Viele Worte, wenig Taten: Hessische Abschiebepläne werden erst geprüft
Seit dem 27. Februar 2024 ist das lange umstrittene Rückführungsverbesserungsgesetz in Kraft. Am frühen Abend desselben Tages veröffentlichte die „Bild“ bereits einen Artikel, der von der Entschlossenheit der hessischen Landesregierung kündete, die Zügel gegenüber „Flüchtlingen ohne Bleiberecht“ fortan stärker anzuziehen. Der Tenor: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) wolle dafür sorgen, dass die Betroffenen bis zu ihrer Abschiebung in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben und nicht länger auf die hessischen Kommunen verteilt werden.
Dafür soll das Landesaufnahmegesetz verändert und auch eine Bundesratsinitiative gestartet werden. Der „Bild“ zufolge stellte Rhein klar: „Wer Hilfe braucht und ein Asylrecht hat, den nehmen wir auf. Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt und kein Asylrecht erhält, den schieben wir ab.“
Die Epoch Times schickte der hessischen Landesregierung daraufhin einen Fragenkatalog, um Details zur Umsetzung der schwarz-roten Koalitionspläne zu erfahren.
„Umsetzung wird derzeit im Detail geprüft“
Die Frage, wann genau mit der angekündigten Änderung von Paragraf 1 des Landesaufnahmegesetzes (AufnG) zu rechnen sei, nach dem noch immer Bewerber auf die Landkreise und Gemeinden verteilt werden können, obwohl ihr Asylantrag bereits „bestands- oder rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen“ wurde, verwies eine Sprecherin des hessischen Ministeriums des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz auf das Landessozialministerium: Nach dessen Angaben werde „die Umsetzung der Vorhaben des Koalitionsvertrags [PDF-Datei] derzeit im Detail geprüft“. Das gelte auch allgemein für die von der „Bild“ kolportierten Abschiebepläne der Landesregierung: Es werde „landesübergreifend […] daran gearbeitet, das geltende Aufenthaltsrecht konsequent durchzusetzen“.
Die „Bild“ berichtete zudem, dass das Land Hessen die Bundesregierung per Bundesratsinitiative auffordern wolle, jene Herkunftsländer generell als „sicher“ einstufen zu lassen, deren Staatsbürger zu weniger als fünf Prozent als asylberechtigt anerkannt würden. Den Zeitpunkt dafür konnte die Sprecherin nicht nennen: Es werde „noch geprüft“, „wann die Bundesratsinitiative eingereicht“ werde. Über die Herkunftsstaaten, die dafür überhaupt infrage kommen könnten, machte sie trotz Nachfrage keine Angaben.
Rückführungsabkommen Sache der Ampel
Die hessische Landesregierung besäße gar keine eigene Befugnis, selbst darüber zu entscheiden, wie mit jenen abgelehnten Asylbewerbern umzugehen sei, mit deren Heimatländern es keine Rückführungsabkommen gebe. Denn dafür sei „die Bundesregierung“ zuständig, stellte die Sprecherin des hessischen Landesinnenministeriums klar. Dasselbe gelte, wenn es um Fragen der unbegrenzten Duldung oder etwaige Drittstaatenlösungen gehe: „Die Zuständigkeit hat in diesen Fragen die Bundesregierung“.
Mindestens 540 abgelehnte Asylsuchende warten auf Abschiebung
Die Sprecherin teilte ebenfalls unter Verweis auf das Landessozialministerium mit, dass sich „aktuell ca. 540 Personen mit abgelehntem Asylantrag“ in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Hessen (EAEH) befänden. Wie viele andere bereits in sonstigen Sammelunterkünften, in kommunalen oder privaten Wohnungen untergekommen seien, darüber lägen „keine Statistiken“ vor.
Wie viele abgelehnte Asylantragsteller ohne Bleiberecht sich insgesamt in Hessen aufhielten, sei beim Ausländerzentralregister (AZR) des Bundesverwaltungsamts (BVA) zu erfragen. Das BVA leitete die Nachfrage der Epoch Times „zuständigkeitshalber“ an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiter. Eine Antwort stand bis zum Redaktionsschluss am 4. März noch aus.
Manche Statistiken fehlen
Über die Zeitspanne, die normalerweise zwischen der Ablehnung eines Asylantrags und der Abschiebung des erfolglosen Antragstellers besteht, konnte die Sprecherin lediglich die Angabe machen, dass dies „von verschiedenen Faktoren und individuellen Umständen abhängig“ sei. Es gab keine Einordnung, ob es sich in der Regel um Tage, Wochen, Monate oder Jahre handelt.
Wie viele abgelehnte Asylsuchende sich in Hessen jeden Monat oder jedes Jahr – prozentual oder absolut – durch Untertauchen einer Abschiebung entziehen, sei unbekannt: „Eine statistische Erfassung liegt für den Parameter ‚abgelehnter Asylbewerber‘ bei den gescheiterten Abschiebungen nicht vor“, antwortete die Sprecherin. Zudem existierten „keine Statistiken über die Kosten von Rückführungen in automatisierter Form“.
Arbeitspflicht: „Keine weitergehenden Vorgaben“ geplant
Und wie hält es das Land Hessen mit dem Vorschlag des Deutschen Landkreistags und der Union im Bundestag, eine Arbeitspflicht für alle Asylbewerber in Deutschland zum Regelfall zu machen, wie es gemäß Paragraf 5, Absatz 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) juristisch möglich wäre?
„Das Land plant derzeit keine weitergehenden Vorgaben“, schrieb die Sprecherin der hessischen Landesregierung unter abermaligem Bezug auf das Sozialministerium. Nach dessen Angaben obliege die Ausführung „nach der genannten Zuständigkeitsverteilung den Kreisen und kreisfreien Städten“.
Der erst am 9. Februar 2024 ins Amt gerückte Landrat im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis, Christian Herrgott (CDU), nutzt die Option bereits. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hält eine solche Arbeitspflicht dagegen nur im Einzelfall für sinnvoll. Er will die Betroffenen lieber „dauerhaft in sozialversicherungspflichtige Arbeit“ bringen.
Abschiebungen von Intensivtätern oft nicht möglich
Wie auch das Beispiel Sachsen zeigt, hängt eine Abschiebung noch immer häufig daran, dass keine Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern bestehen oder Bürgerkrieg eine Rückkehr als unzumutbar verhindert. In Sachsen sind derzeit allein 1.415 Asylsuchende oder ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber gespeichert, die auch als sogenannte „Intensivtäter“ bleiben dürfen.
Nach Informationen des Bundesamts für Statistik wurden im Jahr 2023 genau 16.430 Personen aus Deutschland abgeschoben – ein Plus von 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2022 waren knapp 13.000 Menschen abgeschoben worden. Zum Vergleich: Derselben Quelle zufolge stellten 2023 knapp 352.000 Menschen einen Antrag auf Asyl in Deutschland. 2022 waren es „nur“ noch gut 244.000 gewesen. Das Jahr mit der höchsten asylbedingten Zuwanderung nach Deutschland war 2016. Damals begehrten offiziell 745.545 Menschen Schutz.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 genießen zudem rund 1,14 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine einen speziellen Schutzstatus: Sie müssen keinen Asylantrag stellen und haben trotzdem Anspruch auf Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Geldleistungen. Wie das Bundesamt für Statistik mitteilte, lässt sich die „exakte Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine, die die Bundesrepublik erreicht bzw. verlassen haben, […] nicht mit Sicherheit feststellen. Einige Personen könnten weitergereist oder zurück in die Ukraine gegangen sein“.
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