Trotz mangelnder Belege: AfD-Bundesvorstand will EU-Kandidatenliste unverändert lassen

Die AfD hält an ihrer umstrittenen EU-Kandidatenliste fest. Trotz des Verdachts auf Hochstapelei bei zwei Kandidaten will die Oppositionspartei eine aufwändige Neuwahl offenbar vermeiden. Zu den Details will sich die Partei am frühen Nachmittag äußern.
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Archivbild: Tino Chrupalla, Co-Bundessprecher der AfD, will an der Kandidatenliste zur EU-Wahl festhalten. Alice Weidel blieb den Beratungen fern.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images
Von 19. September 2023

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Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) will offenbar nichts an der Liste ihrer Europawahl-Kandidaten ändern. Auch die beiden umstrittenen Kandidaten Arno Bausemer (Platz 10) und Mary Khan-Hohloch (Platz 14) dürfen ihre Listenplätze behalten, obwohl sie bestimmte Angaben in ihren Lebensläufen nicht belegen konnten. Das hat der AfD-Bundesvorstand am späten Abend des 18. September nach Angaben verschiedener Medien entschieden.

Dem Beschluss sollen „mehr als vierstündige“ Beratungen vorausgegangen sein, berichtete das ZDF unter Berufung auf die Nachrichtenagentur „Agence France Press“ (AFP). Über Bausemer und Khan-Hohloch schwebt somit weiter der Verdacht der Hochstapelei. Gegen 14:45 Uhr will sich die Parteispitze live auf „YouTube“ zu Einzelheiten äußern.

Kostspieliger Aufwand einer Neuwahl verhindern

Hätte der Bundesvorstand die beiden Kandidaten aus der Liste streichen lassen, wäre höchstwahrscheinlich eine komplette Neuwahl der AfD-Europawahlliste notwendig geworden. Diesem kostspieligen Aufwand habe der Vorstand aus dem Weg gehen wollen, berichtet das ZDF unter Verweis auf „Vorstandskreise“. Man habe sich intern allerdings darauf geeinigt, „zu einem nicht näher bestimmten späteren Zeitpunkt über mögliche Konsequenzen zu reden“. Der Parteivorstand hoffe, mit seiner Entscheidung keinen „Präzendenzfall“ geschaffen zu haben, mit dem künftige Bewerber ermuntert werden könnten, ihre Biografien zu beschönigen.

Als der Vorstand sich am 21. August zur Überprüfung der Daten durchgerungen hatte, klang das noch anders: Die politische Karriere von „Hochstaplern“ sei zu unterbinden, hieß es damals.

Die Doppelspitze der Partei war laut ZDF nur zur Hälfte bei den Beratungen anwesend: Co-Bundessprecherin Alice Weidel habe sich entschuldigen lassen. Somit habe nur Co-Parteisprecher Tino Chrupalla teilgenommen. Weidel war am Dienstagvormittag, 19. September, in Wien bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem österreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Herbert Kickl (Video auf „Youtube“) aufgetreten.

Jura-Professor: Kandidatenaufstellungsverfahren müsste erneut erfolgen

Wie der MDR im Vorfeld berichtete, müsste die komplette Wahl für die AfD-Kandidaten zur EU-Wahl eigentlich wiederholt werden, falls sich herausstellen sollte, dass auch „nur einer der AfD-Politiker bei seiner Bewerbung in Magdeburg falsche Angaben gemacht“ habe. So habe Prof. Michael Brenner, Jurist an der Universität Jena, erklärt:

Stellt sich der Mangel im Vorfeld der Einreichung der Liste – also vor Einreichung beim Wahlleiter – heraus, so kann eine Bewerberauswechslung nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren herbeigeführt werden.“

Dieser Grundsatz gelte auch für die „Streichung einzelner Bewerber“. Falls ein Kandidat ausscheide, müsse den wahlberechtigten „Mitgliedern Gelegenheit gegeben werden, über die neue Reihenfolge der Liste zu befinden“, so Brenner. Das entspreche den „demokratischen Grundsätzen“. Ein „Sprecher der Bundesgeschäftsstelle“ der AfD habe diese Einschätzung geteilt, so der MDR.

Bausemer und Khan-Hohloch bringen keine Belege bei

Nach Angaben des ZDF hatte Arno Bausemer dem Parteivorstand innerhalb einer Abgabefrist von drei Wochen keine Papiere vorlegen können, die eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein bestandenes Studium oder ein geglücktes Volontariat dokumentieren würden. Auch seine angebliche Geschäftsführertätigkeit bei einem mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieb habe Bausemer nicht nachweisen können, hieß es nach ZDF-Angaben „aus Vorstandskreisen“.

Ähnlich sehe es bei Mary Khan-Hohloch aus: Auch sie habe keinen Beweis über ein abgeschlossenes „Studium der Religionswissenschaft und des öffentlichen Rechts“ erbracht, obwohl sie dies bei ihrer Listenbewerbung angegeben hatte. Khan-Hohloch habe lediglich „Bescheinigungen über einzelne absolvierte Hochschulveranstaltungen“ nachgereicht, berichtete das ZDF.

Hintergrund: Nominierungsparteitag in Magdeburg

Die AfD hatte an zwei Wochenenden Ende Juli und Anfang August in Magdeburg einen Nominierungsparteitag abgehalten. Dabei wurden jene 35 Parteimitglieder gewählt, die bei der EU-Parlamentswahl im Juni 2024 für die Partei antreten sollen. Auf Listenplatz Nummer eins wurde der Jurist und EU-Politiker Maximilian Krah gewählt. Die komplette Liste der Kandidaten findet sich auf der AfD-Webseite.

Vor der Abstimmung hatte die blaue Partei stets betont, Bewerber „mit praktischer Berufserfahrung“ ins Rennen schicken zu wollen, um sich damit vom Berufspolitikertum anderer Parteien abzugrenzen. Auf EU-Ebene sollen sie sich laut Parteitagsbeschluss für einen „Bund europäischer Nationen“ anstelle der EU einsetzen. Wie eine „geordnete Auflösung“ der Europäischen Union aussehen könnte, bleibt allerdings offen.

Verdacht auf Hochstapelei lässt AfD handeln

Kurz nach der Wahl stellten Medien, allen voran „t-online“, Nachforschungen über die Kandidaten an – und förderten einige Ungereimtheiten speziell bei den biografischen Angaben der siegreichen Bewerber Bausemer und Khan-Hohloch zutage.

Am Montag, 21. August, kündigte der AfD-Parteivorstand deshalb an, die Lebensläufe sämtlicher 35 Kandidaten überprüfen zu lassen. Es gehe um „Transparenz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit“, zitierte die „Tagesschau“ den Vorstand. Die Listenkandidaten wurden also aufgefordert, bis zum 11. September Belege über speziell jene „Angaben, die sie in ihren Reden während der Europawahlversammlung getätigt haben“, einzureichen. Gemeint waren die entsprechenden Aussagen zu Berufs- oder Studienabschlüssen. Auf Belege für sämtliche Daten in den eingereichten Lebensläufen wollte die Partei aber verzichten.

Die Überprüfung wurde vom Bundesvorstand in die Hände zweier „Vertrauenspersonen der Wahlleitung“ und des AfD-Bundesgeschäftsführers gelegt. Der hatte nun eine Woche Zeit, den Vorstand über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten.

Geschichten um mutmaßliche oder tatsächliche Unredlichkeiten bei der Darstellung des eigenen Werdegangs oder der akademischen Qualifikation sind seit Jahren nichts Neues in der deutschen Politik. So mussten beispielsweise die schon frühere Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), die Ex-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) oder der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis ihre Zukunftspläne ändern, nachdem sie mit Plagiatsaffären für Schlagzeilen gesorgt hatten.

Auch wenn die taz anlässlich der Lebenslauf-Affäre um Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Juni 2021 meinte, es gehöre heutzutage einfach dazu, den eigenen Lebenslauf „ein wenig aufzupeppen“, kann ein gefälschter Lebenslauf nach Einschätzung der Berliner Wirtschaftsrechtskanzlei Tim M. Hoesmann durchaus strafrechtliche Folgen haben: Je nach Art und Ausmaß stünden Delikte wie Urkundenfälschung (Paragraf 267 StGB), Betrug (Paragraf 263 StGB) oder Missbrauch von Titeln (Paragraf 132a StGB) zur Debatte. Es gilt die Unschuldsvermutung.

5.500 neue Mitglieder dazu gewonnen

Wird die Entscheidung der Partei schaden? Umfragen verschiedener Meinungsinstituten zufolge steht die AfD in der „Sonntagsfrage“ seit Monaten über 20 Prozent. Nach Angaben der Partei wurden zuletzt auch immer mehr Anträge auf Parteieintritt gezählt: Stand 12. September zähle die „Alternative“ rund 34.000 Menschen mit Parteibuch. „Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht das einem Anstieg um rund 5.500 Mitgliedern, also einer Steigerung von etwa 20 Prozent“, heißt es in einer AfD-Pressemeldung.



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