Ultimatum in der Asylfrage: Union nimmt AfD-Unterstützung in Kauf
Wenn die Unionsfraktion im Bundestag nächste Woche ihre Anträge für eine schärfere Migrationspolitik ins Plenum einbringt, soll das Friedrich-Merz-Dogma „Keine Zufallsmehrheiten“ nicht mehr gelten.
„Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen“, bestätigte Unionskanzlerkandidat Merz (CDU) nach Angaben der „Welt“ am Freitagvormittag, 24. Januar, in Berlin. „Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“
Der Beschluss war nach Angaben des Mediums während einer nächtlichen Schalte des Präsidiums getroffen worden. Man wolle sich um eine „parlamentarische Mehrheit in der Mitte“ bemühen, um den jüngsten Fünf-Punkte-Plan der Union durchzusetzen.
Union macht Kehrtwende in Asylpolitik zur Bedingung für Regierungskoalition
Nach einem X-Beitrag der „The Pioneer“-Chefreporterin Karina Moessbauer hatte das Präsidium den Plan zur Kehrtwende in der Asylpolitik einstimmig gebilligt. Merz‘ Bedingung, dass auch andere Fraktionen die Vorgaben akzeptieren müssten, um nach der Bundestagswahl mit der Union koalieren zu können, sei ebenfalls von allen abgesegnet worden.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte die Entschlossenheit der Union für einen neuen Migrationskurs bereits am Donnerstag im Interview mit dem Nachrichtensender „Welt“ bekräftigt: Falls die Union nicht die absolute Mehrheit im Bundestag erobere und es zudem keinen Koalitionspartner gebe, „der da mitgeht, dann können wir halt nicht regieren“. Recht und Gesetz seien durchzusetzen: „Der Rechtsstaat muss funktionieren, und das ist CDU pur, und das ziehen wir durch“ (Kurzvideo auf X).
Unionsansage nach Aschaffenburg
Am Donnerstag waren sowohl CDU-Parteichef Merz als auch der CSU-Parteivorsitzende Markus Söder vor die Presse getreten, um ihre „Zeitenwende“ in der deutschen Migrationspolitik einzuläuten. Merz hatte dabei lediglich davon gesprochen, das Haftbefehlsantragsrecht für die Bundespolizei schon im Laufe der kommenden Woche in den Bundestag einbringen zu wollen (Video auf YouTube).
Nun ist davon auszugehen, dass es nächste Woche im Bundestag nicht nur bei einem einzigen Unionsantrag zur Änderung des Bundespolizeirechts bleiben wird. Denn Merz hatte laut „Welt“ am Freitagvormittag über „Anträge“ gesprochen, die debattiert werden sollten. Es handele sich um Anträge, „die ausschließlich unserer Überzeugung entsprechen“.
Merz habe allerdings betont, dass die Stimmen der Fraktion von CDU und CDU sogar gemeinsam mit jenen der AfD-Fraktion nicht für eine Mehrheit im Bundestag ausreichen würden. Diesen Eindruck habe die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel jedoch „bewusst“ erweckt, kritisierte der CDU-Fraktionsvorsitzende. Er spielte damit auf einen offenen Brief von Weidel an, den diese am Donnerstagabend auf Ihrem X-Kanal publiziert hatte. Darin heißt es:
Vieles von dem, was Sie für die Zeit nach Ihrer möglichen Wahl zum deutschen Bundeskanzler angekündigt haben, hätte auf der Grundlage von Initiativen meiner und Ihrer Fraktion mit den schon jetzt bestehenden Mehrheiten jenseits von Rot-Grün insbesondere seit dem Bruch der Ampel-Koalition längst beschlossen werden können. […] Die Mehrheiten dafür sind vorhanden.“
367 Stimmen nötig – Union und AfD besitzen nur 272 Sitze
Da der Bundestag derzeit 733 Sitze bereithält, braucht es mindestens 367 Stimmen, um ein Gesetzesvorhaben mehrheitlich zu beschließen. Die Unionsfraktion verfügt über 196, die AfD über 76 Sitze, beide Fraktionen zusammen haben also 272 Sitze.
Sollte sich die FDP mit ihren 90 Sitzen anschließen, würden immer noch fünf Stimmen fehlen. Diese könnten womöglich aus den Reihen der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) (10 Sitze) oder von den neun fraktionslosen Abgeordneten kommen. Dass sich SPD (207), Grüne (117) oder die Gruppe der Linken (28) anschließen könnten, scheint von vorneherein ausgeschlossen.
Das Nein zu „Zufallsmehrheiten“ ist Geschichte
Noch im November 2024 hatte Merz auf dem Branchentag des Gastronomieverbands DEHOGA betont, bis zur Neuwahl des Bundestags am 23. Februar nur noch jene Dinge auf die Tagesordnung setzen lassen zu wollen, „die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben“. Es gehe ihm darum, „die Regierung und uns davor zu bewahren, dass wir plötzlich Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder mit den Linken haben. Ich will das nicht“ (Kurzvideo auf X).
Nun aber musste Merz seine Blockade aufgegeben: Die Unionsfraktion werde „sämtliche Themen, die wir für richtig halten, von uns aus in den Bundestag einbringen“, zitiert ihn die „Welt“. Einem Antrag der AfD-Fraktion brauche man deshalb immer noch nicht zuzustimmen – und werde das auch nicht tun.
„Wir arbeiten mit dieser Partei nicht zusammen“, hatte Merz laut „Welt“ noch einmal betont. Man werde weder mit der AfD in eine Regierung gehen noch „über irgendwelche Anträge“ verhandeln. Die gleichen Ansagen würden auch für das BSW gelten. Für die Linke gilt aus Unionssicht ebenso wie für die AfD seit 2018 ohnehin ein Unvereinbarkeitsbeschluss (PDF).
Thorsten Frei nannte Offerte von Weidel „vergiftetes Angebot“
Noch am Vorabend hatte Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Angebot der AfD-Kanzlerkandidatin Weidel für schnelle gemeinsame Abstimmungen im Bundestag rundweg abgelehnt. Nach Angaben der „Welt“ erklärte Frei gegenüber der Nachrichtenagentur „Reuters“:
Die Union wird dafür Sorge tragen, die Migrationspolitik grundsätzlich neu auszurichten und die illegale Zuwanderung drastisch zu senken. Dafür bedarf es nicht der vergifteten Angebote der AfD.“
Um „vor allem in der Migrations- und Wirtschaftspolitik die Zeichen auf Zukunft“ setzen zu können, wolle die Union bei der Bundestagswahl am 23. Februar „möglichst viele Stimmen erhalten“, zitiert die „Welt“ Frei weiter. Dazu bedürfe es keines „rückwärtsgewandten Blickes“. CDU und CSU setzten sich vielmehr „für ein modernes Land ein, auf das man wieder stolz sein“ könne.
Weidel: „Die Brandmauer ist gefallen!“
Kurz nach Bekanntwerden der Entscheidung des Unionspräsidiums, auch AfD-Stimmen für die Migrationswende akzeptieren zu wollen, schrieb Alice Weidel auf ihrem X-Kanal:
Die Brandmauer ist gefallen! CDU und CSU haben mein Angebot angenommen, in der Schicksalsfrage der Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen. Das ist eine gute Nachricht für unser Land! Wir haben geliefert, nun muss die Union auch liefern.“
Noch wenige Stunden zuvor hatte sie auf die Aussagen von Frei eher verärgert reagiert: „Das ist keine staatspolitische Verantwortung, das ist der Offenbarungseid: Merz täuscht die Wähler, ohne AfD wird es keine Migrationswende geben!“, hieß es auf einem inzwischen gelöschten Beitrag auf X.
Nun also könnte die „Migrationswende“ doch noch vor der Bundestagswahl ihren Anfang nehmen – sofern sich im Bundestag genügend Abgeordnete abseits von Union und AfD dafür erwärmen können.
Merz beklagt „fehlgeleitete Asyl- und Einwanderungspolitik“
Am Donnerstagvormittag hatte Unionschef Merz für den Fall seiner Kanzlerschaft „fundamentale Änderungen des Einreiserechts, des Asylrechts, des Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland“ angekündigt. Anlass waren die Messeropfer von Aschaffenburg.
Das Land stehe vor dem „Scherbenhaufen“ einer „seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik“, resümierte Merz, ohne Verantwortliche konkret zu benennen. Er selbst sei jedenfalls „nicht bereit, diese Zustände in Deutschland länger zu akzeptieren“.
Merz skizzierte ein fünf Punkte umfassendes Maßnahmenpaket:
- Dauerhafte Grenzkontrollen: Faktisches Einreiseverbot für Menschen ohne gültige Papiere – auch für Personen mit Schutzanspruch, Vorrang des nationalen vor EU-Recht
- Haftbefehlsantragsrecht für die Bundespolizei
- Ausreisegewahrsam oder -haft für Ausreisepflichtige, signifikante Erhöhung der Platzkapazitäten in Liegenschaften des Bundes
- Stärkere Beteiligung der Bundespolizei an täglichen Abschiebungen und Rückführungen
- Zeitlich unbefristeter Ausreisearrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder
Auf Nachfrage der Pressevertreter, ob der neue Kurs auch mit den Grünen als Koalitionspartner durchgesetzt werden könne, sagte Merz:
Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur: Ich gehe keinen anderen. Und wer ihn mit mir gehen will, muss sich nach diesen fünf Punkten richten. Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich.“
Insbesondere diese Aussage ließ in den sozialen Medien Spekulationen darüber laut werden, ob Merz damit das Ende der „Brandmauer“ gegen die AfD in Aussicht gestellt haben könnte.
Merz warnt vor „Natter“ AfD
Merz hatte seit seiner Übernahme des Parteivorsitzes im Januar 2022 immer wieder versichert, niemals mit der AfD zu kooperieren. Nach Informationen der „Welt“ warnte er Anfang des Jahres während eines Wahlkampfauftritts in Hannover sein Publikum, zu glauben, „dass man eine solche rechtspopulistische Partei in der Regierungsverantwortung zähmen, domestizieren oder gar zur Vernunft bringen“ könne. „Wenn man sich eine solche Natter an den Hals holt, dann wird man von dieser Natter erwürgt“, so Merz.
Am 11. Januar erneuerte er im Interview mit dem Nachrichtensender „n-tv“ sein Credo, in dieser Frage standhaft zu bleiben:
Es wird eine Zusammenarbeit von uns mit der AfD in Deutschland nicht geben. Und dafür verbürge ich mich als Parteivorsitzender der CDU Deutschlands. Es ist ausgeschlossen, dass wir diesen Weg in Deutschland gehen. Wir wollen sie nicht in der Regierung sehen, und wir werden alles dafür tun, um genau das zu verhindern“ (Video auf YouTube).
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