Unterschiedliche Ampelstimmen zur Corona-Aufarbeitung im Überblick

Welche Möglichkeiten einer Aufarbeitung der Corona-Pandemie bestehen? Innerhalb der Ampelkoalition gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die Alternativen bestehen darin, einfach gar nichts zu tun, einen Bürgerrat zu installieren, eine Enquete-Kommission einzurichten oder einen Untersuchungsausschuss ins Leben zu rufen.
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Die Kontaktbeschränkungen: Eine der umstrittenen Massnahmen während der Corona-Pandemie.Foto: gdefilip/iStock
Von 31. Oktober 2024

Auch Vertreter der 16 Länderparlamente denken darüber nach, ob überhaupt und wenn ja, wie so eine Aufarbeitung aussehen sollte. Vor wenigen Tagen beschloss Sachsen mit den Stimmen von AfD und BSW einen Untersuchungsausschuss.

Zuvor hatte die CDU-Fraktion im Landtag noch für eine Enquete-Kommission, sprich für eine mildere Variante der Aufarbeitung, plädiert. Sören Voigt, der stellvertretende Vorsitzende, argumentierte, dass man nicht auf „Dramatisierung und Skandalisierung abziele“, sondern eine fundierte Klärung und einen echten Erkenntnisgewinn anstrebe: „Die CDU will die Corona-Krise mit einer Enquete-Kommission aufklären und daraus wichtige Lehren für die Zukunft ziehen. Wir haben vor der Wahl versprochen, dass wir uns ohne jeden Zweifel einer Aufarbeitung in Sachsen widmen werden.“

Der MDR erinnerte jüngst daran, dass die Weltgesundheitsorganisation den Corona-Notstand bereits vor über einem Jahr für beendet erklärt hatte. Der Sender befragte seine Zuhörer zur Aufarbeitung und kam zu folgendem Ergebnis: „Unter den MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern glauben nur die wenigsten daran, dass das auch passiert: Mehr als 80 Prozent haben wenig bis kein Vertrauen in die Corona-Aufarbeitung der Politik. Das zeigt das aktuelle Stimmungsbild aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit mehr als 22.000 Befragten.“

Das gesellschaftliche Klima und die eigenen Wählergruppen

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelte Mitte des Monats „Das Schweigen über Corona ist falsch“. Die Zeitung mutmaßte, dass es keine bundespolitische Aufarbeitung der Pandemie geben werde: „Die Ampelfraktionen haben sich auf keine Form dafür einigen können. […] Wer die Frage nach der Aufarbeitung der Pandemie taktierend darauf beschränkt, wie sie sich auf das gesellschaftliche Klima und die eigenen Wählergruppen auswirkt, will sie höchstens halb durchdenken.“

Konstantin Kuhle, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag befindet, dass Corona tiefe Spuren in Teilen der Gesellschaft hinterlassen hat. Seinen Wunsch nach einer Aufarbeitung formuliert er so: „Das Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen und gegenüber der Demokratie insgesamt hängt zu einem Teil damit zusammen, dass während der Corona-Pandemie teilweise über die Stränge geschlagen wurde. Und deswegen muss das ein gutes Format sein.“

Britta Haßelmann, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, will besser auf die nächste Pandemie vorbereitet sein. Sie bedauert die fehlende Aufarbeitung: „Es hat sich einfach verhakt. Ich kann es eigentlich gar nicht so genau erklären.“

Aufarbeitung reduziert auf eine Manöverkritik

Hier sind zwei Strömungen erkennbar: Dort die Corona-Maßnahmen- und Impfkritiker, die eine Art offizielle Verurteilung der Maßnahmen wünschen – möglicherweise sogar Strafen –, und auf der anderen Seite jene Politiker, deren Parteien mit Regierungsverantwortung für die Corona-Maßnahmen verantwortlich waren und die eine Aufarbeitung als eine Art Manöverkritik verstanden wissen wollen, wie man es beim nächsten Mal besser machen kann.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich unter anderem im „ARD-Sommerinterview“ für einen Bürgerrat ausgesprochen, in dem Bürger ihre Erfahrungen und Perspektiven einbringen können, um so eine offene, gesellschaftsnahe Diskussion über die Pandemiepolitik zu ermöglichen. Einen solchen Bürgerrat zu Corona hatte zuerst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ins Gespräch gebracht.

Malu Dreyer (SPD) war als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz verantwortlich für die Corona-Maßnahmen und Impfkampagnen ihres Landes. Sie bekundete im Frühjahr 2024, eine Aufarbeitung unterstützen zu wollen. Dreyer will nach Selbstbekunden aus Fehlern lernen und den gesellschaftlichen Riss heilen, der durch die Pandemiepolitik entstanden sei.

Der amtierende Bundesgesundheitsminister hatte sich im „Bericht aus Berlin“ zu Forderungen einer Aufarbeitung geäußert. Man habe nichts zu verbergen: „Wenn wir es nicht machen, dann entsteht einfach der Eindruck, als wenn wir etwas zu verbergen hätten und das darf nicht stehen bleiben, von daher ist eine Aufarbeitung notwendig.“

Aus der FDP meldeten sich zwei Bundesminister zu Wort. FDP-Chef Christian Lindner forderte eine umfassende Analyse der politischen Entscheidungen in der Corona-Zeit: „Wir müssen die Pandemie aufarbeiten, um die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen zu können.“ Heute wisse man, „dass viele Entscheidungen der früheren Bundesregierung großen sozialen und wirtschaftlichen Schaden angerichtet haben“. So seien „Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Zutrittsverbote zum Teil absolut unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte“ gewesen.

Eine wissenschaftliche und interdisziplinäre Analyse

Und Justizminister Marco Buschmann (FDP) schlug eine seriöse Manöverkritik vor, um für die Zukunft zu lernen. Er befürwortet eine Enquete-Kommission.

Die Grünen bleiben teilweise skeptisch gegenüber einer Enquete-Kommission, da sie befürchten, dass solche Gremien für parteipolitische Zwecke missbraucht werden könnten. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge und der gesundheitspolitische Sprecher Janosch Dahmen favorisieren stattdessen eine wissenschaftliche und interdisziplinäre Analyse.

Sie sind offen für eine Kombination aus Bürgerrat und wissenschaftlicher Aufarbeitung, sehen jedoch in einer Enquete-Kommission keine geeignete Lösung.

Eine Enquete-Kommission erfolgreich einzurichten, benötigt die Zustimmung eines Viertels der Bundestagsabgeordneten. Die Kommissionen setzen sich zusammen aus Abgeordneten und Sachverständigen aus der Wissenschaft. Die Arbeit endet mit einem Abschlussbericht und Empfehlungen für die Gesetzgebung.

Eine Auswahl weiterer Stimmen von führenden Politikern der SPD, Grünen und FDP zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie:
Bijan Djir-Sarai, der Generalsekretär der FDP, kritisiert, dass rationale Kritik an den Maßnahmen oft als verschwörungstheoretisch abgetan wurde. Er spricht sich für eine gründliche Aufarbeitung durch eine Enquete-Kommission aus, um „die Fehler der Vergangenheit klar zu benennen und künftig zu vermeiden“.

Zukünftige Herausforderungen für das Gesundheitswesen

Janosch Dahmen, der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, lehnt eine Enquete-Kommission oder einen Untersuchungsausschuss ab, da diese die Gefahr bergen, politisch instrumentalisiert zu werden. Stattdessen verweist er auf laufende wissenschaftliche Analysen und begrüßt die Einrichtung eines interdisziplinären Gremiums, das zukünftige Herausforderungen für das Gesundheitswesen untersuchen soll.

Die SPD-Abgeordnete Marianne Schieder lehnt eine Enquete-Kommission als Plattform für Schuldzuweisungen ab. Für sie sollte die Aufarbeitung nüchtern und objektiv erfolgen, ohne zu einer „Tribüne gegen einzelne Minister“ zu werden. Alternativ hält sie die Einbindung eines Bürgerrats für sinnvoll, um Bürgerperspektiven auf die politischen Maßnahmen zu reflektieren.

Die Haltungen der Ampelparteien zur Aufarbeitung der Corona-Jahre lassen sich demnach wie folgt zusammenfassen: Die FDP fordert eine umfassende Kommission, während die Grünen auf wissenschaftliche und nicht parteipolitische Analysen setzen. Die SPD ist geteilter Meinung, wobei manche, wie Lauterbach, eine Aufarbeitung befürworten, während andere eine eher dezentrale Analyse mit den Bundesländern bevorzugen.



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