Wahlkampf, Waffenlieferungen und Wolodymyr Selenskyj: Bekenntnisse eines Wirtschaftsministers
Umzingelt von der Realität des wirtschaftlichen Abstiegs, ungeklärter Haushaltsprobleme und verlorener Landtagswahlen hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Zeit genommen, ausführlich Fragen über seinen Führungsstil, über Wolodymyr Selenskyj sowie über seine Erinnerungen und Zukunftsvisionen zu beantworten.
Der Vizekanzler war dafür der Einladung der Funke-Mediengruppe gefolgt, die Rolle des ersten Gastes ihres neuen Podcast-Formats „Meine schwerste Entscheidung“ auszufüllen. Am Morgen des 24. Oktober 2024 erschien das beinahe einstündige Interview unter anderem auf der Website der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ).
Kein Interesse an „Personenkult“
Sein „ganzer politischer Wunsch“ sei es, „dass die Partei ohne Personenkult zu einem großen Erfolg geführt“ werde, gab sich der vielleicht bekannteste Grünen-Politiker Deutschlands bescheiden. Er wolle die Grünen keineswegs ganz nach seinen Vorstellungen ausrichten und so etwas wie ein „Bündnis Robert Habeck“ aus der Partei machen. „Das ist in der Tat falsch und das bin ich auch überhaupt nicht“, so Habeck.
„Mein ganzer Stil, meine Arbeit im Ministerium, in der Partei als Parteivorsitzender ist, immer Menschen einzubinden“, betonte der promovierte Philosoph. Gerade jene Menschen, die nicht seiner Meinung seien und ihn mit Widerspruch konfrontierten, versuche er, „als engste Berater an mich ranzuholen“.
Habeck hatte im Mai 2023 seinen Staatssekretär Patrick Graichen, einen seiner engsten Vertrauten, unter anhaltendem Pressedruck entlassen – offiziell wegen zweier Verstöße Graichens gegen das Richtlinientreuegebot der Regierung.
Der Frage nach einer möglichen Kanzlerkandidatur 2025 wich Habeck im Gespräch mit den WAZ-Hauptstadtreportern Laura Himmelreich und Jochen Gaugele aus. Er wolle die „abgesprochene Schrittreihenfolge“ einhalten (Podcast). Seine Parteikollegin, Außenministerin Annalena Baerbock, hatte einer erneuten Kandidatur 2025 schon im Juli eine Absage erteilt.
Nicht im Wettbewerb um „die besten Konzepte der Vergangenheit“
Ihm sei lediglich daran gelegen, dass bei den Grünen „eine offensive, progressive, freiheitliche Politik in den Mittelpunkt“ gestellt werde, sagte der Schleswig-Holsteiner. Dafür komme es allerdings auf „ein eigenes Profil, auf Geschlossenheit, auf eine Klarheit, dass wir nicht taktisch agieren“, an. Die Grünen seien jedenfalls nicht bereit, bei einem „Wettlauf“ um „die besten Konzepte der Vergangenheit“ mitzumachen.
Angesprochen auf den Titel des Podcast-Formats, erklärte Habeck, dass er die schwerste politische Entscheidung seines Lebens unter dem Eindruck eines Aufenthalts im Donbas im Mai 2021 getroffen habe.
Als Habeck mit der Parteilinie haderte
Schon damals, etwa neun Monate vor dem militärischen Angriff Russlands auf ukrainisches Territorium, habe er beschlossen, sich für Waffenlieferungen an die Ukraine einzusetzen. Es sei ihm bewusst gewesen, dass er damit den Wahlkampf Baerbocks gestört und auch gegen das Parteicredo „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ verstoßen habe.
Mit dieser früheren Position der Partei habe er „eigentlich immer gehadert“, räumte Habeck im Funke-Mediengruppe-Podcast ein. Im Donbas habe er gemerkt, dass er bis dahin „an der Grenze der Unaufrichtigkeit agiert“ habe. „Dann habe ich sehr lange überlegt, ob ich aussprechen sollte, was ich richtig fand.“
Schließlich aber habe er beschlossen, seine politische Identität über die Parteiraison zu stellen. „Es war ein Moment, wo ich mich einfach verraten oder verleugnet hätte, wenn ich nicht wenigstens das gesagt hätte“, erklärte der Bundeswirtschaftsminister. Dabei habe er nie beabsichtigt, seiner Partei oder Annalena Baerbock zu schaden. Dass sein öffentliches Eintreten für Waffenlieferungen die „Presselage“ Ende Mai 2021 dann aber zwei oder drei Tage lang dominieren würde, sei ihm als Oppositionspolitiker seinerzeit nicht klar gewesen.
Nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 waren sowohl Baerbock als auch die grüne Parteispitze auf den Standpunkt Habecks umgeschwenkt.
Mit Selenskyj auf der „gleichen Wellenlänge“
Sein Verhältnis zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe „von vornherein gepasst“. Er sehe ihn und sich heute auf der „gleichen Wellenlänge“. Anders als andere habe er Selenskyj nie als einen „Komiker“ erlebt, „der jetzt auf einmal Präsident“ geworden sei:
Ich bin ja auch stolzer Kinderbuchautor. Vielleicht war das auch eine Art Seelenverwandtschaft da drin, dass man aus anderen Berufen in die Politik reingeht.“
Der ukrainische Präsident sei ihm niemals „unernst“ vorgekommen. Mit ihm habe er vielmehr einen Mann erlebt, „der voller innerer Überzeugung und voller Enthusiasmus geradezu war, sein Land jetzt zu einem modernen Land in Europa zu machen“. Selenskyj sei jemand, „der mit seinem Volk leidet, der vielleicht auch wegen seiner beruflichen Ausbildung gelernt hat, in Situationen Empathie aufzunehmen“. Wladimir Putin dagegen sei ein Mensch, der „seine jungen Soldaten zu Hunderttausenden“ opfere, „und zwar ohne mit der Wimper zu zucken“, kritisierte der Grüne.
Verständnis für Scholz – trotz anderer Meinung
Seit Kriegsbeginn habe er immer wieder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über Art und Ausmaß der Unterstützung für die Ukraine gesprochen. Dessen Motive verstehe er: „Ihn treibt die Sorge natürlich wie uns alle um, dass dieser Krieg eskaliert“, sagte Habeck. Scholz komme dann aber „zu anderen Abwägungsentscheidungen, als ich sie treffen würde“. Das habe jedoch bestimmt nichts mit Naivität zu tun. Auf die Frage der WAZ-Reporter, ob vielleicht Angst vor Putin dahinterstecke, wich Habeck abermals aus: „Fragen Sie Olaf Scholz“.
Vor dem Hintergrund der amerikanischen Präsidentschaftswahlen am 5. November empfahl Habeck in Bezug auf die Ukraine ein Zusammenrücken der EU-Mitgliedsstaaten. Wenn Europa „entschlossen handeln würde“, könne es „eine größere Sicherheitsleistung bringen“. Aus seiner Sicht sei es kurzfristig „kaum zu verkraften“, wenn die Vereinigten Staaten sich zurückzögen. „Aber kurzfristig kann ja auch sehr kurzfristig sein“, mahnte Habeck. Entscheidend sei, ob man erkenne, was die Stunde weltpolitisch geschlagen habe.
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