Unruhe bei SPD-Basis: „Wir sind in weiten Teilen dieses Bundeslandes nicht mehr präsent“
16 zum Teil bekanntere Mitglieder des SPD-Landesverbands in Sachsen-Anhalt haben ihrem Unmut über die Entwicklung ihrer Partei mit einem offenen Brief Luft gemacht. Nach dem mäßigen Abschneiden bei den Kommunalwahlen vom 9. Juni 2024 soll ein Neustart her: „Unsere SPD im Land nimmt aktuell kaum noch jemand wahr und somit wird auch eine nächste Landtagswahl ein vorhersehbares Fiasko“, so lautet eine der Befürchtungen der parteiinternen Kritiker. Schon die jüngste Kommunalwahl sei für die SPD „kein Erfolg“ gewesen. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ (MZ) hatte als Erstes über die Angelegenheit berichtet.
„Die Kommunalwahl hat gezeigt, wir sind nicht mehr kampagnenfähig“, heißt es in dem offenen Brief. „Die Gliederungen im ländlichen Raum brauchen mehr denn je die Unterstützung des Landesverbandes.“
11,9 Prozent bei Kommunalwahlen
Bei den Kommunalwahlen vom 9. Juni 2024 hatte die SPD für die Kreistage landesweit nur 11,9 Prozent der Stimmen bekommen – ein Minus von 1,8 Punkten im Vergleich zur Wahl 2019. Sie wurde damit drittstärkste Kraft hinter der AfD (28,1 Prozent) und der CDU (26,8 Prozent).
Zu den Erstunterzeichnern des offenen Briefes gehören nach mehreren Medienberichten unter anderem folgende prominente Sozialdemokraten:
- Jörg Felgner, Vorsitzender des SPD-Landesparteirats und ehemaliger Landeswirtschaftsminister
- Burkhard Lischka, Ex-Bundestagsabgeordneter und Ex-Staatssekretär im Landesjustizministerium
- Markus Bauer, Landrat im Salzlandkreis
- Andreas Dittmann, Präsident des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt und Bürgermeister von Zerbst
- Andreas Steppuhn, der Vorsitzende der Tafel Deutschland
In der Fläche „gefühlt unsichtbar“ geworden
In ihrem Schreiben ist mehreren Medienberichten zufolge die Rede davon, dass die Parteibasis „überaltert“ sei und die Gemeinden Probleme hätten, neue Mitglieder zu gewinnen. Wer jung oder neu in der Partei sei, werde „nicht abgeholt und mitgenommen“. In den sachsen-anhaltinischen Gemeinden sei die Partei „teilweise verwaist“ und „gefühlt unsichtbar“ geworden. Es fänden sich derzeit vielerorts nicht einmal genügend Genossen, die bereit wären, für die Vorstände der SPD-Ortsvereine und -Kreisverbände zu kandidieren. „Wir sind einfach in weiten Teilen dieses Bundeslandes nicht mehr präsent“, heißt es zusammenfassend.
Offenbar sind die Unterzeichner deshalb zu grundlegenden Reformen bereit: Es fehle die „ur-sozialdemokratische“ Politik. Alte Strukturen müssten umgewandelt, die Partei „von der Basis her neu gedacht“ werden, heißt es in der Verlautbarung. „Die Leute verstehen nicht, warum sie sechs Monate und länger auf einen Hautarzt- oder Augenarzttermin warten müssen“, so die Verlautbarung. „Es geht um die Grundfesten unserer Gesellschaft. Es geht um soziale Gerechtigkeit, Kita, Schule, Bildung, ärztliche und behördliche Versorgung, Mindestlohn, Ordnung und Sicherheit.“ Und weiter: „Die Schuld dafür allein in Berlin zu suchen, ist zu kurz gegriffen“.
Die Kritik bezieht sich auch auf die Parteihierarchie. Die SPD-Landesspitze um die beiden Co-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Juliane Kleemann und Dr. Andreas Schmidt rede Meinungen, Anregungen oder Hinweise aus der Parteibasis klein, kritisieren die Unterzeichner. Beim nächsten Landesparteitag am 18. und 19. Oktober 2024 in Quedlinburg würden sich deshalb auch einzelne der Kritiker ins Rennen um den Landesvorsitz und den Landesvorstand begeben: „Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir das Ruder noch herumreißen können.“
Landesvorstand erkennt Probleme an
Co-Landesvorstand Juliane Kleemann reagierte nach Informationen der MZ mit Verständnis auf den offenen Brief: „Ich nehme es auch als Einladung und Ermutigung“, erklärte die frühere Pfarrerin. Ihr sei klar, dass die Kommunikation nicht überall in der Partei gleichermaßen ankomme. Sie habe darauf hingewiesen, dass manche potenzielle Mitglieder generell scheuten, sich an Organisationen zu binden. Das sei eine immerwährende Baustelle.
Auch der Co-Landesvorstand Andreas Schmidt hat sich verständnisvoll gezeigt: „Wir begrüßen es, dass sich auch mehr Leute Sorgen um die Partei machen“, ergänzte der Landtagsabgeordnete und promovierte Historiker und Volkswirt. „Mit allen Themen, die darin angesprochen werden, beschäftigen wir uns schon.“
Die Epoch Times fragte bei beiden Landeschefs nach, wie sie zu einer eventuellen Gegenkandidatur aus der Runde ihrer Kritiker stehen. Auch die Bundesparteispitze baten wir um eine Stellungnahme zum offenen Brief. Antworten blieben bis zum Redaktionsschluss aus.
Sachsen-Anhalt derzeit mit „Deutschlandkoalition“
Die nächste Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wird nach Informationen von Wikipedia voraussichtlich zwischen Mai und September 2026 stattfinden. Zuletzt hatten die Bürger am 6. Juni 2021 ein neues Landesparlament gewählt. Seither regiert ein schwarz-rot-gelbes „Deutschlandbündnis“ unter der Regie von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Die SPD hatte gemäß amtlichem Endergebnis (PDF) als Juniorpartner 8,4 Prozent der Zweitstimmen und damit neun Sitze im 97-köpfigen Kreis der Abgeordneten gewonnen. Das bedeutet einen Verlust von 2,2 Prozent, verglichen mit der vorangegangenen Wahl 2016.
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der „Bild“ hätten sich Anfang Juli 2024 acht Prozent der Wähler für die SPD entschieden, wenn dort ein neuer Landtag gewählt worden wäre. AfD und CDU lagen demnach mit jeweils 29 Prozent in der Wählergunst vorn. Im Februar 2022 hätten nach einer Erhebung des Instituts Wahlkreisprognose noch mehr als doppelt so viele Bürger die SPD gewählt.
Mit Informationen von dts und dpa.
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