Vielfältige Bedrohungen von Sicherheit und Demokratie: Geheimdienste warnen vor Russland, Rechtsextremen und Islamisten

Russland, Rechtsextreme und radikale Islamisten: Drei Bedrohungen Deutschlands haben am Montag die Fragerunde im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags geprägt. Die Leiter der drei Geheimdienste des Bundes äußerten sich zum aktuellen Stand der Dinge.
Thomas Haldenwang ist Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Bundesamt dementierte, eine Liste mit unliebsamen Wissenschaftlern erhalten zu haben.
Thomas Haldenwang (CDU), der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sieht den Rechtsextremismus nach wie vor als größte Gefahr für die Demokratie.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 14. Oktober 2024

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Die drei Präsidenten der Geheimdienste des Bundes haben sich am Montag, 14. Oktober, öffentlich der jährlichen, dieses Mal dreistündigen Fragerunde des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags gestellt.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stand dessen Präsident Thomas Haldenwang (CDU) Rede und Antwort. Als Vertreterin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) war Martina Rosenberg vertreten. Für den Bundesnachrichtendienst (BND), den Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik, gab Bruno Kahl Auskunft.

Vor allem Kahl und Haldenwang kamen immer wieder auf den Rechtsextremismus, auf islamistischen Terror, besonders ausführlich aber auf mutmaßliche Aktivitäten und Desinformationskampagnen des Kreml in Deutschland zu sprechen.

Russland als international größte Gefahr

Aus dem „Sturm“ Russland sei innerhalb eines Jahres ein „veritabler Hurrikan“ geworden, dessen „Ausläufer“ Deutschland nun erlebe, erklärte BfV-Chef Haldenwang. Um sein Ziel einer „neuen Weltordnung“ zu erreichen, attackiere der russische Präsident Wladimir Putin die sozialen Netzwerke mit Cyberangriffen, Desinformation und Propaganda und sorge dafür, dass deutsche Politiker russische Politik betrieben – auch im EU-Parlament.

Stets gehe es dabei um ein Ziel: die Spaltung der deutschen Gesellschaft. „Dazu bedient man sich aktueller Krisen“, so Haldenwang. So habe es „Desinformationskampagnen“ während der Corona-Zeit und der Energiekrise gegeben. Auch beim Thema Migration und Klimapolitik mische der Kreml hinter den Kulissen mit: „Russland wird diese Themen nutzen, um diese Risslinien zu vertiefen, die Spaltung zu bewirken.“

„Wir warnen seit Jahren vor russischen Einflüssen“, so Haldenwang kurz zuvor. Die „Zeitenwende für unser Amt verorte ich in den frühen 90er-Jahren“. 2018 hätten die russischen Aktivitäten bereits ein „Ausmaß wie im Kalten Krieg“ umfasst. Die Spionageabwehr sei aber entsprechend aufgestellt worden. Was seither aus Richtung Moskau passiert sei, sei für ihn jedenfalls nicht überraschend gewesen.

BND: „Putin hat Feinderklärung vorgenommen“

BND-Präsident Kahl wurde noch deutlicher: „Der Kreml sieht die BRD als Gegner“, so Kahl. Putin habe längst eine „Feinderklärung“ gegenüber Deutschland vorgenommen. Die Frage nach einem NATO-Bündnisfall stehe im Raum, eine direkte Konfrontation sei inzwischen eine „Handlungsoption für Moskau“.

Putin strebe die Militarisierung der russischen Gesellschaft an, wolle die NATO aus Europa herausdrängen, die „roten Linien des Westens austesten“ und die „Unversöhnlichkeit manifestieren“. Dass der Kreml-Chef die NATO noch vor einem möglichen Kriegsbeginn spalten wolle, bedeute eine „massive Herausforderung für die Sicherheit“.

Auch BAMAD-Präsidentin Rosenberg berichtete von einem „deutlichen Zuwachs an Sabotage- und Spionagetätigkeiten“, auch im Kontext der Ausbildung ukrainischer Streitkräfte in Deutschland. Wie zudem die Taurus-Abhöraffäre gezeigt habe, sei eine „effektive Cyberabwehr nötiger denn je“. Zudem hätten regierungskritische Narrative die Mitte der Gesellschaft erreicht, auch in der Bundeswehr. Dort verfolge man allerdings eine „Null-Toleranzlinie gegen Extremisten“.

Rechtsextremismus als größte Gefahr für Demokratie

Die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland geht nach Darstellung des BfV-Präsidenten Haldenwang allerdings noch immer vom Rechtsextremismus aus.

In Thüringen habe eine Partei, deren Namen er nicht nennen wollte, erst jüngst „demokratische Prozesse ad absurdum geführt“. So interpretierte Haldenwang die Tatsache, dass der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler die konstituierende Sitzung des Erfurter Landtags vor wenigen Wochen strikt nach den Vorgaben der Geschäftsführung hatte leiten wollen. Der Verfassungsgerichtshof hatte dies wie die übrigen Landtagsfraktionen als nicht korrekt angesehen und Treutler einen anderen Ablauf vorgeschrieben. Danach ging formal alles glatt über die Bühne. Haldenwang nannte die Auseinandersetzung „vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht“.

Zur Frage des CDU-Verteidigungspolitikers Roderich Kiesewetter, wie stichhaltig die Belege des BfV seien, dass die AfD „aggressiv-kämpferisch“ gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ agiere, bat Haldenwang um Nachsicht für seine „schmallippige“ Antwort: „Bisherige Verfahren zur Einstufung haben die Auffassung meines Hauses vollumfänglich bestätigt“, erklärte der Verfassungsschutzchef, „wir lassen da nicht das Geringste nach“. Noch im Laufe des Jahres 2024 werde die Öffentlichkeit mehr dazu erfahren.

Klar sei schon jetzt, dass nicht nur der Rechtsextremismus, sondern auch der Linksextremismus von Russland unterstützt werde, wie Haldenwang zu Protokoll gab: „Die Ränder werden unterstützt, um in der Mitte den Keil hineinzusetzen“. Bei „den Rechten“ stoße dies auf offene Ohren, da diese „Putin als die autoritäre Führungsfigur“ sähen, die sie sich auch in Deutschland wünschten. Moskaus Einfluss sei von daher beim Rechtsextremismus noch stärker als beim Linksextremismus.

Amerikanischen Nachrichtendiensten zufolge verfüge der Kreml über ein Budget von 300 Millionen Euro, um weltweit Parteien und Kandidaten zu schmieren. „Es sind aber keine Mittel daraus nach Deutschland geflossen“, erklärte der BfV-Chef. „Daraus darf man aber nicht den Umkehrschluss ziehen, es gäbe diese Mittel nicht. Wir haben es da mit einem strukturellen Problem zu tun.“

Islamisten werben im Internet um junge Muslime

Man müsse allerdings stets zwischen „Gefahren für die Demokratie“ und „Gefahren für die innere Sicherheit“ unterscheiden, betonte der BfV-Chef. Bei Letzterem habe er primär den „Islamismus und den islamistischen Terrorismus“ als „aktuell die größte Herausforderung für die Sicherheit im Lande“ und auch im Internet ausgemacht.

Die „Propaganda des IS [„Islamischen Staates“] zeigt Wirkung“, so Haldenwang, und zwar weniger in Moscheen oder bei Veranstaltungen, sondern in den sozialen Medien. Vor allem über die Plattformen TikTok und Telegram würden die Köpfe junger Muslime erreicht. Die Krise in Nahost fungiere dabei als „Brandbeschleuniger“, mit dem die Radikalisierung weiter voranschreite.

Die als islamistisch eingestufte Hamburger Gruppe Muslim Interaktiv betrachte er selbst zwar als „bedrohend für die Demokratie“. Die Anzahl jener Menschen, die hinter der Bewegung stünden, sei aber „überschaubar“ und bedeute von daher „weniger Gefahr für die Demokratie“ als der Rechtsextremismus. Dieser sei nach wie vor eine „hohe Gefahr auch für die Sicherheit“, ergänzte Haldenwang. Entscheidungen über Vereinsverbote lägen allerdings nicht in seinem Zuständigkeitsbereich, sondern direkt beim Bundesinnenministerium.

„Neue Dimension“ antisemitischer Straftaten

Besonders vom Islamismus betroffen seien jüdische Menschen: Die Zahl antisemitischer Straf- und Gewalttaten sei 2024 „in neue Dimensionen gestoßen“. Für ihn sei es eine Schande, wenn Juden nicht mehr Kippa tragen könnten oder sich jüdische Studenten nicht mehr auf die Straße trauten, sagte Haldenwang. Zu den Aggressoren gehörten im Übrigen inzwischen auch andere Akteure, säkulare Gruppierungen und auch „Teile des deutschen Linksextremismus“.

Eher am Rande ging es bei der Fragerunde um Bedrohungen aus Staaten wie China, dem Iran, der Türkei oder Aserbaidschan. Diese Staaten würden versuchen, „Oppositionelle in der Diaspora“ unter Druck zu setzen, erklärte Haldenwang. Das BfV stehe hier „im engen Austausch, auch mit Polizeibehörden“.

Auch Russland verfolge seine Regierungskritiker im Ausland, wie BND-Präsident Kahl sogleich nachschob: Die entsprechenden Tendenzen seien „nicht mehr nur autoritär, sondern totalitär, mit immer mehr Personal und Aufwand. Niedrige Anlässe wie Meinungsäußerungen sind ausreichend“, so Kahl.

Alle drei Dienste-Präsidenten wünschten sich für die anstehenden Gesetzesnovellen mehr Personal, eine modernere materielle Ausstattung, weniger Bürokratie und generell mehr Befugnisse, um den diversen Bedrohungslagen Herr bleiben zu können.

Nach den Worten Haldenwangs bestehe beim Verfassungsschutz eine Arbeitsauslastung wie noch nie, das BfV fahre „auf Volllast“. Weil es überall brenne, bestehe auch keine Möglichkeit einer „Umpriorisierung“. Für hilfreich erklärte er weitere Befugnisse und Erleichterungen sowohl bei der Spionageabwehr als auch bei der Überwachung von Kommunikations- und Geldflüssen von Extremisten. Heute bedürfe es KI-gestützter Software, um die massenhaften Datenströme maschinell auswerten zu können. Wichtig sei ihm aber auch, das „zurückgewonnene Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten“.

Die Zusammenarbeit untereinander und auch mit anderen Behörden beschrieben alle drei Geheimdienstspitzen insgesamt als gut oder, wie Rosenberg sagte, gar als „besser denn je“. Für künftige Gesetzesnovellierungen wünschte sich die BAMAD-Chefin weitgehendere Befugnisse für das Ausland, insbesondere für Litauen. Denn auch für die dort geplante MAD-Stelle bedürfe es einer neuen Gesetzgebung.

BND-Chef Kahl wünschte sich eine „Befugnis zur aktiven Cyberabwehr“. Ähnlich wie Haldenwang forderte er „eine Ermächtigungsgrundlage, um mit Datenmassen operieren zu können“. Das aber würde aus seiner Sicht eine Änderung des Grundgesetzes voraussetzen. Auch der Austausch mit der Bundeswehr müsste nach Kahls Meinung besser werden.

Konstantin von Notz (Grüne), der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollausschusses, signalisierte trotz der angespannten Haushaltslage Verständnis für die Anliegen der Behördenleiter: „Wir brauchen nachrichtendienstliche Reformen und mehr Personal“, so von Notz, „da haben sie unsere volle Unterstützung“.



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