Visa-Affäre: Auswärtiges Amt immer weiter unter Druck

Im Februar 2023 soll eine mutmaßliche pakistanische Agentenfamilie trotz Warnung der deutschen Botschaft Islamabad nach Deutschland geflogen sein. Darüber hinaus sind überzeugende Identitätspapiere nach Auffassung des Auswärtigen Amt für ein Visum nicht mehr nötig. Die CDU-Fraktion im Bundestag denkt über einen U-Ausschuss nach.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußert mit Blick auf die Ankündigungen, auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben, Bedenken. (Archivbild)
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat noch immer Bedenken, Schwerstkriminelle nach Syrien und Afghanistan abzuschieben. (Archivbild)Foto: Soeren Stache/dpa
Von 31. Juli 2024

In der seit Februar 2023 schwelenden Visa-Affäre im Zuständigkeitsbereich von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sind in den vergangenen Tagen neue Details ans Licht gekommen. Demnach hat das Auswärtige Amt (AA) vor rund anderthalb Jahren womöglich auch mutmaßlichen pakistanischen Agenten den Weg nach Deutschland frei gemacht. Das Magazin „Cicero“ hatte als erstes Medium darüber berichtet.

Nach Informationen des „Focus“ habe das AA vertraulichen Unterlagen zufolge den Großteil einer Familie einfliegen lassen, deren Angehörige heimlich für den pakistanischen ISI arbeiten könnten. Die Botschaft in Islamabad habe das AA vor ihrer Aufnahme gewarnt, aber nur teilweise Gehör gefunden. Da die Bundesrepublik seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 keine Botschaft mehr unterhält, ist die pakistanische Hauptstadt Islamabad der Hauptanlaufpunkt für Afghanen, die nach Deutschland wollen.

Botschaft: „Dringender Verdacht auf inszenierten Fall“

Anfangs seien fünf der sieben angeblich afghanischen Familienmitglieder im Februar 2023 ausgereist, so der „Focus“ unter Berufung auf den „Cicero“. Seitdem hielten sie sich in Deutschland auf. Lediglich dem mutmaßlichen Familienoberhaupt – einem selbst erklärten Friseur – und einem seiner angeblichen Söhne habe das AA später eine ebenfalls bereits erteilte Aufnahmezusage wieder entzogen.

Die Botschaft in Pakistan habe dem AA zuvor mitgeteilt, dass die gesamte Gruppe von pakistanischen Behörden „absichtlich mit afghanischen Identitäten ausgestattet worden sein“ könnte. Man habe den „dringenden Verdacht“ geäußert, dass es sich um einen „inszenierten Fall“ handele. Den Ausschlag dafür hätten widersprüchliche Aussagen des mutmaßlichen Vaters in der Visastelle Islamabad und seine Dokumente gegeben. Manche davon seien augenscheinlich von pakistanischen Regierungsstellen ausgefertigt worden.

AA: Bei Visumwunsch absolute Gewissheit über Identität „nicht erforderlich“

Wie der „Focus“ unter Berufung auf den „Business Insider“ (Bezahlschranke) berichtet, hätten zudem viele deutsche Botschaften vor einigen Tagen eine schriftliche Anweisung vom AA bekommen, nach der sie ihr Urteil über eine Visavergabe nicht mehr davon abhängig machen sollen, welche amtlichen Dokumente ihnen vorgelegt würden. „Es ist nicht erforderlich, dass die Behörde mit absoluter Gewissheit die Richtigkeit des Sachverhalts feststellen muss“, heißt es unter anderem in dem AA-Schreiben. Vielmehr sei eine „Ablehnung allein aufgrund nicht vorliegender Belege nicht möglich“. Das gelte insbesondere in Staaten mit unzuverlässigem Dokumentenwesen.

Das AA gebe jedenfalls dem Prinzip „Alternative Glaubhaftmachung“ den Vorzug. Laut „Focus“ könne bereits ein Impf- oder Schülerausweis, ein Hochzeitsfoto oder eine Zeugenaussage genügen – je nach persönlicher Einschätzung des Botschaftsmitarbeiters.

Dieser deutsche „Sonderweg“ sorge bei manchen deutschen Botschaftsbeamten für Frustration, weil diese das Nachweisprinzip in sein Gegenteil verkehrt sähen: Die ganze Idee der Zuzugssteuerung durch den aufnehmenden Staat werde auf den Kopf gestellt. Außerdem würden die Visaverfahren nun länger dauern.

Die wichtigsten Stationen der Visa-Affäre

Doch zurück zur Familie der mutmaßlich pakistanischen Agenten. Als die Gruppe im Februar 2023 nach Deutschland geflogen sei, galt bereits seit rund vier Monaten das „Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan“, mit dem die Ampelregierung monatlich mindestens 1.000 sogenannte Ortskräfte oder besonders gefährdete Menschen mitsamt ihrer Familien vor dem Zugriff der Taliban schützen wollte.

Schon Anfang März 2023 hatte der „Cicero“ darüber berichtet, dass dieses Aufnahmeprogramm auch von Islamisten und Scharia-Gelehrten genutzt wurde, um nach Deutschland zu gelangen. Als Quelle berief sich „Cicero“ auf ein vertrauliches Schreiben des deutschen Botschafters in Pakistan an das AA, in dem der Diplomat seinen Missbrauchsverdacht am 22. Februar desselben Jahres gemeldet hatte.

Vermutlich auf Druck des „Cicero“-Berichts ließ Baerbock das Bundesaufnahmeprogramm Ende März 2023 „vorübergehend“ einstellen. Auf der Website des Bundesinnenministeriums (BMI) heißt es heute lediglich, dass das Programm bis zur Bundestagswahl 2025 fortgesetzt werden soll.

Das AA setzt laut „Cicero“ jedenfalls seit Anfang April 2023 auf eine „zusätzliche Sicherheitsbefragung“ in Islamabad, „um Täuschungsversuche zu unterbinden“. Vor Ort abkommandiert wurden dafür nach Angaben der „Welt am Sonntag“ (WamS) Kräfte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundespolizei.

Zuvor hatte sich Baerbock laut „Cicero“ (Bezahlschranke) stets gegen entsprechende Forderungen aus dem BMI gesträubt, höhere Sicherheitsstandards bei der Aufnahme von Afghanen zu etablieren.

Staatsanwaltschaften ermitteln bereits

Im Juli 2023 folgte der nächste Paukenschlag, als bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft Berlin schon seit Mai wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung unter anderem gegen den Leiter des AA-Referats für Visumrecht ermittelte. Der Beamte soll die deutsche Botschaft in Islamabad im Dezember 2022 mit Nachdruck angewiesen haben, einem gewissen Mohammed Ali G. ein Visum auszustellen, obwohl dieser seine Identität nicht zweifelsfrei nachweisen konnte. Nachdem die Auslandsvertretung vor Ort der Anweisung nicht nachgekommen sei, soll sich auch „ein ranghöherer Mitarbeiter“ des Außenministeriums (Organigramm: PDF) für die Wünsche des auswanderungswilligen Mannes starkgemacht haben.

Hinter der ursprünglichen Verdachtsanzeige, die die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hatte (Az: 235 UJs 848/23), soll ein früherer BMI-Mitarbeiter stecken. Die AfD-Fraktion im Bundestag hatte unter dem Aktenzeichen 235 Js 3173/23 ebenfalls Strafanzeige gestellt – ganz konkret gegen den Referenten für Visumrecht im AA.

19 oder Tausende Fälle?

Vor einem Monat, Ende Juni 2024, bestätigte das AA, dass inzwischen sogar drei Ermittlungsverfahren gegen verschiedene Ministeriumsmitarbeiter liefen. Damit beschäftigt seien mittlerweile die Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus. Die Tatverdächtigen könnten deutsche Botschaften und Konsulate angewiesen haben, Visa auch an solche Einreisewillige zu verteilen, die unvollständige oder gefälschte Papiere vorgelegt hatten. Die Staatsanwaltschaften schweigen sich über den Stand der Dinge aus.

Während das AA zunächst wenige „Einzelfälle“ im Zusammenhang mit der Einreise afghanischer Staatsangehöriger eingeräumt hatte, gibt es laut „Focus“ heute 19 Fälle zu. Das Münchener Nachrichtenblatt vermutet selbst mehrere tausend Personen, die innerhalb der vergangenen fünf Jahre womöglich unrechtmäßig nach Deutschland gelangt sein könnten. Es handele sich vorwiegend um Syrer, Afghanen und Türken, aber auch um Afrikaner und Menschen mit pakistanischer Staatsangehörigkeit. Ein Großteil von ihnen soll Asyl beantragt haben.

Nach „Focus“-Angaben wurden ungeachtet der aktuellen Visa-Affäre seit 2018 beinahe 12.000 Flüchtlinge per „Sonder-Einreiseliste“ ohne Pass in Deutschland aufgenommen. Sie stammten vorwiegend aus den Palästinensergebieten, aus Eritrea, Somalia, Syrien und auch aus Afghanistan. Über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan seien auch Gefährder in der Rolle von Ortskräften gegen den Willen der Botschaft nach Deutschland gelangt.

Auch die „Welt am Sonntag“ hatte Mitte Juli 2024 erfahren, dass die Kriminalpolizei tatsächlich „eine hohe vierstellige Anzahl an Visa-Genehmigungen“ überprüfe und ihre Ergebnisse regelmäßig an die Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus weiterleite. Die Bundespolizei – jene Behörde, die auch für die Visaprüfung an Flughäfen im In- und Ausland zuständig ist – habe deutsche Visa aus Islamabad jedenfalls schon mehrfach annulliert, weil sie Sicherheitsbedenken gehabt oder Mängel in den Papieren festgestellt habe.

Am Flughafen Islamabad sei es zudem schon vorgekommen, dass Bundespolizisten deutsche Diplomaten gebeten hätten, Visa rückwirkend für nichtig zu erklären. Wie oft genau, wolle die Bundespolizei mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht verraten, so die WamS. Auch das AA und das BMI schwiegen sich zu Zahlen aus.

CDU-Fraktion denkt über U-Ausschuss nach – Baerbock mit wenig konkreter Stellungnahme

Der Bundestagsabgeordnete Detlef Seif (CDU) diskutiert laut WamS bereits fraktionsintern über die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre. Nach Informationen des „Focus“ wäre auch sein Parteikollege Alexander Throm dafür, der innenpolitische Fraktionssprecher im Bundestag. Er habe auch die mangelnde Auskunftsfreudigkeit des AA zur Visa-Affäre kritisiert: Das AA berufe sich auf „eine geheime Verschlusssache“ und lasse „jegliche Transparenz vermissen“.

Am 25. Juli 2024 hatte Baerbock laut „Cicero“ – von einer RTL/ntv-Reporterin in Flensburg auf die Visa-Affäre angesprochen – lediglich gesagt, dass es „Sinn und Zweck von den Sicherheitsbehörden“ vor Ort sei, „in Sicherheitsinterviews [zu] überprüfen, ob alles nach Recht und Ordnung“ zugehe. Wenn festgestellt werde, dass ein Antragsteller nicht die Wahrheit gesagt habe, erhalte dieser kein Visum.

Zu den Ermittlungsverfahren in ihren Ressorts und zum Fall der mutmaßlichen pakistanischen Agentenfamilie äußerte sich Baerbock nicht.

Baerbock sieht Abschiebungspläne kritisch

Während Bundeskanzler Olaf Scholz und BMI-Chefin Nancy Faeser (beide SPD) sich zuletzt grundsätzlich offen für Abschiebungen von Schwerverbrechern aus Syrien und Afghanistan gezeigt hatten, lehnt Baerbock so etwas weiter strikt ab.

„Ich glaube, dass es gerade in solchen unsicheren Zeiten nicht ein Beitrag zur Sicherheit ist, wenn man Dinge verspricht, wo man dann am nächsten Tag schon nicht mehr ganz weiß, wie man die eigentlich halten kann“, erklärte Baerbock nach Informationen der „Berliner Zeitung“.



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