Sondervermögen: Der staatliche Haushalt außerhalb der Schuldenbremse

Union und SPD wollen mit einem Sondervermögen von bis zu 500 Milliarden Euro massive Investitionen ermöglichen – und umgehen dabei die Schuldenbremse. Kritiker warnen vor steigender Staatsverschuldung und mangelnder Transparenz. Was steckt wirklich hinter dem Begriff „Sondervermögen“?
Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken geben eine Pressekonferenz zu den Sondierungsgesprächen zwischen der Union und der SPD.
Noch haben die Koalitionsverhandlungen nicht begonnen. Die mögliche schwarz-rote Koalition präsentierte am Dienstag trotzdem schon ein gigantisches Schuldenpaket.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 6. März 2025

Die voraussichtlichen Koalitionspartner Union und SPD haben sich am vergangenen Dienstag auf die Einrichtung eines „Sondervermögens“ in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro geeinigt. Aus diesem soll Geld für Infrastrukturprojekte bereitgestellt werden. Das Sondervermögen soll über zehn Jahre laufen. Weiter soll die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert werden. Was ist aber genau ein „Sondervermögen“?

Sondervermögen bezeichnet im haushaltsrechtlichen Sinn finanzielle Mittel des Staates, die vom regulären Haushalt getrennt verwaltet werden. Diese Vermögen sind rechtlich eigenständig und dienen einem bestimmten Zweck, wodurch sie eine gezielte Finanzierung ermöglichen.

Finanzmittel an der Schuldenbremse vorbei

Da sie nicht Teil des Kernhaushalts sind, unterliegen sie in vielen Fällen nicht direkt der Schuldenbremse und können somit durch Kredite oder zweckgebundene Einnahmen finanziert werden. Sie verfügen über eine eigene Buchführung und Verwaltung, wodurch eine transparente Mittelverwendung sichergestellt werden soll.

Beispiele für solche Sondervermögen sind das Bundeswehr-Sondervermögen, das mit 100 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben ausgestattet wurde, oder der Klima- und Transformationsfonds, der Maßnahmen zum Klimaschutz finanziert. Diese Konstruktion erlaubt es dem Staat, größere Investitionen zu tätigen, ohne den regulären Haushalt unmittelbar zu belasten. Doch der Begriff „Sondervermögen“ suggeriert auf den ersten Blick das Gegenteil dessen, um was es eigentlich geht: Es handelt sich nicht um ein Vermögen, sondern um Schulden, die der Staat aufnimmt. Diese müssen in der Zukunft zurückgezahlt werden.

Auf der Website des Bundesfinanzministeriums kann man als Begriffserklärung lesen:

In Deutschland müssen sich zu erwartende Einnahmen und Ausgaben des Bundes im Bundeshaushalt wiederfinden. Eine Ausnahme bilden Sondervermögen. Sie werden beispielsweise eingerichtet, um umfangreiche und mehrjährige Maßnahmen für einen ganz bestimmten Zweck zu finanzieren. Sondervermögen werden per Gesetz errichtet und müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie der Bundeshaushalt. Sie werden wirtschaftlich getrennt vom übrigen Bundesvermögen verwaltet und abgerechnet.“

Der Bundestag genehmigt die Einrichtung von Sondervermögen per Gesetz und überwacht deren Verwendung. Gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und Paragraf 113 der Bundeshaushaltsordnung unterliegen Sondervermögen der Kontrolle durch den Bundestag.

Für die Verwaltung der Sondervermögen ist das Bundesministerium der Finanzen zuständig. Dieses hat sicherzustellen, dass die Mittel gemäß den vom Bundestag beschlossenen Vorgaben eingesetzt werden. Das Ministerium überwacht ebenfalls die wirtschaftliche Trennung der Sondervermögen vom übrigen Bundesvermögen. Der Bundesrechnungshof überprüft die Wirtschaftsführung der Sondervermögen. 

Sondervermögen sind „Sonderschulden“

Der Bundesrechnungshof spricht auf seiner Website davon, dass anstelle des Begriffs „Sondervermögen“ der Begriff „Sonderschulden“ zutreffender wäre. 29 Sondervermögen gibt es laut den obersten Rechnungsprüfern derzeit auf Bundesebene.

Das älteste Sondervermögen wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet, das sogenannte ERP-Sondervermögen (European-Recovery-Program-Sondervermögen) aus dem Jahr 1953. Dieses wurde damals aus Mitteln des Marschallplans geschaffen und dient bis heute der Förderung der deutschen Wirtschaft.

Ursprünglich aus den Wiederaufbauhilfen der USA finanziert, wird es inzwischen aus Rückflüssen der vergebenen Kredite gespeist und ist somit vom Bundeshaushalt unabhängig. Verwaltet vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und operativ durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau umgesetzt, bietet das Sondervermögen gezielte Finanzierungsprogramme für kleine und mittlere Unternehmen sowie für wirtschaftsschwache Regionen.

Die Finanzierung eines Sondervermögens aus Rückflüssen vergebener Kredite ist eine Ausnahme. Der Bundesrechnungshof spricht davon, dass nur ein Zehntel der Sondervermögen werthaltig ist. Der größere Teil ist kreditfinanziert. Ende 2022 lag nach Angaben der Rechnungsprüfer das Verschuldungspotenzial der Sondervermögen bei insgesamt 522 Milliarden Euro.

Vom Grundgesetz gedeckt

Die Einrichtung solcher Sondervermögen ist nicht gesetzeswidrig. Der Artikel 110 Absatz 1 des Grundgesetzes geht ausdrücklich von der Möglichkeit aus, Sondervermögen einzurichten.

In einem Bericht vom August 2023 kritisiert der Bundesrechnungshof die Sondervermögen im Bundeshaushalt allerdings vor allem wegen ihrer Intransparenz, der Umgehung der Schuldenbremse und der finanziellen Risiken für den Bund. Durch die Auslagerung von Schulden und Ausgaben in Sondervermögen werde das parlamentarische Budgetrecht untergraben, da diese Konstruktionen eine direkte Kontrolle des Bundestages erschweren.

Zudem bemängelt der Rechnungshof, dass die Vielzahl an Sondervermögen die Haushaltsplanung unübersichtlich macht und eine klare Übersicht über die Finanzlage des Bundes behindert.

Verzerrung der tatsächlichen Haushaltslage

Weiter kritisiert der Bundesrechnungshof, dass durch die Einrichtung von Sondervermögen die tatsächliche Verschuldung des Bundes nicht vollständig im offiziellen Bundeshaushalt sichtbar wird. Normalerweise unterliegt die Nettokreditaufnahme des Bundes der Schuldenbremse, doch durch Sondervermögen können zusätzliche Schulden aufgenommen werden, ohne dass sie direkt im Kernhaushalt erscheinen. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild der finanziellen Lage des Bundes, weil die offiziell ausgewiesene Nettokreditaufnahme niedriger erscheint, als sie tatsächlich ist. Dies birgt das Risiko, dass die Gesamtverschuldung des Staates stärker steigt als politisch oder wirtschaftlich vertretbar wäre, was langfristig zu einer finanziellen Überlastung führen kann.

Insgesamt sieht der Bundesrechnungshof in der aktuellen Praxis erhebliche Risiken für die Transparenz, die parlamentarische Kontrolle und die langfristige finanzielle Stabilität des Bundes.

Kritik an der Praxis der Einrichtung von Sondervermögen kam in der Vergangenheit auch vom Bund der Steuerzahler. Deren Präsident Reiner Holznagel kritisierte 2022 im Kontext der Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr diese „Schattenhaushalte“. Im „Deutschlandfunk“ sprach Holznagel damals von einer „Haushaltsakrobatik“ und warnt vor den langfristigen finanziellen Risiken solcher Schattenhaushalte. Holznagel kritisierte, dass diese Konstruktionen der Sondervermögen die Staatsverschuldung erheblich erhöhen und die finanzielle Belastung zukünftiger Generationen steigern könnten. Er forderte schon damals eine transparente und nachhaltige Haushaltspolitik, die ohne die Schaffung zusätzlicher Sondervermögen auskommt.

Eher „Satire“ als ernsthafter Vorschlag

Nachdem am Freitag die Pläne von Union und SPD, Sondervermögen einzurichten, bekannt wurden, hagelte es sofort Kritik von Ökonomen. Zu „Bild“ sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm:

Die Ampel hat jetzt dreieinhalb Jahre bewiesen, dass Subventionen auf der Basis von Schulden nicht funktionieren, dass der Staat schlecht darin ist, mit dem Geld das Richtige anzufahren.“

Bevor die Koalitionsverhandlungen richtig beginnen, soll nun das „ganz große Fass aufgemacht“ werden, so Grimm. Das klinge eigentlich mehr nach Satire als nach einem ernsthaften Vorschlag, so die Professorin an der Technischen Universität Nürnberg. Wenn das so passiere, dann „verschießen wir unser Pulver, bevor wir überhaupt eine Strategie haben, wie wir wehrhaft werden und gleichzeitig das Wachstum ankurbeln“, so Grimm weiter.

Die Ökonomin kritisiert weiter, dass „dauernd nur über zusätzliche Schulden“ geredet werde, viel zu wenig aber über eine Strategie, „wie wir aus diesen Investitionen auch wirklich Wachstum generieren“. Grimm warnt weiter, dass solche Schulden die deutsche Wirtschaft nicht stärken könnten, insbesondere wenn die Mittel möglicherweise bei ausländischen Firmen ausgegeben würden. Vorwiegend sieht sie die Gefahr bei Investitionen in der Verteidigung.

Am Ende nehmen wir jetzt viel Geld auf und kaufen damit bei den Amerikanern ein. Die wird das freuen. Wir aber werden dadurch unsere strukturellen Schwächen nicht überwinden.“



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