Treffen der Landtagspräsidenten: „Feinden der Demokratie geschlossen entgegen treten“
Im Jahre 1648 beendete der „Westfälische Frieden“ den Dreißigjährigen Krieg. Mit einer „Westfälischen Erklärung“ wollen die 30 Chefs der Landesparlamente im deutschsprachigen Raum Europas 375 Jahre später „die parlamentarische Demokratie als Ganzes“ zu neuer Kraft führen. Denn:
Die Parlamente sind in der repräsentativen Demokratie die einzigen direkt gewählten Verfassungsorgane. Hier schlägt das Herz der Demokratie. Verlieren die Parlamente ihre Unterstützung bei den Bürgerinnen und Bürgern, verliert die Demokratie.“
(„Westfälische Erklärung“, 20. Juni 2023)
Ob die Deklaration erneut ein längeres Aufblühen Mitteleuropas mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten.
Die Erklärung wurde am 20. Juni 2023 im Hotel Klosterpforte in Ostwestfalen-Lippe gemeinsam verabschiedet. Vorangegangen war eine dreitägige Landtagspräsidentenkonferenz. Den Vorsitz hatte turnusgemäß André Kuper (CDU), der Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Begleitende „Hintergrundgespräche“ fanden in Rietberg statt.
Kuper selbst habe an der Erklärung „federführend“ mitgewirkt, hieß es in einer Presseerklärung (PDF) des NRW-Landtags, die schon vor dem Treffen herausgegeben worden war.
„Demokratie unter Druck“
Wie schon der Titel des vierseitigen Abschlusspapiers (PDF) klarstellt, sehen die Landtagspräsidenten die „Demokratie unter Druck“, besonders wegen der „sehr unterschiedlichen und oft sinkenden Wahlbeteiligung“.
Abhilfe erhoffen sich die Unterzeichner von „Angeboten der politischen Bildung“, von einer verbesserten „Kommunikation“ und von einer stärkeren Gewichtung des 15. Septembers, dem Internationalen Tag der Demokratie. „Alternativ“ könne man auch den 30. Juni, den Internationalen Tag des Parlamentarismus, stärker würdigen.
Drinnen das Parlament – draußen die „Feinde der Demokratie“
„In Zeiten sinkender Wahlbeteiligung, Fake News und internationaler Krisen treten die Parlamente den Feinden der Demokratie geschlossen entgegen“, erklärte Gastgeber Kuper nach Angaben der offiziellen Presseerklärung des Landtags Nordrhein-Westfalen zum Abschluss der Erklärung.
Wen genau er als „Feinde“ betrachte, ließ Kuper offen. Auf Seite eins der „Westfälischen Erklärung“ heißt es:
Symptome dieser Entwicklung sind sinkende Wahlbeteiligung, zunehmende politische Polarisierung, Ablehnung demokratisch erzielter Kompromisse und offen zur Schau gestellte Abneigung gegen demokratische Institutionen.“
In der Erklärung heißt es weiter, dass die „multiplen Krisen unserer Zeit […] das Potenzial [hätten], einen Vertrauensverlust in Politik, Staat und Institutionen zumindest von Teilen der Bevölkerung zu fördern“. Als Beispiele erwähnt der Text die „Corona-Pandemie mit ihren gesellschaftlichen Verwerfungen“, außerdem „Energieknappheit und steigende Inflation auch als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine“.
Worte der Selbstkritik, kritische Anmerkungen in Richtung Bundes- oder Landesregierungen oder über die Rolle der Parteien finden sich weder in der „Westfälischen Erklärung“ noch in den dazugehörigen Presseverlautbarungen.
Nichtwähler – Demonstranten – Verschwörungstheoretiker?
Ganz offensichtlich geht es den 30 deutschsprachigen Landesparlamentspräsidenten also darum, etwas gegen enttäuschte Wahlurnenverweigerer, lautstarke Social-Media-Nutzer und Demonstranten zu unternehmen, die eine andere Vorstellung von „Demokratie“ haben als die Landtagspräsidenten.
Diese Annahme wird untermauert von der Tatsache, dass die „Westfälische Erklärung“ nach Angaben des nordrhein-westfälischen Landtags auf Gutachten von Prof. Karl-Rudolf Korte beruht, die der Politikwissenschaftler im Auftrag des Landtags NRW angefertigt hatte. Korte durfte seine Untersuchungen auch persönlich beim Treffen in Ostwestfalen-Lippe vorstellen.
Korte sieht mangelndes Wissen, Frustration und Desinteresse als Ursache
Prof. Korte war der Frage nachgegangen, warum so viele Bürger ihr Wahlrecht an der Urne gar nicht in Anspruch nehmen.
Zum Landtagspräsidententreffen hatte er die Antworten parat: „Fehlende Kenntnisse über die Demokratie und die Landespolitik, Frustration, keine Änderungen herbeiführen zu können und eine geringe Politik-Passion“ – das seien einige der Gründe, an einem Wahltag kein Kreuzchen zu machen.
Eine andere Studie der Bertelsmann-Stiftung Ostwestfalen habe festgestellt, dass beinahe ein Drittel der Menschen glaube, „geheime Organisationen“ hätten „Einfluss auf die Politik“. Die Bertelsmann-Experten rechneten etwa zwölf Prozent ihrer Befragten der Szene der „Verschwörungstheoretiker“ zu.
„Politisches Wissen“ als Lösung
Aus diesen Erkenntnissen zogen die Landtagspräsidenten um André Korte nun also den Schluss, dass „politisches Wissen“ die Demokratie „stärke“, die Wahlbeteiligung fördere und zugleich gegen „Verschwörungsmythen“ wirke.
Und genau daraus „leitet die Konferenz einen Auftrag ab: Gemeinsam mit allen Landtagen die Demokratiebildung stärken“, heißt es im Pressetext zur „Westfälischen Erklärung“.
Eliten als Demokratieverteidiger
Kuper hofft diesen Auftrag offenbar zumindest teilweise zu erfüllen, indem er sich ausdrücklich um mehr Engagement bestimmter gesellschaftlicher Kräfte bemühen werde: „Politikerinnen und Politiker“, „Entscheiderinnen und Entscheider“ und „Führungskräfte, Multiplikatoren in Wirtschaft und Gesellschaft“ müssten jetzt „für die Demokratie eintreten“, erklärte der NRW-Landtagspräsident laut Presseerklärung.
Darüber hinaus solle man in den Landtagen „die Angebote der Demokratiebildung“ überprüfen und – „soweit möglich und sinnvoll“ – ausbauen. Zum Beispiel, indem man es „den Besucherinnen und Besuchern der Landesparlamente“ erleichtere, die „parlamentarische Willensbildung“ direkt zu „erleben“.
Dieses „Angebot“ könne durch „niedrigschwellige Angebote aus Unterhaltung und Information“ ergänzt werden. Insbesondere Schülerinnen und Schüler gelte es anzusprechen, denn diese benötigten heute „mehr Medienkompetenz als alle Generationen vor ihnen“.
Die „Westfälische Erklärung“ erwähnt dazu beispielhaft „Diskussions- und Dialogveranstaltungen, Tage der offenen Tür, zielgruppengerechte Führungen (z.B. für Migrantinnen und Migranten und/oder junge Menschen), digitale und Smartphone-Touren, Rollenspiele, Ferienangebote, Informationen in Leichter Sprache für Erstwählerinnen und Erstwähler“ als Ansatzpunkte.
Kuper: „Meinungsfreiheit bedeutet nicht Faktenfreiheit“
Zur „Demokratie“ gehöre es zwar, „auch, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und auszuhalten“, räumte Kuper während der Veranstaltung ein, und „Meinungsfreiheit“ bedeute auch nicht „Widerspruchsfreiheit“. Schon gar nicht aber sei mit Meinungsfreiheit „Faktenfreiheit“ gemeint.
Eine Demokratie braucht den Meinungsstreit, aber auch die Akzeptanz, dass Kompromisse und Mehrheitsentscheide auf Basis gemeinsamer Tatsachen und Werte gelten.“ (André Kuper, Landtagspräsident NRW)
Eine „integrative Funktion“ könne dabei den Parlamenten und ihren Präsidentinnen und Präsidenten zufallen, heißt es in der Erklärung. Dafür müssten sie sich aber zu „für die Demokratie elementaren politischen Fragen positionieren“. Denn so eine „überparteiliche Position“ entwickele „eine Kraft zur Konsensbildung in der Gesellschaft“.
Regelmäßige Treffen
Die Präsidentinnen und Präsidenten der 30 deutschsprachigen Landtage aus Deutschland, Österreich, Südtirol und der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien kommen ein paar Mal im Jahr anlässlich ihrer Landtagspräsidentenkonferenzen zusammen.
Zuletzt hatten sich die Landtagschefs am 22. und 23. Januar 2023 in Brüssel getroffen. Dabei stand eine Erklärung zum Antisemitismus in Europa (PDF) im Mittelpunkt.
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