Routine-Anpassung der Sozialversicherungsgrenzen könnte an Lindners Widerstand scheitern

Bundesfinanzminister Christian Lindner will sein Ja zu erhöhten Beitragsbemessungsgrenzen für die gesetzlichen Sozialversicherungen offenbar weiter davon abhängig machen, dass die Grünen seinen Plänen zur Abschaffung der kalten Progression zustimmen. Eine Einigung scheint kurzfristig geplatzt zu sein.
Das Bundeskabinett befasst sich heute mit mehreren Gesundheitsgesetzen. (Archivbild)
Das Archivbild zeigt eine Sitzung des Bundeskabinetts. Die Bundesminister und der Kanzler tagen regelmäßig mittwochs.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 15. Oktober 2024

Das Bundeskabinett sollte am Mittwoch, 16. Oktober 2024, eigentlich dafür sorgen, dass Gutverdiener ab dem 1. Januar 2025 mehr Geld in die gesetzlichen Sozialversicherungen einzahlen sollen. Hintergrund ist die jährliche Routineerhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen durch die Bundesregierung.

Doch nach Informationen der Nachrichtenagentur „Reuters“ droht Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit einer Blockade: Grünes Licht für höhere Beitragsbemessungsgrenzen solle es von seiner Seite erst dann geben, wenn im Gegenzug seine eigenen Steuerreformpläne abgesegnet werden, um die kalte Progression per Steuerfortentwicklungsgesetz zu beerdigen. „Reuters“ beruft sich auf eine Aussage aus Finanzministeriumskreisen:

Eine Anpassung der Beitragsbemessungsgrenzen ist für das Bundesfinanzministerium an die vollständige Beseitigung der Kalten Progression gebunden. Erst wenn hier Klarheit im Bundestag besteht, lassen wir die entsprechende Bestimmung im Kabinett passieren.“

Wie „Reuters“ annimmt, richtet sich die Ansage gegen die Grünen. Diese stünden Lindners Steuerreformplänen speziell bei der kalten Progression ablehnend gegenüber. Nach Informationen der „Wirtschaftswoche“ sollte auf Lindners Betreiben hin sein Steuerfortentwicklungsgesetz noch in der laufenden Woche verabschiedet werden.

Einigung kurzfristig geplatzt

Noch wenige Stunden zuvor hatte der Nachrichtensender n-tv unter Berufung auf Regierungskreise darüber berichtet, dass der seit Längerem schwelende Kabinettskonflikt ad acta gelegt worden sei. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) habe sich mit seinen neuen Beitragsbemessungsgrenzen für 2025 bereits gegen Lindner und auch gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) durchgesetzt. Auch aus den übrigen Ressorts habe es keine Einwände mehr gegeben, obwohl Heils Zahlen einen relativ hohen Anstieg der Beitragsbemessungsgrenzen bedeuten – und damit eine stärkere Belastung für Personen mit relativ hohem Einkommen, was Lindner im Zuge seiner Wachstumsinitiative eigentlich vermeiden wollte.

Nun also folgte offenbar dessen Retourkutsche mit dem Beharren auf dem Ende der sogenannten kalten Progression. An diesem Punkt war das Kabinett bereits Ende September angelangt.

„Zukünftig sollte die Beseitigung der Kalten Progression mit einem Tarif auf Rädern automatisch erfolgen, um diese kontroversen Verfahren zu vermeiden“, zitierte die Nachrichtenagentur am Dienstagmorgen das Finanzministerium.

Jährliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen

Bei den neuen Beitragsbemessungsgrenzen für das Jahr 2025 geht es nicht etwa um prozentuale Beitragssätze, sondern um jenen maximalen Geldbetrag, auf dessen Basis die Sätze verlangt werden dürfen. Verdient jemand mehr, so muss er für jenen Verdienstanteil, der über die Beitragsbemessungsgrenze hinausgeht, keine Zahlungen leisten. Die Limits werden jedes Jahr aufs Neue von der Bundesregierung für die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bestimmt.

Im laufenden Jahr liegt die Beitragsbemessungsgrenze für die allgemeine Rentenversicherung (RV) und die Arbeitslosenversicherung (AV) nach Angaben der Bundesregierung bei 7.550 Euro brutto pro Monat in den westlichen Bundesländern, im Osten nur bei 7.450 Euro.

Der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird in Ost wie West derzeit einheitlich auf maximal 5.175 Euro Monatsbrutto erhoben. Dieses Limit ist nicht zu verwechseln mit jener Größe, die eine Versicherungspflicht in der GKV begründet: Nur Personen, die mehr als 5.775 Euro verdienen, dürfen sich dem GKV-System als solchem entziehen und sich privat krankenversichern.

Einige hundert Euro mehr sollen beitragspflichtig werden

Ab 2025 sollen die Werte nach Informationen von n-tv nun also wie jedes Jahr nach oben angepasst werden. Dann sollen 8.050 Euro als Grenze für die RV-Beitragspflicht und 5.512,50 Euro als Maximalbetrag für die Berechnung der KV-Beitragspflicht gelten. Krankenversicherungspflichtig soll jeder sein, der nicht mehr als 6.150 Euro brutto verdient.

Für einen fiktiven Arbeitnehmer mit konstant 8.500 Euro monatlichem Bruttolohn wären ab dem 1. Januar also zusätzliche 500 Euro zur Altersabsicherung beitragspflichtig. Bei 18,6 Prozent RV-Beitrag müsste der Arbeitnehmer auch nach dem hälftigen Arbeitgeberzuschuss 46,50 Euro mehr aus eigener Tasche beisteuern.

Sollte sich derselbe Arbeitnehmer freiwillig gesetzlich krankenversichert haben, dürfte die KV ab 2025 ihre Beitragsbasis dafür um weitere 337,50 Euro erhöhen. Bei einem KV-Beitragssatz von 14,6 Prozent blieben trotz Arbeitgeberbeteiligung rund 25 Euro an ihm hängen – den individuellen Zusatzbeitrag nicht eingerechnet. Summa summarum würden Heils neue Richtwerte für ihn also eine Zusatzbelastung von netto rund 80 Euro pro Monat ausmachen. Allgemeine Beitragssteigerungen sind ebenfalls noch nicht mitgezählt.

Steuerfortentwicklungsgesetz: Kalte Progression abschalten

Zurück zu Lindners Kampf gegen die kalte Progression und sein unter anderem dazu entwickeltes Steuerfortentwicklungsgesetz, das derzeit als Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt (PDF). Gleich auf Seite 1 des Papiers heißt es:

Der Ausgleich der kalten Progression ist zwingend geboten, damit die Inflation insbesondere auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht die Lohnzuwächse auffrisst und ihnen netto ein angemessener Teil des Lohns verbleibt. […] Die kalte Progression wird über die Anpassung des Steuertarifs für 2025 und 2026 ausgeglichen.“

Der Gedanke dahinter betrifft ein seit Jahren diskutiertes Problem der deutschen Steuerveranlagung. Wenn Arbeitgeber die Gehälter ihrer Mitarbeiter in Höhe der Inflation anpassen, rutschen manche Steuerzahler wegen des absoluten Bruttozuwachses automatisch in eine höhere Steuertarifstufe. Damit müssen sie prozentual noch mehr Steuern entrichten.

Lindners Gegenmittel: Die „Eckwerte des Einkommensteuertarifs – mit Ausnahme des Eckwerts der sog. ‚Reichensteuer‘ – werden 2025 entsprechend den voraussichtlichen Ergebnissen des 6. Steuerprogressionsberichts nach rechts verschoben“, wie es im Gesetzentwurf auf Seite 69 heißt. „Dadurch wird die Freistellung des Existenzminimums sichergestellt und insbesondere für kleinere und mittlere Einkommen trotz steigender Inflation eine lediglich progressionsbedingt höhere Einkommensbesteuerung verhindert.“



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