Scholz stellt seine Rolle bei Ausgangssperren anders dar als im Frühjahr 2021

Im ARD-Sommerinterview hat Kanzler Scholz Fehler in der Corona-Zeit eingeräumt. Obwohl er sich einst selbst für Ausgangssperren stark gemacht hatte, erklärte er nun, dass er diesen Ansatz seinerzeit „nicht verstanden“ habe.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist «ganz zuversichtlich, dass wir den Haushalt im Juli auf den Weg bringen».
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) findet heute, dass einige Entscheidungen der Corona-Politik „drüber“ waren.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 25. Juni 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich im ersten Sommerinterview des ARD-Politikformats „Bericht aus Berlin“ auch Fragen zur Corona-Politik stellen müssen.

Zunächst hatte das Erste ein Einspielvideo gezeigt, in dem Jakob Maske, der Pressesprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte, klarstellte, dass Kinder und Jugendliche nie die „Superspreader“ waren, als die der Staat sie dargestellt hatte. Scholz räumte daraufhin ein, dass es „sicherlich nicht die richtige Entscheidung“ gewesen sei, die Schulen „mehr geschlossen“ zu haben als andere Länder. „Das ist ein Thema, was mich die ganze Zeit, auch während der Coronakrise sehr bewegt hat. Und ich hab‘ ja zu denen gehört, die für Vorsicht geworben haben.“

Scholz: Einige Entscheidungen waren „drüber“

Angesprochen auf das staatliche Verbot aus der Corona-Zeit, an Beerdigungen eigener Angehöriger teilzunehmen, erklärte Scholz, dass es „ein paar Entscheidungen“ gegeben habe, „die drüber waren“:

Warum man zu bestimmten Zeiten nicht draußen spazieren gehen konnte, wenn man eine Maske trug und niemandem begegnete, im Wald, das hab‘ ich nicht verstanden. Und das, glaub‘ ich, hätte nicht sein müssen.“

Mittlerweile gebe es „zu Recht“ Gerichtsurteile, „die bestimmte Ausgangssperren ab einer bestimmten Uhrzeit kritisiert haben“, sagte Scholz (Video ab circa 6:45 Minuten in der ARD-Mediathek).

Am 15. April 2021 hatte Scholz – damals noch Bundesfinanzminister und Vizekanzler unter Angela Merkel (CDU) – in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ Ausgangsbeschränkungen noch vehement als „Konsolidierungsschritt im Hinblick auf die Notbremse“, als „hilfreich, gut und richtig“ und als eine „große Erleichterung“ für viele Bürger verteidigt. Verfassungsjuristen in Innen- und Justizministerien hätten den Schritt überprüft, hatte Scholz seinerzeit bekräftigt (Video auf YouTube).

Auch er selbst gab sich bei Illner sicher, dass es funktionieren würde: „Ich bin überzeugt, dass die Ausgangsbeschränkung hilft. Und deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass es richtig ist, sie in den Gesetzcode da reinzuschreiben.“ Es gebe zwar anderslautende Studien, so Scholz gegenüber Illner, aber aus seiner Sicht sei es trotzdem „ein Verbrechen, diese Möglichkeit jetzt nicht zu nutzen angesichts der Gefahren, die mit den Infektionen verbunden sind“ (Video auf YouTube).

Scholz: „Ganz froh“ über Aus für Impfpflichtdebatte

Im aktuellen Sommerinterview begründete der Kanzler sein Eintreten für eine allgemeine Impfpflicht noch immer mit dem Fremdschutz. Man habe das „damals diskutiert“, „um sicherzustellen, dass wir die Sicherheit für alle anderen auch erhöhen und auch für die Begleiteten“, erklärte Scholz. Das sei „in vielen Berufen ja auch notwendig“ gewesen. Dann aber sei er „ganz froh“ gewesen, dass sich die Sache mit der Impfpflicht „als Thema relativ schnell verflüchtigt“ habe. „Wir sind ohne das durchgekommen und haben das dann auch nicht gebraucht“.

Spätestens seit Herbst 2021 hatte es in Deutschland einen bis dato beispiellosen politmedialen Druck auf all jene Bürger gegeben, die sich keine COVID-19-Impfung verabreichen lassen wollen. Wer sich nicht beugen wollte, galt für viele Impfverfechter in Politik, Medien und Alltag als „Covidiot“ oder Schlimmeres. Manche forderten sogar, dass man Impfskeptikern bei eigenen Gesundheitsproblemen die Aufnahme in eine Intensivstation verweigern sollte.

Für Gesundheitspersonal und in der Bundeswehr wurde alsbald eine Impfpflicht eingeführt. Bei einem Nein drohte häufig der Verlust des Arbeitsplatzes – meist ungeachtet jeglicher Einwände. Die Impfpflicht im Gesundheitswesen wurde erst mit Beginn des Jahres 2023 wieder abgeschafft, die Duldungspflicht für Soldaten erst vor vier Wochen.

Nach Bundestagswahl 2021: Vom Impfpflichtgegner zum -befürworter

Während Scholz noch wenige Wochen vor der Bundestagswahl Ende September 2021 versprochen hatte, überhaupt keine Impfpflicht einführen zu wollen, hatte er sich nach dem Wahlsonntag zu ihrem Verfechter gewandelt. Im Januar 2022 forderte ihn Eugen Brysch, der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, wieder zur Umkehr auf. Doch Scholz blieb hart.

Am 7. April 2022 scheiterte schließlich der Versuch der Regierung Scholz, Bürger über 60 Jahren kraft Gesetzes zur Impfung zu zwingen, lediglich an der Tatsache, dass auch die stärkste Oppositionsfraktion, nämlich CDU und CSU, einen eigenen Antrag für ein Impfvorsorgegesetz eingebracht hatten. Am Ende wurde kein Vorschlag mehrheitlich angenommen.

Dass die Impfung wohl keinen Fremdschutz würde bieten können, war im Krisenstab des Robert Koch-Instituts schon im Februar des Jahres 2021 bekannt gewesen. Im Oktober 2022 stellte sich heraus, dass der Anti-Corona-Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer vor seiner EMA-Zulassung überhaupt nicht auf seine Fähigkeit untersucht worden war, Übertragungen von Mensch zu Mensch zu verhindern.

Scholz gab sich wie die beiden jüngsten Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) und Jens Spahn (CDU) trotzdem insgesamt zufrieden mit der Corona-Politik seines Kabinetts: „Wir haben es geschafft, mit dem, was wir gemacht haben, dafür zu sorgen, dass nicht so viele Menschen gestorben sind oder dauerhaft schwer krank geworden sind.“

Das Bild zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz (l.)im Sommerinterview mit ARD-Moderator Markus Preiß.

Das Bild zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) im Sommerinterview mit ARD-Moderator Markus Preiß. Foto: Bildschirmfoto/ARD-Mediathek

Aufarbeitung am „sympathischsten“ per Bürgerrat

Seiner Meinung nach sei es allerdings nicht an der Zeit, das Thema Corona „abzuhaken, sondern auch darüber zu diskutieren, was wir daraus lernen.“ Jenen Menschen, die Freunde verloren hätten oder skeptisch geworden seien, riet der Kanzler:

Es gibt nur einen Weg immer, dass man bereit ist, überall offen darüber zu sprechen und auch niemanden kritisiert, weil er die Frage stellt oder das noch mal thematisiert, sondern das sagt, was man dazu sagen kann und das gemeinsam als Aufgabe begreift.“

Ihm persönlich sei der Vorschlag „am sympathischsten“, Bürgerräte mit der Aufarbeitung zu beauftragen, damit nicht nur Experten und Abgeordnete zu Wort kämen: „Das finde ich nicht schlecht.“ Als „gutes Experiment“ des Bundestags habe das schon einmal geklappt. Er wolle dem Parlament aber nicht vorgreifen.

Zuletzt hatten SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und vor ihm Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, derartige Bürgerräte ins Gespräch gebracht. Stimmen aus der FDP und der Union hatten sich dagegen für eine Enquete-Kommission des Bundestags mit Abgeordneten und Experten ausgesprochen. AfD und BSW wünschen sich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Bislang hatten die Parlamentarier des Bundestags eigenen Angaben zufolge einen solchen Bürgerrat erst ein Mal einberufen, nämlich im Mai 2023. Dabei ging es um Ernährung (PDF-Datei).

Ganz egal aber, ob nun ein Bürgerrat, eine Enquete-Kommission, ein Expertenrat oder ein Untersuchungsausschuss mit einer Aufarbeitung beauftragt wird: Juristische Konsequenzen für etwaige Versäumnisse oder Rechtsübertretungen politisch Verantwortlicher sind erfahrungsgemäß nicht zu erwarten.

ARD-Moderator Markus Preiß zeigte im Sommerinterview 2024 Verständnis für die Situation von verantwortlichen Politikern im Allgemeinen und von Scholz im Besonderen. Immer wieder betonte Preiß, dass es ihm bei seinen Corona-Fragen um den Blick von heute gehe, nicht um die Perspektive von damals. Es habe schließlich eine „große Unsicherheit“ gegeben. Das Thema RKI-Files sparte Preiß gleich ganz aus.



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