Vorab durchgesickert: Wahlrechtsreform verfassungsgemäß – mit gewissen Ausnahmen

Die Wahlrechtsreform der Bundesregierung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Kern verfassungsgemäß: Der Bundestag darf künftig maximal 630 Abgeordnete beherbergen. Die alte Grundmandatsklausel soll aber vorerst bestehen bleiben. Damit bleiben „kleine“ Parteien wie die Linke oder die CSU im Rennen.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden:  Vor der Abschiebehaft muss Vertrauensperson benachrichtigt werden.
Das Symbolbild zeigt den Bundesadler am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Von 30. Juli 2024

Ursprünglich sollte das Urteil erst am Vormittag des 30. Juli 2024 verkündet werden. Doch im Internet kursierte es bereits am Abend zuvor. Mehreren Medienberichten zufolge soll eine Panne beim BVerfG der Grund gewesen sein, dass das Urteilspapier zu früh auf der BVerfG-Website veröffentlicht worden war. Das Gericht habe den Fehler aber relativ schnell bemerkt und den Schriftsatz zunächst wieder entfernt.

Mit Ausnahme der Abschaffung der sogenannten „Grundmandatsklausel“ und der aktuellen strikten Fünf-Prozent-Klausel ist die Wahlrechtsreform der Ampelregierung mit dem Grundgesetz vereinbar. Das will das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe entscheiden. Die Grundmandatsklausel muss nach Informationen der „Welt“ bis zu einer Neuregelung weiter in Kraft bleiben.

Damit können sich beide Seiten als Teilsieger betrachten: Die Ampelregierung, weil Ihre Reform vom März 2023 mit der Begrenzung auf nur noch 630 Abgeordnete im Kern den Segen der Verfassungsrichter fand. Und die Kläger aus den Reihen der Union und der Linken, weil zumindest jener Teil des neuen Gesetzes bemängelt wurde, der ihnen hätte gefährlich werden können: Die Ampel hatte die Grundmandatsklausel vollständig abschaffen wollen.

Grundmandatsklausel bietet Chance bei drei Direktmandaten

Gegen die Ursprungspläne der Ampel wird also bis auf Weiteres jene Regel bestehen bleiben, nach der eine Partei mit mindestens drei per Erststimme gewonnen Direktmandaten in den Bundestag einziehen kann – auch wenn sie bundesweit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen für sich verbucht.

Von dieser Regel hatten bei der letzten Wahl 2021 die Linken profitiert: Nur wegen der drei Wahlkreissieger Sören Pellmann (Leipzig), Gesine Lötzsch und Gregor Gysi (beide Berlin) durfte die Partei am Ende ins Plenum einziehen – sogar in 39-köpfiger Fraktionsstärke. Genau das wollte die Reform für künftige Wahlen verhindern.

Nun kann auch die CSU aufatmen: Würde sie trotz etlicher gewonnener Direktmandate in den bayerischen Wahlkreisen nicht bundesweit per Zweitstimme 5,0 Prozent erreichen, wäre sie nach dem Willen der Ampel draußen gewesen. Dass die CSU aber mindestens drei Wahlkreise gewinnen wird, dürfte unstrittig sein. Und daher zugleich ihr Wiedereinzug in den Bundestag. Zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die CSU 5,2 Prozent geholt.

Strikte Fünf-Prozent-Hürde „ohne Ausnahme“ nicht zulässig

Karlsruhe hatte nach Angaben der „Tagesschau“ am Beispiel der CSU festgestellt, dass eine strikte Fünf-Prozent-Hürde „ohne Ausnahme“ nicht zulässig sei. Denn dann bestehe die Gefahr, dass die CSU aus dem Parlament flöge, obwohl sie traditionell eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bilde und beide Parteien zusammen deutlich über fünf Prozent lägen. Die Gefahr einer Zersplitterung des Parlaments bestehe im Fall einer solchen Fraktionsgemeinschaft aber nicht. Deshalb sei es nicht statthaft, die CSU-Stimmen aufgrund einer strikten Fünf-Prozent-Hürde gegebenenfalls in Gänze unter den Tisch fallen zu lassen.

Das BVerfG schlug laut „Tagesschau“ vor, in einer Novelle entweder derartige Kooperationen besser zu berücksichtigen – oder die Fünf-Prozent-Hürde insgesamt abzusenken. Die Sperrklausel könne auch gemeinsam mit einer Grundmandatsklausel beibehalten werden. Der letzte Ansatz gelte nach dem Willen der Karlsruher Richter vorläufig weiter bis zu einer Neuregelung.

Till Steffen, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, hatte sich bereits im Vorfeld zuversichtlich gezeigt, dass eine eventuell zu treffende Neuregelung noch vor der nächsten Bundestagswahl 2025 zu finden sein würde: „Wenn das Gericht dem Bundestag den Auftrag gibt, die Reform anzupassen, sind wir dazu rechtzeitig vor der kommenden Bundestagswahl in der Lage, auch wenn nicht viel Zeit bleibt“, hatte Steffen gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe erklärt. Er sei offen für Ideen der Opposition: „Wenn die Union sich dann beteiligen möchte, stehen wir dem nicht im Weg“, so Steffen.

Keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr

Der Grundsatz der Gesetzesnovelle vom März 2023, die Zweitstimmendeckung, darf nach Einschätzung der Karlsruher Richter bestehen bleiben. Damit wird es nun keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Das soll garantieren, dass nur noch maximal 630 Abgeordnete in den Bundestag einziehen dürfen. Das BVerfG erklärte:

Da bei der kommenden Wahl erstmals das Zweitstimmendeckungsverfahren zum Zuge kommt, stärkt dies das Vertrauen darauf, dass die Wahlrechtsreform keine Partei benachteiligt.“

Wahlkreisabgeordnete seien nicht „Delegierte ihres Wahlkreises“, so das BVerfG, sondern Vertreter des ganzen Volkes.

Überhangmandate entstanden bisher, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate im Bundestag gewann, als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Diese Überhangmandate durfte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate. Dieses System hatte zu einer immer größeren Aufblähung des Bundestages geführt: Statt wie ursprünglich gedacht aus 598 Abgeordneten hatte der Bundestag nach der Wahl 2021 aus 736 Mandatsträgern bestanden. Derzeit sind es 734 MdBs.

Manche Wahlkreise womöglich nicht mehr repräsentiert

Gewinnt eine Partei nun mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmenanteil zustehen würden, werden trotzdem nur noch jene Kandidaten ins Plenum ziehen, die mit den besten Ergebnissen in ihren Wahlkreisen aufwarten konnten. Manche Wahlkreise werden somit womöglich gar nicht mehr im Bundestag repräsentiert sein.

Für die Repräsentanten nationaler Minderheiten wie dem „Südschleswigschen Wählerverband“ gibt es auch nach der Reform noch eine Ausnahme.

Die Regierung Olaf Scholz (SPD) hatte die Reform am 17. März 2023 im Bundestag durchgesetzt. Dagegen geklagt hatten nach Angaben der Tagesschau 195 Abgeordnete aus der Unionsfraktion, außerdem das Land Bayern, die CSU, die Linke und die Linksfraktion. Außerdem habe es einige Tausende  Verfassungsbeschwerden gegeben. Das BVerfG hatte seit dem 23. April dieses Jahres zwei Tage lang mündlich verhandelt.

(Mit Materialien der AFP)

 

 



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