Wahl-O-Mat: Keine einzige Frage zur Corona-Aufarbeitung
Entwickelt von der Bundeszentrale für politische Bildung soll dieser interaktive Test Orientierungshilfe für unsichere Wähler bieten. Er kann auch eine Art Selbsttest sein, ob die politischen Einstellungen, die man hat, überhaupt mit der Partei übereinstimmen, die man zu wählen plant.
Im Schnelldurchlauf lassen sich unter www.wahl-o-mat.de 38 Thesen beantworten. Das Tool vergleicht dann diese Antworten mit den Positionen der 35 an der Wahl teilnehmenden Parteien. Diese haben im Vorfeld die Wahl-O-Mat-Thesen beantwortet. Nach Vergleich der Nutzer-Standpunkte mit den Antworten der Parteien wirft der Wahl-O-Mat eine Übereinstimmungsliste aus.
Der Wahl-O-Mat soll eine Art Selbstverortung bei Unsicherheit oder Unkenntnis der eigentlichen Parteiprogramme sein und könne Orientierungshilfe bieten. So soll er laut der Bundeszentrale für politische Bildung unsicheren Wählern dabei helfen, ihre politischen Präferenzen mit den Positionen der verschiedenen Parteien abzugleichen. Der Wahl-O-Mat zur Europawahl 2024 ist einen Monat lang vor der Neuzusammensetzung des Europaparlaments am 9. Juni online.
38 Thesen zu Parteiprogrammen
Zu den 38 Thesen gehören etwa Aussagen wie diese: „Die EU soll eigene Steuern erheben können“, „Die Ukraine sollte Mitglied der EU werden“, „Die EU soll mehr Waffen für die Ukraine finanzieren“ oder „Die EU soll eine eigene Seenotrettung im Mittelmeer aufbauen“. Es finden sich auch Aussagen zu Nischenthemen wie die Erlaubnis zur Jagd von Wölfen oder zum Erasmus+ Stipendium. Letztere interessieren möglicherweise nur einen verhältnismäßig geringen Anteil an Wählern respektive ist diese Thematik überhaupt geläufig.
Das führt zu der Frage an die Bundeszentrale für politische Bildung, wer die Aussagen nach welchen Kriterien erstellt hat: „Die Thesen des Wahl-O-Mat werden von einem Redaktionsteam aus Jungwählerinnen und -wählern, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Bildung sowie den Verantwortlichen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb entwickelt und ausgewählt“, so die Antwort aus der bpb-Presseabteilung an die Epoch Times.
Bei der Formulierung und Auswahl der Thesen fänden viele Kriterien Anwendung. Wichtige Kriterien seien dabei die Relevanz der These, ihre Verständlichkeit, unterschiedliche Positionen der Parteien zur These und ihre Bedeutung für die jeweilige Wahl. Es komme daher immer wieder vor, dass eine These nicht im Wahl-O-Mat erscheint, weil sie nicht alle Kriterien erfüllt, erklärt das bpb: „Eine Wahl-O-Mat-These muss möglichst ein breites Spektrum von Menschen im Land interessieren oder sogar betreffen und darf nicht nur für eine kleine interessierte Gruppe in der Bevölkerung wichtig sein.“
Corona-Aufarbeitung einfach weglassen
Was zusätzliche Fragen aufwirft beim Wahlhilfe-Automaten für die EU-Wahl, ist das, was fehlt:
Unter den 38 Thesen ist nicht eine einzige nach der Positionierung zur Aufarbeitung der Corona-Zeit zu finden. Während es in 2020/21 nur 37.106 deutsche Erasmus-Studenten gab, die ein Auslandssemester absolvierten, findet hierzu eine Detailfrage zu deren Finanzierung Eingang in den Wahl-O-Mat und wird von den Machern somit für ein bereits Spektrum als wichtig oder genauer gesagt als von Interesse eingeschätzt, während das Thema Corona-Aufarbeitung komplett ausgespart wurde.
Auf Nachfrage antwortet der Sprecher der Bundeszentrale für politische Bildung: „Thesen zu Covid-19-Pandemie sind im Wahl-O-Mat zur Europawahl – wie Sie richtig bemerkt haben – nicht enthalten. Diese Thematik hat nach Auffassung der Redaktion nicht die o.g. Kriterien erfüllt und blieb daher außen vor.“
Mit dem Wahl-O-Mat sollen die Positionen der Parteien zu den wichtigsten aktuellen Themen dargelegt werden. Wie wichtig und aktuell das Thema Aufarbeitung der Pandemiejahre der Bevölkerung ist, zeigen zum Beispiel die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von Civey von Ende März 2024. Dort wird ersichtlich, dass eine Mehrheit der Befragten in Deutschland eine Aufarbeitung der Coronazeit wünscht. Auf die Frage „Sollte es Ihrer Meinung nach eine politisch unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Deutschland geben?“ antwortete die Hälfte der Befragten, 49,6 Prozent, mit „Ja, auf jeden Fall“. Weitere 12,7 Prozent mit „Eher ja“. Kurz zusammengefasst: Fast zwei Drittel der Deutschen sind für eine Aufarbeitung.
Inwiefern die steigenden Umfragewerte der AfD, auch bezüglich der anstehenden EU-Wahl, im Zusammenhang stehen, dass diese aktuell als einzige Partei eine lückenlose Corona-Aufarbeitung fordert, lässt sich nur erahnen. Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums hatte allerdings schon im Jahr 2020 gezeigt, dass die Kritik der AfD an der Pandemiepolitik der Regierung vermehrt Menschen angesprochen hat, die mit den Maßnahmen unzufrieden waren.
Im Wahltrend zur Europawahl steht die AfD aktuell mit 15,8 Prozent auf Platz zwei hinter der CDU (mit 30 Prozent). 2019 waren es noch 11 Prozent. Auf Platz drei kommt hinter der AfD mit fallender Tendenz und nur noch 14 Prozent die SPD.
Das SPD-Mitglied Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der bpb und hat in dieser Position mehrfach vor rechtsextremen Tendenzen und der Popularität der AfD gewarnt. Krüger betont, dass die Erfolge der AfD nicht mehr nur als Protestwahl verstanden werden sollten, sondern dass die Partei echte Zustimmung in Teilen der Bevölkerung findet, was er als „gefährlich für die demokratischen Prinzipien“ ansieht.
Suggestivfragen und Framing
Eine Vorauswahl von Fragen inklusive Auslassung wie beim Wahl-O-Mat kann als eine Form von Framing betrachtet werden. Framing bezeichnet die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden, um bestimmte Aspekte hervorzuheben und andere zu marginalisieren. Wenn Fragen im Voraus ausgewählt oder formuliert werden, beeinflusst dies, welche Themen und Perspektiven in den Vordergrund gerückt und welche vernachlässigt werden.
Auf die Nachfrage zu einer weiteren Auffälligkeit des Wahl-O-Mat, dass einige der Fragen Aussagen als gegeben voraussetzen und damit nicht neutral, sondern suggestiv gestellt sind, gab die Behörde keine Antwort.
Als Beispiel dafür die letzte These im Wahl-O-Mat, die dem EU-Parlament das Framing einer „wichtigen Rolle“, die es beibehalten soll, verpasst: „Frage 38: Rolle des EU-Parlaments: Das Europäische Parlament soll weiterhin eine zentrale Rolle in der EU spielen.“ Hier wird dem potenziellen Wähler gegenüber ohne jede Erklärung eine „zentrale Rolle“ als gegeben vorausgesetzt und selbstverständliche Weiterführung derselben suggeriert.
Dies ist erstaunlich, denn das EU-Parlament hat als einziges Parlament der Welt kein Initiativrecht. Das heißt, die Abgeordneten dürfen keine eigenen Gesetzesvorlagen einbringen. Dafür ist die nicht demokratisch gewählte EU-Kommission zuständig.
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