzung des Innenausschusses am 5. September auf Einladung der Unionsfraktion ließ sie sich offiziell aus „medizinischen Gründen“ von ihrer parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter vertreten. Auch am 7. September nahm Faeser lieber an den Haushaltsberatungen des Bundestages teil.

Gegenüber der „Bild“ hatte Faeser ihr zweimaliges Nicht-Erscheinen vor dem Ausschuss damit begründet, „keinen Klamauk“ mitmachen zu wollen. Zur Sache habe sie sich bereits „klar und deutlich im Plenum des Deutschen Bundestages […] geäußert“. Die Fragen seien „längst beantwortet“.

Faeser wollte Sicherheitsarchitektur reformieren

Schon im Herbst 2021 hatte der BSI-Lagebericht 2021 eine verstärkte Bedrohung durch Cyberangriffe in Deutschland festgestellt. BMI-Chefin Faeser kündigte im Juli 2022, knapp drei Monate vor der Böhmermann-Sendung, an, das „BSI zu einer Zentralstelle im Bund-Länder-Verhältnis“ ausbauen zu wollen.



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