Völkerrechtler, Ministerium und Bundeswehr: Deutschland ist nicht Kriegspartei

Deutschland gilt im Sinne des Völkerrechts nicht als Kriegspartei im Ukraine-Krieg. Darauf haben das Außenministerium, die Bundeswehr und verschiedene Experten hingewiesen. Auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden oder Waffenlieferungen änderten daran nichts.
Titelbild
Bundesverteidigungsminister Pistorius auf einem Leopard 2 Panzer.Foto: Sascha Schuermann / gettyimages
Von 3. Februar 2023

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Deutschland könnte „den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung“ bereits verlassen haben, wenn man den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages wörtlich nimmt. Denn der war in seinem Sachstandspapier vom 16. März 2022 über „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ (PDF-Datei) auf Seite 6 zu folgender Einschätzung gelangt:

Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“

Der Wissenschaftliche Dienst bezieht sich dabei auf ein NZZ-Interview mit dem Völkerrechtler Pierre Thielbörger vom 13. März 2022. Der hatte damals gesagt: „An sich sind Waffenlieferungen allein noch keine Kriegshandlung. Es gibt keine Staatenpraxis, die das annimmt. Anders könnte es sein, wenn es eine Beratungsleistung gibt, wie Waffen zu gebrauchen sind. Aber auch hier bleibt die Betrachtung des Einzelfalls ausschlaggebend.“

Ukrainische Soldaten in Munster

So ein „Einzelfall“ liegt längst vor: Am 26. Januar 2023 waren ukrainische Soldaten in Deutschland eingetroffen, um im Umgang mit deutschen Panzern ausgebildet zu werden. Das berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Ausbildungsort sei die Panzertruppenschule im niedersächsischen Munster.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte nach Informationen von RTL schon am Ankunftstag der ukrainischen Militärs erklärt, dass deren Ausbildung am Schützenpanzer Marder „in Kürze“ beginnen werde. Die Einweisung in den Gebrauch des Kampfpanzers Leopard 2 werde „etwas später“ beginnen. Ein genauer Zeitpunkt war für die Epoch Times auf Nachfrage weder beim Bundesverteidigungsministerium noch beim zuständigen „Special Training Command“ in Strausberg kurzfristig in Erfahrung zu bringen.

Pistorius rechnet laut „Tagesschau“ damit, dass „erste Panzer“ der Ukraine „in etwa drei Monaten“ zur Verfügung stehen werden.

Nach Informationen von RTL sei die Leopard 2-Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte extra verkürzt worden: „Nach früheren Angaben sind die Lehrgänge auf den Umgang mit dem Fahrzeug sowie seinen Waffensystemen und auf Störungsbeseitigung und grundlegende Wartung beschränkt, um in der kurzen Zeit durchzukommen“. Zuvor seien ukrainische Soldaten bereits „für die Panzerhaubitze 2000 sowie den Flugabwehrkanonenpanzer Gepard“ geschult worden.

Nach Angaben von „n-tv.de“ werden derzeit 15.000 ukrainische Soldaten über die europäische Ausbildungsmission (EUMAM) ausgebildet. Der spanische EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wolle demnächst weitere 15.000 Soldaten via EUMAM trainieren lassen. Die EU-Ausbildungsmission war im November 2022 ins Leben gerufen worden.

Ausbildung von Ukrainern nicht entscheidend

Nach dem Rechtsverständnis von Prof. Matthias Herdegen, dem Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn, wird ein Land allerdings erst dann zur Kriegspartei, wenn es „mit eigenen Soldaten, mit eigenen Streitkräften unmittelbar in den Konflikt“ eingreift. „Klar kodifiziert“ sei dies „allerdings nicht“, gibt der Nachrichtensender „n-tv.de“ zu bedenken.

Deutlicher legt sich Generalleutnant Andreas Marlow vom Kommando Heer in Strausberg fest: Deutschland werde „durch die verstärkte Ausbildung ukrainischer Streitkräfte“ auf deutschem Boden „auf keinen Fall“ zur Kriegspartei. Die Ukraine verteidige sich „legitim nach dem Völkerrecht gegen einen illegitimen, völkerrechtswidrigen Angriff“, so Marlow. Gemäß der UN-Charta seien „dritte Nationen [wie etwa Deutschland], die Unterstützung leisteten, aber nicht in den Konflikt vor Ort eingriffen, nicht Kriegspartei“.

Baerbock: „We are fighting a war against Russia“

Am 24. Januar hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock international für Aufregung gesorgt: Nach ihrer Rede vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg sagte Baerbock: „We are fighting a war against Russia and not against each other“ („Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“). Vorausgegangen war nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“  eine Frage des britischen Abgeordneten Christopher Chope. Der Tory hatte wissen wollen, was geschehen müsse, damit Deutschland Panzer an die Ukraine liefere.

Noch am selben Tag gab Bundeskanzler Olaf Scholz seinen tagelangen Widerstand auf und genehmigte die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern aus Bundeswehrbeständen und von anderen NATO-Ländern. Das Verhältnis von Scholz zu Baerbock soll seitdem gelitten haben, wie unter anderen die „Kreiszeitung“ berichtet.

Putin fordert Klarstellung, Auswärtiges Amt beschwichtigt

Manche internationale Beobachter werteten den Satz Baerbocks als offizielle Kriegserklärung Deutschlands an Russland. Besonders Moskau war aufgebracht: Der russische Fernsehmoderator Wladimir Solowjow beschimpfte Baerbock nach Informationen der Nachrichtenseite „News.de“ unter anderem als „Fräulein Ribbentrop“ – in Anspielung auf den NS-Reichsminister Joachim von Ribbentrop. Wladimir Putin forderte eine Erklärung für Baerbocks Äußerung.

Daraufhin bemühte sich Bundeskanzler Scholz am 25. Januar bei einer Befragung im Bundestag um Schadensbegrenzung: „Wir werden weiter, weil wir international abgestimmt handeln, sicherstellen, dass diese Unterstützung [der Ukraine] möglich ist, ohne dass die Risiken für unser Land darüber in eine falsche Richtung wachsen“. Scholz bat die Bürger um Verständnis: „Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung“ (Video auf YouTube).

Auch das Auswärtige Amt bemühte sich, die Wogen zu glätten: Baerbock habe lediglich gemeint, dass Europa angesichts des Krieges zusammenhalten müsse. Die Gefahr, Kriegspartei zu werden, bestehe nicht: „Das Völkerrecht ist eindeutig: Die Ukraine dabei zu unterstützen, ihr in der UN-Charta verbrieftes individuelles Selbstverteidigungsrecht gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auszuüben, macht Deutschland nicht zu einer Konfliktpartei“, zitiert „News.de“.

Kreml sieht „direkte Beteiligung“ Deutschlands

Am 26. Januar meldete sich nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow zu Wort: Russland betrachte bereits Waffenlieferungen als „direkte Beteiligung“ an dem Konflikt. Von einem „Krieg“ habe Peskow aber nicht sprechen wollen.

Auf seiner Südamerikareise bekräftigte Kanzler Scholz am 28. Januar seinen Standpunkt noch einmal: Deutschland werde alles dafür tun, damit es nicht zu einer Eskalation komme, die zu einem Krieg zwischen Russland und Nato-Staaten führe: „Das ist für uns ausgeschlossen. Wir werden alles tun, dass es nicht passiert.“ Es handele sich um einen „Krieg zwischen Russland und der Ukraine“, stellte Scholz in Buenos Aires laut „News.de“ fest. „Daran ändert sich nichts dadurch, dass wir die Ukraine mit finanzieller, humanitärer Hilfe ausstatten oder Waffen liefern.“

Politikwissenschaftler Bierling: „Auch unser Krieg“

Ebenfalls zu Empörung geführt hatte am 25. Januar ein Auftritt des Politikwissenschaftlers Prof. Stephan Bierling im Politikmagazin „Kontrovers“ des „Bayerischen Rundfunks“. Der Experte für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen hatte klargemacht, dass es für ihn keine roten Linien mehr im Ukraine-Krieg gebe – außer der Entsendung von Soldaten.

„Jetzt ist der Kampf zu gewinnen gegen Russland. […] Das Land der Bundesrepublik wird an der Ostfront der Ukraine verteidigt und deshalb müssen wir alles tun, um diesen Krieg, der auch unser Krieg ist, nicht nur der ukrainische Krieg, [zu gewinnen].“ Verteidigungsminister Pistorius und Kanzler Scholz seien für ihn „ein Totalausfall“.

Völkerrechtler Talmon: Worte nicht entscheidend

Der Völkerrechtler Stefan Talmon hatte schon am 4. Mai 2022 in einem „Verfassungsblog“ darauf hingewiesen, dass es heute nicht mehr auf verbale Äußerungen ankomme, wenn es um die Frage „Kriegspartei: ja oder nein“ gehe. Darauf weist „n-tv.de“ hin.

Talmon argumentiert ähnlich wie der Völkerrechtler Prof. Matthias Herdegen oder der Bundeswehr-Generalleutnant Andreas Marlow: Da in der UN-Charta „das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ ausdrücklich gegeben sei, dürfe ein Drittstaat sogar eigene Truppen in ein Kriegsgebiet wie die Ukraine senden, solange diese nur zu Verteidigungszwecken diene.

1941 und 2023

Zuletzt waren deutsche Panzer im Juni 1941 gegen Russland gerollt. Knapp vier Jahre später war die Wehrmacht nach Millionen Toten auf beiden Seiten geschlagen. Der Zweite Weltkrieg endete mit der Wehrmachtskapitulation am 8. Mai 1945 und einem Waffenstillstand, nachdem Hitler sich umgebracht hatte. Das Deutsche Reich wurde von Russland, den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien besetzt. Im Westen entstand unter Aufsicht der USA, Großbritanniens und Frankreichs die Bundesrepublik Deutschland, in den von Russland besetzten Gebieten die DDR.

Einen „Friedensvertrag“ gibt es bis heute nicht. Die Souveränität der Bundesrepublik mit bestimmten Auflagen wurde erst nach der Wende und der Wiedervereinigung 1989/90 mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vom 12. September 1990 erreicht. Der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ trat am 15. März 1991 in Kraft.

In Artikel 2 heißt es:

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“

Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht

Der Politiker und Musiker Andreas Hofmann hatte kurz nach der Entscheidung der Bundesregierung, Kampfpanzer in die Ukraine zu liefern, einen Eilantrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um eine Eskalation abwenden zu lassen. Denn das Szenario deutscher Kampfpanzer auf dem Weg nach Osten sei „ein Akt der öffentlichen Gewalt und demnach nach Art. 93 BverfGG beschwerdefähig“, so Hofmanns Überzeugung. Eine Reaktion aus Karlsruhe steht noch aus.



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