Verfassungsschutzchef Kramer über AfD in Thüringen: „Das ist das Niveau von Staatszersetzung“

Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer hat die Mitglieder der AfD als „Verfassungsfeinde“ bezeichnet, die auf das „Niveau von Staatszersetzung“ hinarbeiten würden. Anlass war die konstituierende Sitzung im Thüringer Landtag, bei der der AfD-Alterspräsident sich strikt an die Geschäftsordnung halten wollte.
Titelbild
Björn Höcke und Mitglieder der AfD-Fraktion bei der ersten Sitzung des neu gewählten Thüringer Landtags.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 30. September 2024

Stephan Kramer (SPD), der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz in Thüringen, hat der AfD anlässlich der Ereignisse während der konstituierenden Sitzung des Landtags vorgeworfen, staatszersetzende Ziele zu verfolgen. Das berichtet der „Focus“ unter Berufung auf das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. Wörtlich habe Kramer gesagt:

Das war letzte Woche nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet. Und das ist das Niveau von Staatszersetzung, wenn man sich insbesondere anschaut, wie mit dem Landesverfassungsgericht und seinen Richtern umgegangen wird.“

Immerhin, so Kramer, sei es noch gelungen, „die Konstituierung des Verfassungsorgans Landtag störungsfrei und rechtswirksam zu vollenden und einen Präsidenten zu wählen“. Es sei „schon mal viel wert“, dass nun ein „arbeitsfähiges Landesparlament“ existiere.

Speziell die neuen Abgeordneten im Erfurter Plenarsaal hätten es „zum ersten Mal höchstpersönlich erlebt, mit welchen Mitteln die AfD in Thüringen“ arbeite, so Kramer laut „Focus“. Das schweiße „vielleicht zusammen, wenn es künftig darum geht, Verfassungsfeinden als Demokraten gemeinsam entgegenzutreten“.

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer geht davon aus, dass Rechtsextreme wieder «ganz massiv das Thema Asyl und Flüchtlinge» hochkochen.

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer (Archivbild). Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

AfD: „Klingt nach filmreifer Story aus Sizilien“

Kurz nach Ende der konstituierenden Sitzung im Thüringer Landtag hatte die AfD am frühen Samstagnachmittag auf ihrem X-Kanal die Zusammensetzung der Richterschaft am Landesverfassungsgerichtshof in Weimar und die „Strukturen“ im Umfeld ihrer politischen Gegner scharf kritisiert:

5 Richter mit Parteibuch, einer davon mit einem Sohn, der Abgeordneter der CDU-Fraktion im Landtag ist. Eine über Nacht gelöschte Wikipedia-Seite über Jörg Hopfe, den unflätigen SPD-Landtagsdirektor, der jede Neutralität vermissen ließ. Und eine CDU-Fraktion, die schon einen Tag vorher wusste, dass sie das Verfassungsgericht anrufen würde: Das klingt nicht nach dem beschaulichen Thüringen, sondern eher nach einer filmreifen Story aus Sizilien. All das kommentiert beim MDR übrigens auch noch die ehemalige Landtagsvizepräsidentin & Teilzeit-TV-Moderatorin Dorothea Marx (SPD).“

Streit um Rechtsstandpunkte und Verfassungskonformität

All dem vorausgegangen waren die Ereignisse rund um die konstituierende Landtagssitzung in Erfurt, die die Lager der AfD-Gegner und -Sympathisanten nun gegenteilig bewerten.

Kern der von lautstarken Zwischenrufen und zahlreichen Unterbrechungen geprägten Auseinandersetzungen im Plenum am 26. September 2024 waren unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Frage, wie die Sitzungsleitung durch den Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD) auszusehen hatte.

Treutler hatte seine Aufgabe darin gesehen, die Sitzung streng auf Grundlage der bestehenden Landtagsgeschäftsordnung (GO, PDF) zu führen und der erst kurz zuvor geänderten Tagesordnung aus der Feder der früheren Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) nicht vollständig zu folgen.

Traditionsgemäß wollte Treutler zunächst eine Begrüßungsrede halten, dann die Schriftführer bestimmen und die Namen aller Abgeordneten aufrufen lassen, um die Beschlussfähigkeit des Landtags feststellen zu können. Direkt im Anschluss wollte er den Landtagspräsidenten ohne weitere Aussprache oder Anträge wählen lassen, wie es die GO vorsah.

Doch die übrigen Fraktionen wollten diesen Weg von Anfang an nicht mitgehen: Nicht die GO sei entscheidend, sondern die Landesverfassung. Außerdem wollten sie über die neue Tagesordnung abstimmen lassen.

Thüringer Landtag im Ausnahmezustand

Insbesondere Andreas Bühl, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, fiel Treutler schon zu Beginn seiner Rede immer wieder ungebeten ins Wort, um die Beschlussfähigkeit unverzüglich feststellen zu lassen und eine sofortige Änderung der Geschäftsordnung zu verlangen. Wie im Vorfeld angekündigt, hatten sich die Fraktionen von CDU und BSW nämlich entschlossen, die GO zu ihren Gunsten umschreiben zu lassen. Diesem Ansinnen war Ex-Landtagspräsidentin Pommer in ihrer geänderten Tagesordnung nachgekommen.

CDU und BSW verfolgten unter Zustimmung der SPD und der Linken das Ziel, das Vorschlagsrecht eines Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten in den ersten beiden Wahlgängen nicht mehr allein der größten Fraktion (AfD) zu gewähren, sondern sofort sämtlichen Fraktionen. Als Treutler sich darauf nicht einlassen wollte, beschuldigte Bühl den Alterspräsidenten der „Machtergreifung“. Nach vier Stunden einigten sich die Kontrahenten darauf, den Verfassungsgerichtshof entscheiden zu lassen (Video auf YouTube). Bühl reichte einen entsprechenden Antrag ein.

Der Gerichtshof verlangte daraufhin sogleich eine Stellungnahme Treutlers noch bis zum Freitagmittag, die dieser auch fristgerecht abgab. Am Freitagabend entschieden neun Richter einstimmig, dass Treutler unmittelbar nach der Feststellung der Beschlussfähigkeit über die neue Tagesordnung abzustimmen und infolgedessen GO-Änderungsanträge noch vor der Wahl des Präsidenten zuzulassen habe.

Nachdem nun Klarheit hergestellt war, brachte Alterspräsident Treutler die konstituierende Sitzung am folgenden Samstagvormittag ohne weitere Tumulte nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs über die Bühne (Video auf YouTube).

Keine Stimme der übrigen Fraktionen für AfD-Kandidatin

Die Fraktionen CDU, BSW, Linke und SPD im Landtag brachen mit dem jahrzehntelangen parlamentarischen Brauch, der AfD als stärkster Fraktion den Posten des Präsidenten zu überlassen. Aufgestellt hatte die AfD dafür Wiebke Muhsal.

Stattdessen wurde der CDU-Abgeordnete Thadäus König auch mit den Stimmen von Linken, BSW und SPD gewählt. Der AfD wurde auch der Posten eines Vizepräsidenten verwehrt – als einziger Fraktion im Thüringer Landtag.

Zurück zum kritischen X-Statement der AfD. Nach Recherchen des X-Nutzers Björn Harms handelt es sich beim Verfassungsrichter Jörg Geibert um den früheren CDU-Innenminister von Thüringen. Sein Sohn Lennart Geibert sitzt nun für die CDU Thüringen im Landtag.

Richterin Renate Wittmann (Grüne) wurde wie Geibert im September 2022 vom Landesparlament in den Verfassungsgerichtshof gewählt. Richter Dr. Klaus Hinkel gehört laut Wikipedia der SPD an, Jens Petermann saß nach Wikipedia-Informationen zwischen 2009 und 2013 für die Linke im Bundestag. Petra Reiser-Uhlenbruch bekleidet nebenbei das Amt der Vorsitzenden im SPD-Ortsverein Molschleben.

Auch die übrigen vier Unterzeichner des Beschlusses VerfGH 36/24 vom Freitagabend, nämlich Dr. Klaus von der Weiden, Dr. Lars Schmidt, Barbara Burkert und Prof. Dr. Christoph Ohler, waren nach Informationen von Harms einst auf Vorschlag der Parteien CDU beziehungsweise der Linke (Schmidt) in den Verfassungsgerichtshof berufen worden.

Landtagsdirektor Hopfe kritisierte Alterspräsidenten

Landtagsdirektor Jörg Hopfe (SPD), der am Sitzungsdonnerstag die Platzmikrofone trotz gegenteiligen Bittens vonseiten des AfD-Alterspräsidenten offen gelassen hatte, ließ vor dem zweiten Teil der Sitzung in einem MDR-Interview kein gutes Haar am Verhalten des AfD-Alterspräsidenten: Dieser habe unter anderem die Geschäftsordnungsautonomie der Abgeordneten verletzt und sich nicht an das Neutralitätsgebot gehalten.

Landesverfassungsschutzchef Stephan Kramer hatte sich bereits Mitte Mai im „Deutschlandfunk“ gegen den AfD-Standpunkt verwahrt, nach dem sein Landesamt politisch instrumentalisiert werde, um die AfD zu benachteiligen. Kramer erklärte damals, dass sein Landesamt ausschließlich bei Bedrohung der demokratischen Grundordnung aktiv werde.

Der AfD-Landesverband war von Kramers Behörde schon 2021 als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft worden. Nachdem der AfD-Kandidat Robert Sesselmann im Juni 2023 im Landkreis Sonneberg zum Landrat gewählt worden war, hatte Kramer das im Interview mit dem NDR mit den Worten kommentiert, man könne in Deutschland von „ungefähr 20 Prozent braunem Bodensatz“ ausgehen.

Thüringer Verfassungsschutz ohne parlamentarische Kontrolle

Seitdem am 1. September 2024 bei der Landtagswahl alle bisherigen Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission, die den Verfassungsschutz im Blick hat, ihren Wiedereinzug in den Landtag verpasst hatten, arbeiten die Verfassungsschützer um Kramer unbeaufsichtigt weiter.

Medienberichten zufolge soll die Wahl neuer Kommissionsmitglieder nicht mehr stattfinden, da gemäß Thüringer Verfassung wegen der obligatorischen Zweidrittelmehrheit auch Stimmen der AfD gebraucht würden. Mit 32 von 88 Sitzen im Landtag besitzt der Landesverband unter Björn Höcke nun eine sogenannte Sperrminorität. Die AfD könnte damit im Plenum bestimmte Gesetzesänderungen oder Wahlen blockieren, etwa die Wahl neuer Verfassungsrichter. Um das zu verhindern, plant der Bundesrat eine Grundgesetzänderung (PDF).



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