Rücktritt wegen „tiefster Krise“ der Grünen: Opposition fordert Neuwahlen
Die Koalitionspartner der Grünen in der Ampelregierung haben mit Verständnis auf den angekündigten Rückzug der Grünen-Bundesparteispitze reagiert – ebenso grüne Politiker. Die Opposition dagegen sieht das Aus für die Regierung immer näher rücken.
Doch davon will Regierungssprecher Steffen Hebestreit nichts wissen: „Das hat keinerlei Auswirkungen auf die Koalition“, betonte er. Es entstehe keinerlei personelle Lücke oder ein Machtvakuum, da der Grünen-Vorstand noch bis Mitte November im Amt bleibe. Kanzler Olaf Scholz (SPD) bedauere allerdings den Rückzug.
Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner bezeichnete die Zusammenarbeit mit Lang und Nouripour auf seinem X-Kanal als „menschlich immer fair“. „Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat. Wir müssen zur Sacharbeit kommen. Das Land hat keine Zeit zu verlieren“, ergänzte Lindner.
SPD: Zusammenarbeit „stets verlässlich und vertrauensvoll“
Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte nach Angaben der „Tagesschau“, sie nehme den Entschluss „mit Respekt zur Kenntnis“.
Sie gehe davon aus, „dass dies eine Neusortierung innerhalb der Grünen-Partei bedeutet und nicht innerhalb der Regierung und der Grünen-Fraktion“. Immerhin hätten die Grünen wie die SPD und die FDP bis zur Bundestagswahl 2025 noch einiges zu tun: „Wir sind hier im Arbeitsmodus, nach wie vor“. Sie habe von den Rücktrittsplänen im Vorfeld nichts gewusst, so Mast laut „Spiegel“.
Saskia Esken und Lars Klingbeil, die beiden Parteivorsitzenden der SPD, dankten dem scheidenden Grünen-Vorstand nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur „von Herzen“: „Trotz mancher inhaltlichen Unterschiede war diese Partnerschaft sehr angenehm, weil sie auch menschlich belastbar war“, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme. „Wir haben gemeinsam an der Spitze unserer beiden Parteien stets verlässlich und vertrauensvoll Dinge besprochen und geklärt.“
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese zollte Lang und Nouripour ebenfalls Respekt. Beide seien „eher bereit, bei sich selbst Veränderungen vorzunehmen, statt die Koalition infrage zu stellen“, lobte Wiese im Gespräch mit der „Rheinischen Post“. Besonders Nouripour habe er „stets als engagierten und integren Vorsitzenden erlebt“.
CDU-Generalsekretär fordert vorgezogene Neuwahlen
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte eine vorgezogene Bundestagswahl. „Noch ein Jahr ‚Ampel‘ wird unser Land nicht verkraften“, sagte Linnemann der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Die Grünen müssten ihre Politik „grundsätzlich ändern“. „Die grüne Blockadehaltung bei der Migrationspolitik“ und „ideologisches Mikromanagement im Wirtschaftsministerium“ unter Minister Robert Habeck würden Deutschland schaden. Insofern führe kein Weg an Neuwahlen vorbei.
Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, glaubt offenbar an ein baldiges Ende der gesamten Ampelregierung: „Mit dem Rücktritt des gesamten Parteivorstands der Grünen zerbröselt die Koalition vor laufenden Kameras“, so Frei nach Angaben des „Spiegel“. „Die Fliehkräfte“ innerhalb der Ampel nähmen weiter zu: „Was wir hier sehen, ist die Initialzündung einer Kettenreaktion.“
Auch für Habeck und Baerbock sei es Zeit zu gehen: „Wenn die Parteivorsitzende Ricarda Lang von der Notwendigkeit eines Neuanfangs und von neuen Gesichtern spricht, können ja wohl kaum diejenigen Vertreter im Amt bleiben, die zum Symbol der verkorksten Wirtschafts- und Migrationspolitik wurden“, so Frei in der „Rheinischen Post“. Die Menschen verlangten nach einer „Kehrtwende in der Migrationspolitik“ und Antworten auf die „Wirtschaftskrise“.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hofft ebenfalls auf ein vorzeitiges Aus der rot-grün-gelben Koalition. „Das Problem sind nicht die Grünen an der Parteispitze, das Problem sind die Grünen in der Bundesregierung“, sagte er laut dpa. „Die Ampel implodiert. Die rot-grün-gelben Dominosteine sind am Fallen.“
AfD hofft auf Vertrauensfrage – BSW ebenfalls
Alice Weidel, die Co-Bundessprecherin der AfD, schrieb auf ihrem X-Kanal vom „Anfang vom Ende der Ampel“. Sie forderte den Bundeskanzler auf, die Vertrauensfrage zu stellen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen.
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht verlangte ebenfalls Neuwahlen: „Ich würde mir wünschen, dass der Schritt von Lang und Nouripour auch die Bundesminister der Grünen ermuntert, politische Verantwortung für schlechtes Regieren zu übernehmen und den Weg für notwendige Neuwahlen freizumachen“, so Wagenknecht in der „Rheinischen Post“. Ein Kurswechsel in der Friedensfrage sei von den Grünen aber auch dann „leider nicht zu erwarten“.
Habeck: „Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bezeichnete die Rücktrittsankündigung laut „Spiegel“ als „großen Dienst an der Partei“. Die Grünen hätten „harte Monate“ voll des Gegenwinds hinter sich.
„Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht. Ricarda Lang und Omid Nouripour beweisen, was für sie der Parteivorsitz bedeutet: Verantwortung. Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang“, so Habeck im Gespräch mit der dpa. „Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen.“
Nachdem seine Kabinettskollegin, die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, ihre Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur beerdigt hatte, könnte es nun an Habeck sein, für den Posten des Regierungschefs anzutreten. „Ich möchte auf dem Parteitag eine offene Debatte zu einer möglichen Kandidatur und ein ehrliches Votum in geheimer Wahl“, erklärte Habeck dazu. In jedem Fall müssten sich die Grünen „neu sortieren und neu aufstellen“, „um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen“.
Kommende Wahlkämpfe im Blick
Beinahe dieselben Worte nutzte Anke Erdmann, die Vorsitzende des Landesverbands der Grünen in Schleswig-Holstein: „Der Rücktritt ist die Startposition für einen Aufbruch und die Neuaufstellung für einen kraftvollen Bundestagswahlkampf“, so Erdmann laut „T-online“. Bei den „aktuellen Wahlergebnissen und Umfragen“ gebe es aber nichts schönzureden: „Es wird ein Kraftakt, aus der Delle herauszukommen.“
Ähnlich äußerte sich Anton Hofreiter, der frühere Chef der Grünen-Bundestagsfraktion. Er empfahl im Gespräch mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) „eine ruhige und konzentrierte Diskussion, was die Strategie und die personelle Neuaufstellung an der Parteispitze betrifft“. Er selbst wolle sich „ganz herzlich bedanken für die gute Arbeit, die Omid Nouripour und Ricarda Lang in nicht einfachen Zeiten geleistet“ hätten.
Auch die beiden Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann schrieben auf der Plattform X: „Wir haben großen Respekt vor Eurer Entscheidung und der des Bundesvorstands, die Partei für kommende Wahlkämpfe neu aufzustellen.“ Ihren „großen Respekt“ für „ein starkes Signal für die Übernahme von Verantwortung“ zollte auch Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic.
Lang und Nouripour gehen in Dankbarkeit
Die scheidenden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour meldeten sich nach ihrer kurzen Pressekonferenz vom Vormittag ebenfalls noch auf X zu Wort. Lang twitterte, es sei ihr „Ehre, Privileg und Verpflichtung zur Verantwortung zugleich“ gewesen, die Partei als Vorsitzende führen zu dürfen. „Die Verantwortung, im besten Sinne der Partei zu handeln, übernehmen wir. Deswegen lege ich zum Parteitag mein Amt nieder.“ Sie sei überzeugt, dass sich die Partei aus der Krise hinauskämpfen könne, ergänzte Lang in einem Videostatement.
Nouripour sieht sich in einem Videostatement in „Verpflichtung zur Verantwortung“: Die Partei habe ihm auch angesichts seiner Migrationsgeschichte „unglaubliche Türen geöffnet“. Lang, er selbst und die übrigen Angehörigen des Parteivorstands hätten „hart gekämpft“ und „viel erreicht“. Nach einigen Wahlniederlagen sei es aber Zeit für einen Neustart und für „Leute, die neu anpacken“. Die Gesellschaft benötige nun Zusammenhalt „wie nie zuvor“.
Paukenschlag am Vormittag
Lang und Nouripour hatten am Vormittag des 25. September 2024 kurz nach 10:30 Uhr bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin den geschlossenen Rücktritt des gesamten Parteivorstands für Mitte November angekündigt. Es handele sich um die „tiefste Krise der Partei seit einer Dekade“, erklärte Nouripour. Und weiter:
Deshalb hat der Bundesvorstand heute morgen entschieden, dass es Zeit ist, die Geschicke dieser großartigen Partei in neue Hände zu legen. Wir werden die Partei deshalb bitten, zu unserem Bundesparteitag in Wiesbaden einen neuen Vorstand zu wählen.“
Lang betonte, man benötige „neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen“. Es sei „nicht die Zeit, um am Stuhl zu kleben“.
Die beiden Parteivorsitzenden waren Ende Januar 2022 gewählt worden – als Nachfolger von Habeck und Baerbock, die nach der Bundestagswahl 2021 ins Kabinett berufen worden waren. Im November 2023 wurde das neue Parteiführungsduo im Amt bestätigt – eigentlich für die Dauer von zwei Jahren.
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