Vorerst keine Entscheidung über offene Asylanträge von Syrern – Bundesregierung will abwarten

Das Bundesinnenministerium plant zwar derzeit keine Abschiebeoffensive nach Syrien – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber will vorerst keine offenen Asylanträge von Syrern mehr bearbeiten. Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock hoffen auf eine friedliche Lösung mithilfe der „internationalen Gemeinschaft“.
Titelbild
Menschen feiern auf dem Umayyad-Platz in Damaskus am 8. Dezember 2024 den Sturz der Regierung Assad.Foto: Ali Haj Suleiman/Getty Images
Von 9. Dezember 2024

Nach der Flucht des syrischen Präsidenten Bashir al-Assad nach Moskau und der Machtübernahme durch islamistische Gruppen will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) offenbar vorerst keine offenen Asylanträge von Syrern mehr bearbeiten. Das würde nach Informationen des „Spiegel“ 47.270 unentschiedene Anträge betreffen, darunter rund 46.000 Erstanträge.

Seriöse Einschätzungen zur derzeit unübersichtlichen Lage seien nicht möglich, erklärte ein BAMF-gegenüber dem „Spiegel“. Jede Entscheidung stehe somit „auf tönernen Füßen“. Bereits getroffene Entscheidungen bestünden allerdings unverändert fort.

Völkerrechtler Thym hält schnelle Abschiebungen für undurchführbar

Der Konstanzer Völkerrechtler Prof. Daniel Thym hatte dem BMAF im „Handelsblatt“ empfohlen, laufende Asylverfahren von Syrern offiziell auszusetzen, um künftigen Asylantragstellern „ein klares Signal“ zu geben. Das Asylrecht bedeute ja „kein Einwanderungsrecht für alle, die es irgendwie nach Europa schaffen, sondern Schutz abhängig von Verfolgung […], die auch wegfallen“ könne.

Ein pauschales Bleiberecht für alle Syrer würde dagegen „die Axt an die Wurzeln des Asylrechts“ legen. An eine schnellere Remigration von Syrern glaubt er nicht: „Eine schnelle Rückkehr oder gar Abschiebung von Hunderttausenden Syrern dürfte logistisch, administrativ und auch juristisch unmöglich sein“, so Thym gegenüber dem „Handelsblatt“.

Januar bis November 2024: Rund 75.000 Syrer begehrten Asyl

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatten zwischen Januar und November 2024 allein 74.971 syrische Staatsbürger in Deutschland um Asyl ersucht, darunter 72.420 Erstantragsteller. Nach Angaben der Agentur AFP  bekamen bei den Entscheidungen mehr als 83 Prozent einen Schutzstatus zugesprochen, darunter 68.945 Fälle mit einem sogenannten subsidiären Schutz.

Ende 2023 hatten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts 972.460 Syrer in Deutschland aufgehalten. Nach Angaben der Agentur AFP sprach das Bundesinnenministerium (BMI) von 974.136 Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft zum Stand Ende Oktober. Davon seien dem BMI zufolge mehr als zwei Drittel Asylbewerber.

In den ersten elf Monaten des laufenden Jahres waren laut BAMF insgesamt 236.399 Asylanträge in Deutschland registriert worden, darunter 216.861 Erstanträge. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum des Vorjahres habe man beim BAMF 304.581 Erstanträge auf Asyl verzeichnet. Diesen standen laut der Bundeszentrale für politische Bildung 16.430 Menschen gegenüber, die in ihre Heimat zurückkehren mussten, darunter 829 Syrer.

Abschiebungen höchstens unter strengen Bedingungen

„Die Bundesregierung verfolgt die sich rasch verändernde Lage in Syrien genau“, erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums (BMI) mehreren Medienberichten zufolge bereits am Sonntag. „Ob sich aus dieser Lage Fluchtbewegungen in der Region oder aus der Region hinaus ergeben, ist zurzeit noch nicht vorhersehbar.“ Ebenfalls unabsehbar sei, „welche Auswirkungen die sich verändernde Lage auf die Möglichkeiten von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr in ihre Heimat haben“ werde, ergänzte die Sprecherin nach Angaben von „Ruhr24.de“.

An Abschiebungen syrischer Staatsbürger sei nach den Worten der BMI-Sprecherin nur zu denken, „wenn die Sicherheitslage vor Ort dies zulässt, alle rechtlichen Voraussetzungen vorliegen und tatsächliche Möglichkeiten für die Durchführung von Abschiebemaßnahmen gegeben sind“.

Abschiebungen für Scholz und Baerbock derzeit kein Thema

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete „das Ende der Assad-Herrschaft“ am Sonntag als „erst einmal eine gute Nachricht“. Alle Syrer im In- oder Ausland hofften „inständig, dass nun die Chance besteht, ihr Land wieder aufzubauen und sich auf den langen und schwierigen Weg der Versöhnung zu machen“. Allerdings befänden sich „unter den Widerstandskämpfern“ auch „radikale und extremistische Kräfte“. Zum Thema Abschiebungen sagte Scholz nichts:

Ein umfassender nationaler Dialog, ein geordneter und friedlicher Übergangsprozess und schließlich eine politische Lösung des Konflikts in Syrien sind möglich! Gemeinsam mit internationalen Partnern und auf Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen wird Deutschland dazu seinen Beitrag leisten.“

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verwies auf X ebenfalls auf die „internationale Gemeinschaft“, um „Syrien aus dem Kreislauf von Krieg & Gewalt“ zu erlösen. Ihr Ministerium sei bereits „in intensiver Abstimmung mit der UN, unseren Partnern in EU & Quad sowie regionalen Akteuren und Nachbarn Syriens wie Türkei & Jordanien“.

Epoch Times bat das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt um weitergehende Stellungnahmen im Hinblick auf mögliche Abschiebungen und zu eventuellen diplomatischen Bemühungen mit Syrien. Sobald uns Neuigkeiten vorliegen, werden wir darüber berichten.

Siegreiche Eroberer rufen Landsleute zurück

Nach Recherchen der „Bild“ hatte ein Sprecher der Rebellengruppe „Einsatzzentrale zur Eroberung von Damaskus“ im syrischen Fernsehen am vergangenen Wochenende die „Befreiung“ der Hauptstadt verkündet und die Syrer in aller Welt zur Rückkehr aufgefordert:

An die Vertriebenen weltweit: Ein freies Syrien erwartet euch.“

Der Rebellensprecher habe zudem berichtet, dass „alle zu Unrecht in den Gefängnissen des Regimes Inhaftierten“ wieder auf freiem Fuß seien. „Wir wünschen allen unseren Kämpfern und Bürgern, dass sie das Eigentum des syrischen Staates bewahren und erhalten. Lang lebe Syrien!“, zitiert ihn die „Bild“ in deutscher Übersetzung (Video auf X).

Treibende Kraft des Umsturzes war nach Informationen der „Wirtschaftswoche“ Abu Mohammed al-Dschulani (auch al-Golani oder al-Jawlani geschrieben) mit seiner islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS). Al-Dschulani habe die HTS 2017 unter anderem mit Angehörigen der Al-Nusrah-Front (ANF) gegründet, eines Ablegers des Islamistennetzwerks Al-Qaida. Die USA haben auf al-Dschulani ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar ausgelobt.

Türkei: Flüchtlinge sollen zum Wiederaufbau zurückkehren

Der türkische Außenminister Hakan Fidan forderte am Sonntag die knapp drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei auf, in ihre Heimat zurückzukehren.

Nach Informationen des „Stern“ betonte Fidan während einer Pressekonferenz auf dem Doha-Forum in Katar, es sei für die Syrer an der Zeit, „sich zu vereinen und das Land wiederaufzubauen“. Die Türkei sei an einer „reibungslosen Machtübergabe“ interessiert. Es müsse allerdings verhindert werden, dass die Organisationen Islamischer Staat (IS) oder die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gewinne aus der Situation zögen.

Throm möchte Schutzstatus überprüfen lassen

Alexander Throm (CDU), der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, hatte kurz nach dem Umsturz gegenüber dem „Handelsblatt“ gefordert, „zu prüfen, ob der Schutzstatus [für Syrer in Deutschland] nicht entfällt“. Throm betonte, dass Flucht „ein Aufenthalt auf Zeit“ sei.

Sein Fraktionskollege Roderich Kiesewetter habe empfohlen, die Lage zunächst genau zu beobachten: „Es besteht leider auch die Gefahr, dass ein Kalifat entsteht oder sich Terrorstrukturen ausbreiten, was sich zum jetzigen Zeitpunkt schwer prognostizieren lässt“. Sollte sich allerdings herausstellen, dass die Eroberer „ein stabiles Syrien schaffen“ könnten und „untereinander geschlossen“ handelten, breche „die Zeit für einen Neuanfang in der Region und auch in Bezug auf die Fluchtbewegungen“ an, meinte Kiesewetter. Das würde auch „eine komplett veränderte Lage für Europa“ bedeuten. Er gehe davon aus, dass „voraussichtlich viele Syrer, die in Nachbarstaaten wie der Türkei oder Jordanien geflohen“ seien, „zeitnah“ in ihr Herkunftsland zurückkehren würden.

Dirk Wiese, der Vizefraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, verwies laut „Handelsblatt“ ähnlich wie das BAMF oder das BMI auf die „unklare“ und „unübersichtliche“ Lage vor Ort. Seiner Einschätzung nach stehe Syrien ein „schwieriger Winter“ bevor.

AfD Thüringen will Einbürgerungsstopp für Syrer

Daniel Haseloff, der migrationspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen, verlangte in einer Pressemitteilung einen „sofortigen Einbürgerungsstopp für syrische Flüchtlinge“ und schnelle Abschiebungen:

Im vergangenen Jahr war jeder zweite Eingebürgerte in Thüringen syrischer Herkunft. Als Hauptfluchtgrund wurde stets das Assad-Regime genannt. Da dieser Fluchtgrund nun nicht mehr besteht, ist eine Rückführung zwingend erforderlich.

Haseloff forderte seine Landesregierung auf, „alle verfügbaren Mittel“ einzusetzen, „um eine zügige Heimkehr der syrischen Flüchtlinge zu ermöglichen. Dies würde nicht nur Thüringen entlasten, sondern auch dem syrischen Volk helfen“.

Pro Asyl: „Syrien ist nicht sicher“

Die NGO Pro Asyl hatte bereits am vergangenen Freitag vor dem Hintergrund der Konferenz der Landesinnenminister einen „sofortigen Abschiebestopp“ nach Syrien verlangt.

„Die letzten Tage haben gezeigt, dass von Stabilität in Syrien nicht geredet werden kann und darf. Kriegshandlungen, Menschenrechtsverletzungen und Tötungen sind an der Tagesordnung, Syrien ist nicht sicher“, erklärte Tareq Alaows, der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl. Zu diesem Zeitpunkt hatten die „islamistischen Milizen“ (Alaows), „angeführt von der dschihadistischen Vereinigung Hayat Tahrir al-Sham (HTS)“ „mit engen Verbindungen zu Al-Qaida“ erst die nordsyrische Stadt Aleppo erobert.

„Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ seien zu diesem Zeitpunkt 440 Menschen „innerhalb von fünf Tagen getötet“ worden, so Alaows. Christen, Drusen und andere „ethnische Bevölkerungsgruppen“ wie etwa Kurden seien „besonders gefährdet“, hätten „Angst vor Unruhen, Gewalt und Versorgungsengpässen“.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion