Umfrage: Große Mehrheit unterstützt Abschiebepläne für Afghanen – Rechtslage schwierig
Der öffentliche Druck auf die Bundesregierung steigt weiter: 93 Prozent der deutschen Bürger wollen, dass die Bundesregierung Abschiebungen zumindest unter bestimmten Bedingungen auch in Richtung Afghanistan anordnen können soll. Das geht aus einer Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der „Bild“ gemacht hatte. Nach Angaben des Boulevardblatts waren insgesamt 1.004 Menschen am 6. und 7. Juni um ihre Meinung gebeten worden.
41 Prozent würden eine Abschiebeoption nur für jene afghanischen Asylbewerber begrüßen, die als „Schwerkriminelle“ oder „terroristische Gefährder“ in Erscheinung getreten seien. Damit stehen sie im Einklang mit der jüngsten Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz.
Knappe Mehrheit wünscht sich Abschiebungen je nach Asylstatus
Eine knappe absolute Mehrheit von 52 Prozent würde sogar noch weiter gehen: Sie wünscht sich der „Bild“ zufolge, dass auch jene Afghanen in ihr Heimatland zurückfliegen sollten, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Lediglich drei Prozent der Befragten hätten sich gegen jegliche Abschiebungen afghanischer Staatsangehöriger in ihr Heimatland ausgesprochen. Die restlichen vier Prozent der Befragten hatte die Frage nicht beantwortet.
Bei der derzeitigen deutschen Rechtslage brauchen Afghanen, die es nach Deutschland geschafft haben, seit fast drei Jahren keinerlei Rückführung in ihre Heimat mehr zu befürchten: Die Bundesregierung hatte derartige Abschiebungen „ausgesetzt“, nachdem die NATO-Truppen das Land im August 2021 verlassen hatten. Seitdem liegt die Macht vor Ort wieder in den Händen der sogenannten Taliban („Schüler“, „Suchende“), also bei streng religiösen Muslimen. Speziell jene Afghanen, die während des 20-jährigen Krieges für das westliche Militär gearbeitet hatten („Ortskräfte“), droht bei ihrer Rückkehr womöglich Gefahr für Leib und Leben.
Prof. Thom: „verwirrende Gemengelage“
Während die Hilfsorganisation PRO ASYL Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien für menschenrechtswidrig hält, sieht der Jurist Prof. Daniel Thym gewisse Möglichkeiten: „EU-Lageberichte deuten schon länger darauf hin, dass für Syrien und Afghanistan eine Einzelfallprüfung angezeigt ist“, schrieb Thym in einem aktuellen, lesenswerten Beitrag für den Verfassungsblog. Denn nicht überall bestehe Gefahr für Rückkehrende. Beachte man die internationalen Rechtsvorschriften, so herrsche allerdings eine „verwirrende Gemengelage“, die eben stets den Blick auf den Einzelfall erforderlich mache.
Klar sei allerdings schon jetzt, dass Scholz Ansage, nach der das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer wiege als das Schutzinteresse des Täters, politisch zwar „nachvollziehbar, juristisch aber irrelevant“ sei. Entscheidend sei grundsätzlich immer die Lage vor Ort, nicht das Verhalten eines Asylsuchenden. Im Gegenteil könnten „Terroristen und schlimmste Straftäter“ je nach Fall „in der Praxis schwerer abgeschoben werden, weil ihnen häufig Folter oder schlimme Haftbedingungen drohen“.
Härtere Gangart gegen islamistisch motivierte Gefährder wird geprüft
Die Debatte um eine Rückführung von Straftätern in Richtung Afghanistan oder Syrien hatte nach dem Messerattentat von Mannheim vom 31. Mai 2024 Auftrieb erhalten. Wenige Tage später gaben Kanzler Scholz und Innenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) bekannt, sich um Abschiebemöglichkeiten bemühen zu wollen.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk bekräftigte Faeser am Sonntag, 9. Juni, dass es hinter den Kulissen derzeit lediglich ums „Zurückbringen von Menschen über Nachbarländer“ gehe. Diese Nachbarländer hätten „ja mitunter Beziehungen“. „Und wir wollen eben diese Beziehungen dann auch tatsächlich nutzen, um die Gefährder zurückzubekommen“, so Faeser. „Deutsche Sicherheitsinteressen gehen da eindeutig vor“.
Taliban offen für Verhandlungen – doch Diplomatie könnte Deutschland isolieren
Auf das Angebot von Abdul Kahar Balchi, eines außenpolitischen Sprechers der Taliban, „die Angelegenheit im Rahmen der üblichen konsularischen Beziehungen und eines geeigneten Mechanismus auf der Grundlage einer bilateralen Vereinbarung zu regeln“, ging Faeser im Interview nicht näher ein. Die „Bild“ hatte bereits am 7. Juni darüber berichtet. Christian Rath, der rechtspolitische Korrespondent der taz, geht davon aus, dass Deutschland sich „außenpolitisch isolieren“ würde, sobald es direkt selbst mit den Taliban verhandeln würde.
Die BMI-Chefin hatte am Freitag auf ihrem X-Kanal eine grundsätzlich strengere Marschrichtung beim Thema Abschiebungen bekräftigt:
Islamistische Hetzer, die geistig in der Steinzeit leben, haben in unserem Land nichts zu suchen. Einen Gesetzentwurf für weitere Ausweisungsmöglichkeiten werde ich in Kürze vorlegen.“
BMI will „schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ rechtlich sicher gestalten
Auf Anfrage der Epoch Times hatte ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) am Samstag die derzeitigen Planungen und Prüfungen Faesers präzisiert, ohne auf mögliche Partner wie Usbekistan oder Pakistan einzugehen:
Wer keinen deutschen Pass hat und hier terroristische Taten verherrlicht, der muss – wo immer möglich – ausgewiesen werden. Aus der Billigung terroristischer Taten muss künftig ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse folgen. Einen Gesetzentwurf hierzu wird das Bundesministerium des Innern und für Heimat in Kürze vorlegen.“
Gabriel für Kontaktaufnahme zu Kabul
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel plädierte dafür, trotz drohender diplomatischer Verwicklungen einen Austausch mit der Talibanführung zumindest zu versuchen. Kabul müsse allerdings „überprüfbare Garantien“ geben, dass Abgeschobene weder gefoltert noch getötet würden. Bei Erfolg dürften die Verhandlungspartner auch „wirtschaftlich belohnt“ werden, bei Misserfolg sollte umgekehrt Hilfe entzogen werden, so Gabriel.
Grünen haben rechtliche Bedenken
Bei den Grünen weckten sämtliche Pläne aus dem Kanzleramt und dem BMI bislang ebenfalls vorwiegend rechtliche Bedenken. Co-Parteichef Omid Nouripour rechnet mit einem Vorschlag Faesers in knapp zwei Wochen. Er selbst sei gespannt auf den Gesetzentwurf, erklärte Nouripour vergangenen Donnerstag in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Er lehne es allerdings ab, wenn „Steinzeitislamisten“ womöglich Geld für die Rücknahme ihrer Landsleute geboten würde, womit umgekehrt wieder „Terror“ nach Deutschland gebracht werden könnte.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte, dass die Bundesregierung keinerlei diplomatische Beziehungen zu den Taliban unterhalte. Es sei „nun mal Fakt, dass die Bundesregierung die De-facto-Regierung der Taliban in Afghanistan, genau wie jedes andere Land der Welt, nicht anerkennt und nicht mit ihr zusammenarbeitet“, betonte der Sprecher laut „Bild“. Kontakt gebe es lediglich „auf technischer Ebene“. Und falls man Rückführungen anstrebe, so würden die Taliban sich ihre Kooperation „mindestens durch internationale Anerkennung bezahlen lassen wollen“.
Baerbock und Schulze wollen weitere Afghanen nach Deutschland holen
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) selbst hatte sich gegenüber der Funke-Mediengruppe vor einer Woche für die Aufnahme weiterer 10.000 Afghanen ausgesprochen. Auch Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) setzt sich dafür ein, noch mehr Menschen aus Afghanistan, Syrien, Usbekistan, Kirgisistan und vielen anderen Ländern aufzunehmen.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte erst jüngst seinen Zweifeln Ausdruck verliehen, dass es unter Kanzler Scholz und Innenministerin Faeser am Ende wirklich zu Abschiebungen nach Afghanistan kommen werde. Er riet dazu, dem Beispiel Schwedens zu folgen: Immerhin sei es Stockholm im vergangenen Jahr gelungen, mehrere afghanische Straftäter in ihre Heimat auszufliegen.
BMI: Messerattentäter musste Strafe bei Verurteilung in Deutschland absitzen
Selbst wenn es demnächst aber zu einer deutschen Abschieberegelung unter Einbeziehung von Drittstaaten oder gar den Taliban kommen sollte, ist nach Angaben der „Bild“ nicht unbedingt damit zu rechnen, dass der Messermörder von Mannheim Deutschland schnell verlassen müsste.
Denn aus Sicht des BMI gehe Strafe vor Abschiebung: „Bei Mordfällen heißt das, mindestens zehn Jahre Haft in Deutschland als Minimum, bevor eine Abschiebung dann im Anschluss an diese Strafhaft in Betracht kommt.“
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