Urteil im „Alles für“-Fall um Björn Höcke soll am Montag gefällt werden
Der zweite Verhandlungstag im Rechtsstreit um den Ausspruch „Alles für“ durch den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten Björn Höcke (52) ist am Landgericht (LG) Halle am Nachmittag des 26. Juni 2024 ohne Urteil zu Ende gegangen.
Nach Angaben des „Spiegel“ soll das Urteil nun doch erst am Montag, 1. Juli, gesprochen werden. Der Vorsitzende Richter Jan Stengel habe die kurzfristige Ansetzung eines dritten Prozesstages damit begründet, dass mehr Zeit nötig sei, um über verschiedene Anträge zu entscheiden.
Im Raum steht auch dieses Mal der Vorwurf des Verstoßes gegen die Paragrafen 86 und 86a des Strafgesetzbuches (StGB), die sich mit der Verbreitung von Propagandamitteln beziehungsweise von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation befassen. Im Fall einer Verurteilung müsste Höcke eine Geldstrafe zahlen oder für bis zu drei Jahre ins Gefängnis gehen.
„Wenn ich nicht der führende Oppositionspolitiker in Thüringen wäre, dann würde man wahrscheinlich auch nicht so an meinen Fersen heften“, zitiert der „Spiegel“ den angeklagten AfD-Landeschef.
Auslöser: Stammtischrede in Gera
Höcke war am 12. Dezember 2023 während eines Vortrags bei einem AfD-Stammtisch in Gera auf ein anhängiges Ermittlungsverfahren zu sprechen gekommen. Dieses drehte sich um einen Satz, den Höcke schon am 29. Mai 2021 bei einer Wahlkampfrede in Merseburg ausgesprochen hatte: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“. Die Worte „Alles für Deutschland“ sind eine heute verbotene Losung der Sturmabteilung (SA), eine paramilitärische Kampforganisation der NSDAP.
In Gera hatte Höcke allerdings nur noch die Worte „Alles für“ ausgesprochen und dann eine mutmaßlich aufmunternde Geste in Richtung seines Publikums gezeigt. Rund 350 Menschen waren nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vor Ort. Viele von ihnen antworteten prompt mit „Deutschland“ (Video auf YouTube). Für diese Szene war der AfD-Politiker erneut angezeigt worden.
Höcke selbst hatte zuvor immer wieder betont, dass er den historischen Bezug bis zur Strafanzeige vom Herbst 2023 nicht gekannt habe. Er sei stets davon ausgegangen, dass er einen „Allerweltsspruch“ benutze. Von daher betrachte er sich als unschuldig.
Höckes Äußerungen per Landesverfassung geschützt?
Nach Angaben der „Berliner Morgenpost“ hatte ein Antrag der Verteidigung am zweiten Prozesstag schnell für eine zweistündige Unterbrechung gesorgt. Die beiden Höcke-Anwälte hätten darauf gedrängt, das Verfahren auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht einzuschalten. Als Grund hätten sie Artikel 55 der Thüringer Landesverfassung ins Feld geführt.
Demnach dürfen Abgeordnete nicht „gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden“, wenn sie eine Äußerung „in Ausübung ihres Mandats getan haben“. Damit würde das Strafrecht im Fall des MdL Höcke nicht greifen, habe die Verteidigung argumentiert.
Anträge von beiden Seiten – vielfach erfolglos
Die Verteidigung Höckes hatte das Gericht laut mdr zudem gebeten, bestimmte Veröffentlichungen zur SA und zum Nationalsozialismus zur Kenntnis zu nehmen. Der Richter möge auch jene Historiker zu Wort kommen lassen, die den Standpunkt Höckes zu dem SA-Spruch untermauern sollten. Der ehemalige Geschichtslehrer vertritt die Ansicht, dass der Slogan in der NS-Zeit nicht weit verbreitet gewesen sei: Es solle sich nicht um eine Parole von zentraler Bedeutung gehandelt haben.
Das Verteidigerteam beantragte nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ außerdem, die Teilnehmer jenes AfD-Stammtisches, bei dem Höcke „Alles für“ gesagt hatte, zu ermitteln und zu befragen. Sie könnten womöglich aussagen, dass sie sich durch diese beiden Worte keineswegs animiert gefühlt hatten, den strafbewehrten Dreiklang zu vollenden.
Schon am Morgen des zweiten Prozesstages hatte Höcke das Verfahren auf seinem X-Kanal als „Farce“ und „Schauprozess“ bezeichnet und auf einen Artikel des Rechtsanwalts Ansgar Neuhof verlinkt, der seine Sichtweise auf den Streitfall stützt. Diese Analyse zur Geschichte des Ausspruchs „Alles für Deutschland“ war am 20. Mai im Onlinemagazin „Achse des Guten“ erschienen.
Historiker als Zeuge abgelehnt
Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft in Gestalt von Ankläger Benedikt Bernzen einen sachverständigen Historiker in den Zeugenstand rufen wollen, der grundsätzlich über die Historie des Slogans referieren sollte. Doch das lehnte der vorsitzende Richter Jan Stengel nach Informationen des mdr ab: Der Historiker habe sich bereits öffentlich negativ über die AfD geäußert. Mit den Worten „Wir haben ihn abgeladen, weil das geht einfach nicht“, hatte Stengel nach Informationen der SZ die überraschende Nichtzulassung begründet.
Bernzen wollte nach „Spiegel“-Angaben zudem ein Video vorführen lassen, in dem der Angeklagte von „politische Schauprozessen“ gesprochen habe. Diese würden aufgearbeitet werden, wenn die AfD an die Macht gekommen sei, habe Höcke darin gesagt. Für diesen Fall habe Höcke außerdem die Rückkehr einer „freien Justiz“ angekündigt. Bernzen habe das als einen „persönlichen Rachefeldzug gegen die beteiligten Juristen“ gewertet: Höcke zeige also weder Einsicht noch Reue. Das Gericht habe das Video nicht zugelassen.
Der erste Verhandlungstag und seine Vorgeschichte
Der „Alles für“-Prozess hatte am vergangenen Montag, 24. Juni 2024, unter dem Vorsitz von Jan Stengel begonnen – demselben Landrichter, der Höcke bereits am 14. Mai 2024 für den vollen Dreiklang verurteilt hatte. Stengel hatte Höcke damals nicht glauben wollen, dass er nichts vom historischen Hintergrund gewusst habe: „Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt“, so die Überzeugung des Richters. Höcke soll demnach 13.000 Euro Strafe zahlen.
Der Urteilsspruch Stengels ist allerdings bisher nicht rechtskräftig, denn die Strafverteidigung legte Revision ein. Nach Informationen des ZDF liegt der Fall nun beim Bundesgerichtshof. Sollte sich das Urteil bestätigen, droht Höcke wegen des Strafmaßes von 100 Tagessätzen ein Eintrag im Bundeszentralregister und im Führungszeugnis. Er wäre damit vorbestraft.
Höcke rechnet mit erneuter Verurteilung
Das droht Höcke nun wieder. Schon am ersten Verhandlungstag zum Streitfall Gera hatten seine beiden Strafverteidiger nach Informationen des mdr eine Reihe von Anträgen gestellt. Ihr Versuch, das Verfahren einstellen zu lassen, war allerdings gescheitert. Aus Sicht des Höcke-Teams wäre das Landgericht Halle gar nicht zuständig. Zudem sähen sie ihren Mandanten wegen des medialen „Trommelfeuers“ bereits vorverurteilt. Ein faires Verfahren sei von daher unmöglich. Auch Höcke persönlich habe sich in diesem Sinne zu Wort gemeldet:
Ich bin auch in diesem Sachverhalt völlig unschuldig. Ich weiß, dass ich verurteilt werde. Aber das fühlt sich für mich nicht gerecht an. Und das ist für mich dann auch kein Rechtsstaat mehr.“
Auf dem AfD-Stammtisch in Gera habe er nicht damit gerechnet, dass die Zuhörer das dritte Wort aussprechen würden, so Höcke laut mdr. Er sehe es nicht so, dass er die Leute bewusst dazu aufgefordert hätte. Vielmehr habe er „ganz bewusst“ den Satz in Gera nicht vollendet, „um deutlich zu machen, dass ich unschuldig bin und mitnichten einen Vorsatz hatte“, so Höcke laut „Welt“.
Staatsanwalt Bernzen hatte die gegenteilige Meinung vertreten. Immerhin habe Höcke ja zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass der Ausspruch „Alles für Deutschland“ strafbar sei. In der Tat war zum Zeitpunkt des Gera-Vorfalls bereits eine Strafanzeige erfolgt, Höckes Immunität aufgehoben und ein erstes Hauptverfahren eröffnet worden.
Weiteres Verfahren vor Landgericht Mühlhausen anhängig – Auftakttermin unklar
Björn Höcke wird sich zudem demnächst einem weiteren Verfahren stellen müssen – dann vor dem Landgericht im thüringischen Mühlhausen. Hintergrund sind dabei einige Sätze, die der Politiker im Jahr 2022 auf seinem Telegram-Kanal gepostet hatte.
Damals hatte er sich zu einem Messerangriff in Ludwigshafen geäußert, bei dem ein Somalier zwei Handwerker auf offener Straße getötet hatte. Gegen Höcke steht deswegen der Vorwurf der Volksverhetzung im Raum. Ein Termin für den Auftakt dieser Verhandlung steht noch nicht fest.
Landtagswahl am 1. September
In Thüringen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt. Mit fünf Punkten Abstand führt Björn Höckes Partei die Umfragen an: Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap stellte im Auftrag des mdr zuletzt am 16. Juni fest, dass 28 Prozent der Thüringer Wahlberechtigten sich für die AfD entscheiden würden.
Die AfD Thüringen wird wie die Landesverbände in Sachsen und Sachsen-Anhalt vom jeweiligen Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Auch Höcke selbst wird als „Rechtsextremist“ geführt.
Rang zwei im Parteienspektrum ging an die CDU: Mario Voigts Landesverband steht bei 23,0 Prozent. Da keine der Parteien ein Regierungsbündnis mit der AfD eingehen will, könnte es auf eine Koalition zwischen der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hinauslaufen.
Umfragen wie jene von Infratest dimap oder INSA weisen immer eine gewisse Fehleranfälligkeit von bis zu plus/minus drei Prozent aus. Im Fall der Gerichtsverhandlungen gilt die Unschuldsvermutung.
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