Scholz und Lindner auf getrennten Pfaden: Zwei Wirtschaftsgipfel an einem Tag

Um den anhaltenden Niedergang der deutschen Wirtschaft zu stoppen, verfolgen der Kanzler und sein Finanzminister am Dienstag unterschiedliche Ansätze: Lindner lud den Mittelstand, Scholz die großen Industrieplayer zu jeweils eigenen Gesprächsrunden ein. Wirtschaftsminister Habeck bleibt außen vor.
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Das Archivbild zeigt Bundesfinanzminister Christian Lindner (r., FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag.Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Von 29. Oktober 2024

Gleich zwei getrennte Wirtschaftsgipfel stehen am Dienstag, 29. Oktober 2024, auf dem Terminkalender der Regierungsvertreter in Berlin. Den ersten hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits am 16. Oktober in seiner Regierungserklärung angekündigt. Das zweite Treffen stellt praktisch eine Blitzgegenveranstaltung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit Unterstützung der FDP-Fraktion dar.

Lindner und FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatten erst in der vergangenen Woche kurzfristig Interessenvertreter aus dem Mittelstand, aus dem Handwerk und aus den freien Berufen für 11:00 Uhr zu einem 90-minütigen Treffen im Reichstagsgebäude eingeladen. Danach soll es eine Pressekonferenz geben.

FDP-Fraktion empfängt Spitzen des deutschen Mittelstands

Nach Angaben einer Fraktionssprecherin stehen der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, der Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben, Reinhold von Eben-Worlée aus dem Präsidium des Verbands der Familienunternehmer, sowie Stephan Hofmeister, Präsident des Berufsverbands der Freien Berufe, auf der Gästeliste.

Diese „Kleinen“ hatte Kanzler Scholz bei seiner Einladung ebenso außen vor gelassen wie Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), obwohl sie alle etwaigen Beschlüsse mittragen müssten.

Der Bundesfinanzminister äußerte am Montagabend gegenüber „RTL Direkt“ sein Bedauern darüber, von seinem Regierungschef übergangen worden zu sein: „Ich wäre gekommen, aber der Bundeskanzler hat so entschieden.“

Lindner nutzte den Affront nun wohl auch, um Punkte bei der traditionellen Stammwählerschaft der FDP zu sammeln: „Die kleinen Betriebe ächzen stärker etwa unter Bürokratielasten“, stellte Lindner im Gespräch mit „RTL direkt“ fest. „Die spüren schneller auch Ideologisierung in der Energie und in der Klimapolitik. Und deshalb ist es durchaus eine wichtige Ergänzung, auch den kleinen Betrieben Gehör zu schenken.“

Immerhin arbeiteten 75 Prozent der Beschäftigten im Mittelstand, Handwerk und Handel, gab Lindner zu bedenken.

„Wir wollen Strukturreformen, die allen helfen“, erklärte der FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer im Gespräch mit der „FUNKE Mediengruppe“.

Scholz‘ Industriegipfel ab 16:00 Uhr – Presse nicht erwünscht

Erst gegen 16:00 Uhr erwartet Scholz Vertreter von Industrieverbänden, Gewerkschaften und großen Unternehmen im Kanzleramt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sollen die Gespräche auf seinen Wunsch vertraulich bleiben: Die Presse sei weder zu Auftaktbildern noch zu einer Ergebnisverkündung eingeladen worden.

„Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen“, lautete die Begründung des Regierungschefs vor wenigen Tagen. Er erhoffe sich in der Sache ein „großes Miteinander“. Laut dpa soll es nicht bei dem einen Treffen bleiben: Scholz wolle sich Zeit lassen.

Während seiner Regierungserklärung vom 16. Oktober hatte Scholz eine „neue industriepolitische Agenda“ mit konkreten Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Sicherung von Arbeitsplätzen angekündigt: „Das, was dabei rauskommt, werde ich diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen, damit es vorangeht in Deutschland.“ Von seiner neuen Agenda sollen nach Vorstellung des Kanzlers „alle profitieren“.

Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur soll Scholz den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die IG Metall und die IG Bergbau, Chemie, Energie sowie die Autohersteller VW, BMW und Mercedes eingeladen haben.

Habeck favorisiert neues Schuldenprogramm für Investitionen

Wirtschafts-, Energie- und Klimaschutzminister Robert Habeck hatte darauf verzichtet, einen eigenen Gipfel einzuberufen. Dafür legte er am vergangenen Mittwoch ein den eigenen Worten zufolge selbst verfasstes „Impulspapier“ vor, in dem er unter anderem neue Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe für private und staatliche Investitionen als Ausweg aus der Krise empfahl.

Linder hatte den nicht mit ihm abgestimmten Vorstoß seines grünen Kabinettskollegen als Ruf nach einer „fundamental anderen Wirtschaftspolitik für Deutschland“ gewertet. Er erteilte Habecks Wünschen nach neuen Milliardenkrediten noch während seiner New-York-Reise eine Absage.

Tags zuvor hatte sich Lindner in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ für ein Ende der „Politik eines dirigistischen Umbaus der Wirtschaft“ starkgemacht, um die Rezession in den Griff zu bekommen.

Habeck hatte in SPD-Parteichefin Saskia Esken schnell eine Fürsprecherin gefunden: Sie verlangte laut „n-tv“ nicht nur eine Reform der grundgesetzlichen Schuldenbremse, sondern auch bis zu 600 Milliarden Euro Investitionsvolumen für die kommenden Jahre.

In einem Gespräch mit dem Nachrichtensender bezeichnete Esken Lindners Einladung zu dessen alternativen Wirtschaftsgipfel als „schon ein bisschen kindisch“.

Wirtschaft unter Druck

Die deutsche Wirtschaft erhofft sich bekanntlich seit Langem größere politische Anstrengungen, um endlich wieder mit niedrigeren Energiepreisen und Sozialabgaben, weniger Bürokratie, einem größeren Fachkräftepool und einer funktionierenden Infrastruktur arbeiten zu können.

Die von der Ampel ebenfalls seit Langem angekündigte „Wachstumsinitiative“ kommt nach Einschätzung der Deutschen Presse-Agentur nicht nur nicht in die Gänge, sondern wird von Wirtschaftsverbänden auch als unzureichend kritisiert.

Jörg Dittrich etwa, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, habe die Koalition zu mehr Tempo und Geschlossenheit aufgefordert:

Die Wirtschaftsdaten mahnen zur Eile. Ein gemeinsamer, schlüssiger und abgestimmter Regierungsplan ist nötig – keine zersplitterte Partei- oder Wahlkampftaktik.“

Herausforderungen der kommenden Wochen

Die Suche nach möglichst kostengünstigen Lösungen für den Kampf gegen die Wirtschaftsmisere fällt mitten in die finale Phase der Haushaltsberatungen für das Jahr 2025. Ob es die Parlamentarier im Haushaltsausschuss während ihrer traditionellen Bereinigungssitzung am 14. November schaffen werden, auch dieses Mal einen tragfähigen Kompromiss zu beschließen, steht in den Sternen.

Womöglich aber stellt auch die finale Abstimmung über Lindners Haushaltszahlenwerk im Bundestag am 29. November die Koalition vor eine Zerreißprobe.

Sollte das Bundesverfassungsgericht zudem demnächst entscheiden, dass der Solidaritätszuschlag rückwirkend für verfassungswidrig erklärt wird, droht der Ampelregierung neues Unheil – und womöglich doch noch das vorzeitige Aus.



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