Über Demokratie und Meinungsfreiheit: Wenn die deutsche „Brandmauer“ nicht zum Weltbild der US-Regierung passt

„Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt.“ Diesen Standpunkt hatte der amerikanische Vizepräsident JD Vance in München auch von den deutschen Regierungsparteien eingefordert. Doch deren Auffassung von Demokratie endet offenbar bei der Brandmauer zur AfD.
Das Jahr des Grundgesetz-Jubiläums dürfte ein entscheidendes werden in der Geschichte der bundesdeutschen Demokratie.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bietet seit 1949 die Grundlage der hiesigen Demokratie.Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Von 23. Februar 2025

Die seit Kurzem über den Atlantik hinweg geführte Debatte zum Thema Meinungsfreiheit zeigt: Spätestens seit der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident können sich die Spitzenvertreter der Politik in Deutschland oder der EU nicht mehr auf einen westlichen Konsens berufen, was die Deutungshoheit von Begriffen angeht. Unterschiedliche Interpretationen scheint es insbesondere beim Begriff „Demokratie“ zu geben.

„Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt“, erklärte zuletzt der amerikanische Vizepräsident JD Vance am Valentinstag während seiner viel beachteten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Er ergänzte: „Es gibt keinen Raum für Brandmauern“ (Kurzvideo auf X).

Vances komplette Rede findet man im englischsprachigen Original mit deutschen Untertiteln unter anderem auf X und in deutscher Audio-Übersetzung auf YouTube.

Obwohl Vance es vermieden hatte, eine deutsche Partei beim Namen zu nennen, dürfte die Bedeutung seiner Ansage eindeutig sein: Die Regierung der Vereinigten Staaten sähe es lieber, wenn die AfD nach der Bundestagswahl von den übrigen Parteien nicht weiter ausgegrenzt würde. Denn mit den mindestens zu erwartenden 20 Prozent nach der Bundestagswahl würde die blaue Partei immerhin die Interessen jedes fünften Bürgers in Deutschland vertreten – bei 59,2 Millionen Wahlberechtigten also knapp 12 Millionen Menschen.

Aus Sicht von Vance ist dies offenbar zu viel, um deren Anliegen – wie in Deutschland seit Jahren parteiübergreifender Konsens – von vornherein unter den Tisch fallen zu lassen.

„Unsere Demokratie“

Auffällig erscheint, wie häufig deutsche Politiker nicht von „Demokratie“ reden, sondern die Floskel „unsere Demokratie“ benutzen. Die beiden Worte werden meist dann im Munde geführt, wenn es darum geht, die eigene Parteilinie von der AfD abzugrenzen. Denn diese ist nach Ansicht etwa des CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz, des CSU-Chefs Markus Söder oder des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich ja der „Feind unserer Demokratie“.

Nach den Worten der EU-Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) oder des linken Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow will die AfD angeblich „unsere Demokratie zerstören“. In gleicher Weise hatten sich bereits die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze und ihre Parteikollegin, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt geäußert, um einige politische Gegner der AfD zu nennen.

Als Belege werden regelmäßig die EU-, NATO- und Klimawandel-kritische Haltung der AfD, ihre Ablehnung weiterer Waffenexporte in die Ukraine, ihr Auftreten in den Plenarsälen oder die Einstufung der Gesamtpartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ ins Feld geführt.

Pläne, das deutsche Grundgesetz zu ändern, um einen möglichen Einfluss der AfD auf das Bundesverfassungsgericht zu erschweren, waren im Februar 2024 am Widerstand der Union gescheitert. Ein Verbot der AfD steht allerdings seit Jahren im Raum.

Das Demokratieverständnis der AfD

Doch wie steht die AfD selbst zum Thema Demokratie? Auf Seite 130 ihres Wahlprogramms (PDF) fordern die Blauen unter Verweis auf den Demokratieartikel 20 (2) des Grundgesetzes (GG) bekanntlich „Volksentscheide nach Schweizer Vorbild auch für Deutschland“ – einschließlich der Rechte, Gesetzesinitiativen einzubringen und über „wichtige völkerrechtliche Verträge zu entscheiden“.

In Artikel 20 GG heißt es:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

„Erfahrungsgemäß entscheiden Bürger in Schicksalsfragen der Nation weitsichtiger, friedfertiger und gemeinwohlorientierter als Berufspolitiker“, argumentiert die AfD für Volksentscheide. Ferner finden sich in ihrem Wahlprogramm Sätze wie:

  • „Eine Demokratie braucht kein ‚Wahrheitsministerium‘ und muss die Meinungen ihrer Bürger ertragen – sonst wird sie zur Diktatur“ (S. 49)
  • „Die AfD bekennt sich zum antitotalitären Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland. Die streitbare Demokratie muss sich ihrer Feinde erwehren – egal, welcher Herkunft sie sein mögen. Das gilt sowohl für den Rechtsextremismus als auch für den Linksextremismus sowie den religiösen – meist islamistisch geprägten – Extremismus“ (S. 120)

Die AfD möchte außerdem die „Selbstbedienung der Parteien beenden“, die Justiz „entpolitisieren“ und gegen die „Parteibuchwirtschaft“ kämpfen (S. 136f). Sind es vielleicht auch diese Vorhaben, die die Verfechter „unserer Demokratie“ so abstoßen?

Das Demokratieverständnis der AfD scheint jedenfalls all jene Bürger abzuschrecken, die gegen die AfD – und neuerdings auch gegen CDU und CSU – demonstrieren. Sie halten offenbar nicht nur deren inzwischen gemeinsam geteilten Wunsch nach einer Migrationswende gemäß Artikel 16a (2) GG für falsch.

Die AfD als „demokratiefeindliche“ Partei

Micky Wenngatz, die sozialdemokratische Organisatorin der „Gegen rechts“-Großkundgebung vom 9. Februar in München, beschrieb ihr Anliegen in der „Augsburger Allgemeinen“ (AA) mit einem Aufruf, nämlich „zur Wahl zu gehen und eine demokratische Partei zu wählen. Denn jede Stimme, die nicht abgegeben wird, ist eine Stimme für die Rechten“.

Nach dieser Logik stünden „Rechte“ automatisch außerhalb des demokratischen Spektrums – und dürften aus Sicht der Münchner Anti-Rechts-Demonstranten folglich gar nicht in den Parlamenten sitzen. Diesen Schluss lässt auch das Motto „Demo und Lichtermeer für Demokratie und gegen den Rechtsruck“ zu, dessen sich der Verein Campact anlässlich seines Demoaufrufs für den 25. Januar in Berlin bedient hatte.

Aus Sicht des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) oder der Amadeo Antonio Stiftung (AAS) besteht allerdings kein Zweifel, dass es sich bei der AfD um eine „gefährliche“ (DIMR, PDF) beziehungsweise „demokratiefeindliche“ Partei handelt.

„Demokratiefeindlichkeit bedeutet Propaganda gegen Bausteine der Demokratie, wie Menschenrechte, Gleichheit, Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Freiheit“, erklärte die AAS-Autorin und Politikwissenschaftlerin Kira Ayyadi schon im Februar 2023.

Ein „zentraler Unterschied“ zu „demokratischen Parteien“ sei, dass Vertreter der AfD „nicht die Staatsbürger*innen“ ansprächen, „sondern ‚das Volk‘“. Dieses werde „wahlweise biologistisch (‚hier geboren‘, ‚weiße Hautfarbe‘), ethnisch (‚deutsche Kultur‘ oder ‚Kulturraum‘) oder nationalistisch definiert“.

Der „Rassismus als zentrales Element der AfD“ werde heute aber „nicht mehr so stark biologistisch begründet, sondern unter Bezugnahme auf Kulturen und Religionen“, so Ayyadi. Dass die AfD ihr „Volk“ in Gefahr sehe, sei „ein Kernstück rechtsradikaler und rechtsextremer Ideologie“.

Noch aber, räumte Ayyadi 2023 ein, agiere die AfD „in größeren Teilen […] auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und plädiere „(noch) nicht für eine Abschaffung der Demokratie als grundlegender Staatsform“.

Dies AAS finanziert sich laut ihrer Ergebnisrechnung 2023 (PDF) hauptsächlich aus Zuschüssen der öffentlichen Hand. Das DIMR bekommt sein Geld eigenen Angaben zufolge ebenfalls hauptsächlich aus dem Haushalt des Deutschen Bundestages.

Demokratie und Meinungsfreiheit aus Sicht des Bundeskanzlers

Zurück zu JD Vance und seiner Ermahnung an das Publikum der Münchner Sicherheitskonferenz, seiner typisch amerikanischen Vorstellung von Demokratie und Freiheit zu folgen. Diese steht nämlich offenbar im Widerspruch zur Meinung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Wie der Kanzler erst vor vier Wochen, am Tag nach der Vereidigung des US-Präsidenten, in seiner Rede beim World Economic Forum (WEF) in Davos zum Ausdruck gebracht hatte, existieren für ihn besondere Grenzen der Meinungsfreiheit.

Während Artikel 5 (2) GG die Schranken lediglich dort sieht, wo „Vorschriften der allgemeinen Gesetze“, der Jugendschutz oder die persönliche Ehre berührt werden, kommentierte Scholz die Unterstützung der AfD durch den X-Eigentümer und Trump-Berater Elon Musk mit den Worten:

Jeder darf seine Meinung sagen, aber wir akzeptieren nicht, wenn jemand extrem rechte Positionen unterstützt.“ (Kurzvideo auf X).

BVerfG: Auch unwahre, grundlose oder gefährliche Meinungen vom Grundgesetz geschützt

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfG, 1 BvR 917/09, PDF) hatte dagegen bereits am 11. November 2011 entschieden:

Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden […]. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden.“

Noch kurz vor seiner persönlichen Einschränkung des BVerfG-Beschlusses hatte Scholz in Davos versprochen, „alles“ daranzusetzen, dass die USA auch weiterhin der „engste Verbündete“ Deutschlands außerhalb Europas bleiben werde: „Nicht jede Pressekonferenz in Washington, nicht jeder Tweet sollte uns gleich in aufgeregte, existenzielle Debatten stürzen“, so der Kanzler.



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