Stecken pro-ukrainische Attentäter hinter der Nord-Stream-Zerstörung?
Die ukrainische Regierung hatte weder etwas mit der Zerstörung der „Nord Stream“-Pipelines in der Ostsee zu tun noch besitzt sie irgendwelche Informationen über „pro-ukrainische Sabotagegruppen“, die den Anschlag verübt haben könnten. Das hat der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak via Twitter verlautbart:
Obwohl ich gerne interessante Verschwörungstheorien über die ukrainische Regierung sammle, muss ich darauf hinweisen, dass die Ukraine keinen Bezug zu dem Vorfall in der Ostsee hat und keine Informationen über „Pro-[ukrainische] Sabotagegruppen“ hat. Was ist mit den ,Nordic Streams‘ passiert? ,Sie sind gesunken‘, wie man in der Russischen Föderation selbst sagt…“ (Michailo Podoljak auf Twitter).
Gegenüber einem deutschen Rechercheteam, das aus Mitarbeitern des ARD-Hauptstadtstudios, der ARD-Redaktion „Kontraste“, dem SWR und der „Zeit“ besteht, erklärte Podoljak laut „Zeit“, dass möglicherweise doch Russland die Fäden gezogen habe: „Es gibt viel mehr Motive und viel mehr Einsatzmöglichkeiten in diesem Szenario“, habe Podoljak geantwortet.
Podoljak bezog sich damit auf einen Bericht der „New York Times“ (NYT, Bezahlschranke) vom 7. März, nach dem vermutlich eine der Ukraine nahe stehende Gruppe die Sprengladungen an den Pipelines angebracht und gezündet haben sollen. Als Quelle nannte die NYT mehrere anonyme US-Regierungsvertreter, die sich wiederum auf die amerikanischen Geheimdienste berufen hätten. Diese hätten im Einklang mit Podoljak ausgesagt, dass es keine Hinweise gebe, nach denen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj oder sein nahes Umfeld irgendetwas mit dem Sabotageakt zu tun haben könnten.
Der Tathergang nach Recherchen von ARD, SWR und „Zeit“
Auch ARD, SWR und die „Zeit“ sind schon länger mit dem Fall beschäftigt. Nach Recherchen eines gemeinschaftlichen Journalistenteams soll sich der Terroranschlag wie folgt abgespielt haben:
- Irgendwann vor dem 6. September 2022 habe ein in Polen ansässiges Unternehmen, das zwei ukrainischen Staatsbürgern gehören soll, eine Jacht gemietet. Der oder die Mieter hätte(n) gefälschte Reisepässe vorgelegt. Seine beziehungsweise ihre wahre Nationalität sei unklar.
- Fünf Männer und eine Frau seien mit einem Lieferwagen in den Hafen von Rostock gefahren. Dort hätten sie die gemietete Jacht mit Sprengstoff und Taucherausrüstungen beladen. Bei den fünf Männern habe es sich um einen Kapitän, zwei Taucher und zwei Tauchassistenten gehandelt. Die Frau soll als Schiffsärztin fungiert haben. Die genauen Identitäten seien unklar.
- Die sechs Saboteure seien am 6. September 2022 in Richtung der Tatorte geschippert.
- Am 7. September sei die Jacht erst an der Küste des weiter östlich gelegenen deutschen Touristenortes Wieck am Darß am Bodstedter Bodden angelandet. Später habe das Boot die dänische Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm angelaufen.
- Irgendwann habe das Taucherteam seinen Sprengstoff an den unterseeischen Gasröhren platziert.
- Danach habe das Sabotageteam die Jacht wieder an den Eigentümer übergeben – und zwar, ohne es vorher zu säubern.
- Am 26. September wurden die Sprengladungen gezündet.
- Ermittler hätten „Spuren von Sprengstoff“ auf dem Tisch in der Kabine der Jacht gefunden.
- Kurz nach der Sprengung habe „ein westlicher Geheimdienst“ einen Hinweis an „europäische Partnerdienste“ gegeben, nach dem „ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei“.
- Später hätten „weitere geheimdienstliche Hinweise“ die Vermutung nahe gelegt, dass „eine proukrainische Gruppe“ die Verantwortung trage.
Die mutmaßlichen Auftraggeber der sechsköpfigen Terrorgruppe seien unbekannt. Es sei allerdings unklar, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass es sich um eine „False Flag“-Operation gehandelt haben könnte, bei der bestimmte Spuren gelegt worden sein könnten, um den Tatverdacht in eine Richtung zu lenken, die den wahren Drahtziehern zupasskommen würde.
Zwei gefälschte Reisepässe aufgetaucht
Als Quellen für diesen Tatablauf hätte das ARD/ZDF/Zeit-Rechercheteam „Sicherheitsbehörden in Deutschland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und den USA“ genannt. So weit die übereinstimmenden Schilderungen des Tathergangs laut „Zeit“ und „Tagesschau“.
Nach Aussage der Berliner ZDF-Journalistin Shakuntala Banerjee habe man zwei „professionell gefälschte Reisepässe“ gefunden, die den sechs Tatverdächtigen zugeordnet worden seien. ZDF-Washington-Korrespondent Elmar Theveßen sagte, „US-Behörden“ glaubten, dass es sich um einen Zusammenschluss von unabhängigen „russischen Putin-Gegnern und ukrainischen Staatsbürgern […] mit losen Verbindungen zu ukrainischen Geheimdiensten“ handeln könnte – und zwar „ohne Wissen und ohne den Auftrag der ukrainischen Regierung“.
Viele offene Fragen
Bei den von ARD, ZDF und „Zeit“ skizzierten Eckpunkten des Tathergangs bleiben allerdings einige Fragen offen, die über die Hintermänner, die Nationalitäten und die mutmaßlichen Motive der sechs Verdächtigen hinausgehen:
Die erste und wichtigste Frage: Wie soll es ein kleines Team auf einer Jacht geschafft haben, ohne ein U-Boot und Dekompressionskammer rund 80 Meter tief zu tauchen? Wie soll es gelungen sein, ein Boot über mehrere Einsatzstunden an mehreren, weit voneinander liegenden Stellen exakt auf Position zu halten?
Im Blog des Verlegers und Sachbuchautors Egon W. Kreutzer heißt es: „Während die Experten aus aller Welt monatelang erklärt haben, die Ausführung des Anschlags auf die Gasleitungen hätte Fähigkeiten erfordert, wie sie nur Staaten – und zwar großen und mächtigen Staaten – zur Verfügung stehen, dass dazu monatelange Planungen und Vorbereitungen erforderlich sind, […], verkommt das Kommando-Unternehmen nun zur Tat einer unbekannten, kleinen Gruppe von fünf Männern und einer Frau, die von Deutschland aus mit einem Segelboot in See gestochen sind, in der Ostsee eine kleine Runde gedreht haben und dabei die Sprengladungen an- und zur Explosion gebracht haben.“
Auch weitere Einzelheiten bleiben schwammig. Wann genau mieteten wie viele Personen der mutmaßlichen Tätergruppe die Jacht? Was erbrachten die Nachforschungen über das in Polen ansässige Unternehmen, das das Boot gemietet haben soll? Warum wird der Name des Bootes nirgends genannt? Wenn es sich um eine Charterjacht handelte, müsste ihr Kurs auf See nicht auch nachträglich per AIS-Funksignal („Automatic Identification System“) exakt rekonstruierbar sein? Lag das Boot zum Vermietungszeitpunkt in Polen oder Rostock vor Anker? Wann genau kam der Lieferwagen auf das Rostocker Hafengelände? Saßen alle sechs Tatverdächtigen darin?
Wenn die Jacht am 6. und 7. September im Ostseeraum unterwegs gewesen war – wann und wo genau kam es zur Rückgabe des gemieteten Boots an seine Eigentümer? Waren da noch alle Tatverdächtigen an Bord? Wie reagierten die Eigentümer auf das verschmutzte Schiff? Wie bezahlten der oder die Mieter ihren Bootsausflug und gegebenenfalls seine Säuberung? Wurde das Boot nach der Übergabe keiner Reinigung unterzogen?
Wie viel Zeit war von der Rückgabe des Boots bis zur Sprengung vergangen? Wie wurde die Sprengung – möglicherweise Wochen nach dem Bootstrip – ausgelöst? Wann und wodurch erlangten „Ermittler“ Kenntnis von dem Ausflug der Gruppe? Wann und warum stellten sie – möglicherweise nach langer Zeit – noch Sprengstoffreste am Kabinentisch fest? Handelte es sich um Sprengstoffreste, die für so ein Attentat geeignet wären? Falls ja: Woher hatte die unbekannte Sechsergruppe die nötige Menge an Spezial-Sprengstoff, der weit unter einer Wasseroberfläche detonieren könnte?
Generalbundesanwalt ermittelt weiter
Genug nachzufragen also für den Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank. Dem liegen nach Angaben des deutschen Regierungssprechers Steffen Hebestreit bis heute noch keine Ermittlungsergebnisse vor. Das berichtete die „Zeit“. Frank und sein Team würden den Vorfall seit Oktober 2022 untersuchen. Die deutschen, schwedischen und dänischen Ermittlungsbehörden hätten erst „vor wenigen Tagen“ den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) darüber informiert, dass die Untersuchungen noch liefen und es noch kein Ergebnis gebe.
Pistorius mahnt zur Geduld
John Kirby, der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehen laut „Zeit“ beide von einem Sabotageakt aus und wollen die Ermittlungen abwarten.
Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mahnte zur Geduld: „Wir müssen jetzt mal abwarten, was sich davon wirklich bestätigt. Jetzt hypothetisch zu kommentieren, was wäre wenn, halte ich jetzt für nicht zielführend“, sagte er am 7. März im „Deutschlandfunk“ (DLF).
Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verlangte nach DLF-Angaben erneut, dass eine internationale Untersuchung stattfinden müsse. Aktuell habe man es mit einer „koordinierten Medienkampagne“ zu tun, die „der Ablenkung“ diene. Auch China und Ungarn drängen die UNO zu einer offiziellen internationalen Untersuchung zur Urheberschaft der Nord-Stream-Sprengungen.
Starreporter hatte USA und Norwegen beschuldigt
Nach Recherchen des amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh geht der größte Anschlag auf die deutsche Energie-Infrastruktur seit dem Zweiten Weltkrieg auf das Konto der USA und Norwegens – und zwar auf Wunsch und Befehl des US-Präsidenten Joe Biden.
Biden habe beabsichtigt, Gaslieferungen Russlands und damit Milliardengewinne für Moskau zu verhindern und zugleich Deutschland vom billigen russischen Gas abzuschneiden. Nebeneffekt sei gewesen, dass die USA danach selbst mehr Gas nach Deutschland hätten verkaufen können. Außerdem habe Biden dem Kreml ein Druckmittel gegen Deutschland und Westeuropa aus der Hand nehmen wollen, mit dem Moskau deren Engagement im Ukraine-Krieg hätte schmälern können.
Hersh-Kritiker wie Joe Galvin und Oliver Alexander bestreiten Hershs Story wegen ihrer Unstimmigkeiten und Widersprüche. Diese betreffen vor allem Einzelheiten zu Flugzeugen und Schiffen, über deren Einsatz Hersh detailliert berichtet hatte.
Sowohl die USA als auch Norwegen hatten Hershs Anschuldigungen von Anfang an scharf zurückgewiesen.
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