Stolpert Scholz über die Personalie Jan Marsalek?

Für Bundeskanzler Olaf Scholz wird die Luft immer dünner. Gefahr droht ihm in Gestalt des flüchtigen Ex-Wirecard-Managers Jan Marsalek, meint die italienische Zeitung „La Repubblica“. Denn der könnte Wladimir Putin belastende Informationen zugespielt haben.
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Was weiß der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand und mutmaßliche russische Geheimdienstmitarbeiter Jan Marsalek über Bundeskanzler Olaf Scholz?Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 30. Dezember 2023

Die italienische Zeitung „La Repubblica“ geht offenbar davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon im Laufe des Jahres 2024 von Verteidigungsminister Boris Pistorius abgelöst werden könnte. Es gebe „Gerüchte, dass der Wirecard-Fall und die Beziehungen zum russischen Spion Jan Marsalek dem sozialdemokratischen Führer den letzten Schlag versetzen könnten“, schrieb Repubblica-Autorin Tonia Mastrobuoni in der Ausgabe vom 26. Dezember.

Ähnliche Mutmaßungen hatte es bereits im November gegeben, damals aufgehängt an Scholz‘ Beziehungen zur Warburg-Bank. Das Traditionsgeldhaus hatte Cum-ex-Geschäfte in Milliardenhöhe zulasten des Steuerzahlers abgewickelt.

Den Recherchen der „La Repubblica“ zufolge hätten „zwei deutsche Parlamentsquellen“ ihrer Befürchtung Ausdruck verliehen, nach der Scholz hauptsächlich über seine Beziehungen zu Ex-Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek stolpern könnte – jenem „‚Spion, der aus der Kälte kam‘ und in die Kälte zurückkehrte“.

Fahndungsfotos mit dem Gesicht von Jan Marsalek, aufgeklebt auf einem Aktenordner des früheren MdB Fabio de Masi. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Seit dreieinhalb Jahren auf der Flucht

Der Österreicher Marsalek, Jahrgang 1980, war nach Bekanntwerden des Wirecard-Skandals im Juni 2020 untergetaucht, nachdem er über das Asiengeschäft des Zahlungsabwicklungsdienstleisters zwei Milliarden Euro verschwinden gelassen haben soll, wie „La Repubblica“ betonte.

„Verschiedenen Ermittlungen zufolge“ soll Marsalek sich heute in Dubai oder Moskau aufhalten und unter dem Schutz des russischen Geheimdienstes FSB stehen. Womöglich bekleide der Ex-Wirecard-Vorstand sogar eine „wichtige Rolle im russischen Geheimdienst“, erwähnte Mastrobuoni unter Berufung auf ein „Londoner Gericht“ und das „Wall Street Journal“ (WSJ, Bezahlschranke).

„Tatsächlich wird er von britischen Ermittlern verdächtigt, derjenige zu sein, der im Auftrag des russischen Geheimdienstes einen russischen Spionagering in London leitete“, erklärte WSJ-Deutschlandkorrespondent Bojan Pancevski. Marsalek sei in seinem Umfeld dafür bekannt gewesen, gerne über seine Zusammenarbeit mit Spionen und Geheimdiensten zu sprechen. Auch die „La Repubblica“ bestätigte, dass Marsalek im Wirecard-Kollegium damit angegeben hätte, das Nervengift „Nowitschok“ beschaffen zu können, mit dem der russische Oppositionelle Alexei Nawalny getötet werden sollte.

Derartige Prahlereien aber habe niemand wirklich erst genommen, meint WSJ-Autor Pancevski. Inzwischen stünden allerdings gewisse Fragen im Raum:

Auf welche Daten hatte er Zugriff? Hat er diese Daten an die Russen weitergegeben? Was hat er sonst noch für sie getan? Und noch wichtiger: Was macht er jetzt?“

Kontakte zu russischen Geheimdienstkreisen? Moskau dementiert

Nach Informationen von Pancevski hätten jene „europäischen und westlichen Länder“, die an den Ermittlungen gegen den international gesuchten Marsalek beteiligt seien, bislang lediglich entdeckt, dass der Gesuchte einen russischen Pass besitze und von Dubai aus an der Neugestaltung der privaten Söldnertruppe Wagner in Afrika beteiligt sei.

Marsalek habe den Auftrag wohl übernommen, nachdem Ex-Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin Ende August bei einem Flugzeug-Abschuss ums Leben gekommen war, so der WSJ-Korrespondent. Die russische Regierung aber dementiere entsprechende Kontakte und stehe auf dem Standpunkt, dass es sich „lediglich um eine Politisierung des Falles“ handele.

Nach Informationen der Münchener „tz“ soll Marsalek schon früher „Gelder in Konfliktzonen im Nahen Osten und Afrika für russische Operationen geschleust haben“. Außerdem soll der gebürtige Wiener „den russischen Militärgeheimdienst GRU und den Auslandsgeheimdienst SVR finanziell unterstützt“ und Wirecard „als eine Art Drehscheibe für Zahlungen russischer Geheimdienste genutzt“ haben.

BND und BKA waren Wirecard-Kunden, Scholz Finanzminister

Doch was hat das Ganze mit Scholz zu tun? Nach Angaben der „tz“ soll Marsalek auch „Daten und Informationen von ehemaligen Wirecard-Kunden an Moskau weitergegeben haben“. Zu den Kunden hätten auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundeskriminalamt (BKA) gehört. Beide deutschen Dienste hätten „Kreditkarten und Bankkonten“ von Wirecard „für ihre Agenten“ benutzt.

Dadurch könnte der Kreml „umfassende Informationen“ und die „Einsatzorte“ deutscher Spione erfahren haben. „Einige der Agenten sollen deswegen neue Identitäten bekommen haben, um ihre geheimen Operationen weiterhin unerkannt durchführen zu können“, schreibt das Münchener Blatt.

Als Marsalek noch als unumstrittenes Finanz-Wunderkind in Diensten der Wirecard AG stand, hatte Scholz als Bundesfinanzminister in der Regierung Merkel IV. zudem die politische Verantwortung für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) getragen. Nach Informationen von „t-online“ hatte die BaFin damals „trotz klarer Hinweise auf Unregelmäßigkeiten“ und Geldwäsche bei Wirecard „nötige Schritte nicht ergriffen“.

Im Gegenteil habe die Bundesanstalt Journalisten der „Financial Times“ angezeigt und „ein Leerverkaufsverbot verhängt“. Das habe „bei Investoren den Eindruck“ bestätigt, dass das Münchener DAX-Unternehmen „Opfer einer gezielten Attacke“ gewesen sei.

Ex-MdB De Masi sieht Putin im Vorteil

„Der Kanzler wäre einem großen Risiko ausgesetzt, wenn ihn eine Tatsache oder eine Aussage im Prozess mit einem Mann in Verbindung bringen würde, der sich des Hochverrats schuldig gemacht haben könnte“, fasst „Repubblica“-Autorin Mastrobuoni ihre neuesten Erkenntnisse über Marsalek und Scholz zusammen. Immerhin betrachte auch der frühere Linken-Abgeordnete Fabio de Masi Marsalek wegen seines Insiderwissens längst als einen „Risikofaktor für Deutschland“. De Masi hatte bereits im Juni 2022 erklärt, dass Wladimir Putin die deutsche Bundesregierung „in der Hand“ habe.

Scholz steht nicht nur als potenzieller Insider in den Wirecard- und Cum-Ex-Skandalen in der Kritik. Probleme könnten ihm auch die Jusos bereiten, die sich auf dem SPD-Parteitag im Dezember alles andere als zufrieden mit Scholz‘ Führungsqualitäten und der Haushaltskrise zeigten. Ansonsten aber genießt der Kanzler anscheinend breiten Rückhalt unter seinen Genossen.

In der Bevölkerung genießt Verteidigungsminister Boris Pistorius das weit größere Ansehen: Für 42 Prozent der Teilnehmer einer aktuellen „Bild am Sonntag“-Umfrage liegt der Verteidigungsminister klar auf Platz eins aller hiesigen Bundespolitiker. Die Zustimmung zu Kanzler Olaf Scholz (SPD) war im Vergleich zur Vorjahresumfrage um zehn Punkte auf 26 Prozent gefallen.

Schwierigkeiten könnten dem Kanzler allerdings auch zwei Mitmachaktionen der FDP-Basis bereiten: Sollte die Unterschriftenaktion der Kommunalpolitiker Dr. Johannes Baare und Prof. Dr. André Thess erfolgreich sein, könnte die Ampel an der Frage des Wiedereinstiegs in die Atomkraft auseinanderbrechen. Dasselbe droht angesichts einer Mitgliederbefragung, die Matthias Nölke, der Kreisvorsitzende der Kasseler FDP, auf den Weg gebracht hatte.



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