Rechtsgutachten macht deutliche Ansage: Wie stark darf der Staat in den Kunstbetrieb eingreifen?
Der Kulturetat des Bundeshaushalts kann sich durchaus sehen lassen: 2,1 Milliarden Euro darf Kulturstaatsministerin Claudia Roth ausgeben. Während in anderen Ländern Kultur nicht selten eine Sache privater Spender und Stiftungen ist, wird in Deutschland Kultur traditionell als Staatskultur gesehen und dementsprechend staatlich mitfinanziert. Viele Projekte, im Großen wie im Kleinen, existieren nur, weil ihnen mit Steuergeldern kräftig unter die Arme gegriffen wird.
In den letzten Monaten ist der Kulturbetrieb in Deutschland allerdings mächtig unter Druck geraten, nachdem es immer wieder zu Skandalen gekommen war.
So reißt die Debatte um den Eklat auf der documenta 15 in Kassel, die im September 2022 stattfand, bis heute nicht ab. Damals wurde ein Kunstwerk eines indonesischen Künstlerkollektivs namens People’s Justice erst verhüllt, später wieder abgebaut. Viele sahen in dem Werk antisemitische Motive. Die Installation zeigte unter anderem einen Soldaten mit Schweinsgesicht.
Er trug ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ – die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes. Als Reaktion auf die Kritik musste später die Findungskommission der weltgrößten Kunstschau zurücktreten und der Standort Deutschland für die documenta wurde infrage gestellt.
Bekämpfung von Antisemitismus im Kulturbetrieb
Die Politik sucht seitdem nach Mitteln und Wegen, damit der öffentliche Kulturbetrieb nicht als Bühne für Judenhass und Rassismus missbraucht wird. Allerdings gab es danach immer wieder israelkritische bis israelfeindliche Aktionen aus der Kunstszene, zuletzt am Rande der vom Bund finanzierten Berliner Filmfestspiele „Berlinale“.
Kulturstaatsministerin Roth hat im Moment keinen leichten Job. Auf der einen Seite erwartet die Mehrheit, dass besonders nach dem Angriff palästinensischer Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober des letzten Jahres Roth wirksame Maßnahmen gegen den im Kulturbetrieb spürbaren Antisemitismus ergreift. Auf der anderen Seite ist die Freiheit der Kunst ein Grundrecht, das berechtigterweise unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht.
Immer wieder hat Claudia Roth betont, dass sie den Antisemitismus im Kulturbetrieb bekämpfen möchte. Zuletzt hatte sie Anfang März in einem Interview mit dem „Spiegel“ darüber gesprochen.
„Wir müssen Antisemitismus im Kulturbetrieb noch viel wirkungsvoller entgegentreten“, sagte die Grünen-Politikerin. Ein möglicher Weg seien Codes of Conduct der Einrichtungen.
„Es geht um die Frage, wo die Kunstfreiheit endet, wenn sie die Würde des Menschen verletzt.“ Aus Sicht Roths reichen solche Verhaltensregeln allein nicht aus. Sie müssten mit Weiterbildungen und Sensibilisierungen etabliert und in der Tagespraxis gelebt werden. „Das ist ein Prozess, der leider nicht von heute auf morgen passiert.“
Einen Vorstoß in Sachen Codes of Conduct, also Verhaltensregeln, hatte nach der Berlinale gerade erst Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) unternommen. Er wollte die Vergabe von Fördergeldern an eine Antidiskriminierungsklausel koppeln.
Wegen „juristischer Bedenken“ musste er die Regelung aber wieder zurückziehen. Allerdings waren auch Kuratoren und Künstler gegen Chialos Vorstoß Sturm gelaufen. Solche Klauseln seien eine Gesinnungsprüfung, argumentierten die Kritiker. Dennoch prüfen auch andere Bundesländer und öffentliche Institutionen, ob Codes of Conduct eine Lösung sind.
Professor Möllers: „Staat kann Kulturpolitik mit anderen politischen Zielen verbinden“
Claudia Roth hat den Professor für Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität Christoph Möllers mit einem Rechtsgutachten beauftragt. Das Gutachten, über das zuerst die „Welt“ berichtete, widmete sich der Frage: Sind „präventive Maßnahmen der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung zulässig“?
Möllers kommt im Gutachten zum Ergebnis, der Staat könne „Kulturpolitik in der Sache grundsätzlich auch mit anderen politischen Zielen verbinden und diese etwa mit dem Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus verbinden“. Eine eindeutige Aufforderung, dass Claudia Roth nun entsprechende gesetzliche Maßnahmen ergreifen kann, ist das Gutachten allerdings nicht.
Professor Möllers hatte schon kurz nach dem documenta-Skandal ein Gutachten verfasst. Dort hatte der Verfassungsrechtler den Schutz der freien Meinungsäußerung und der freien Kunstausübung als hohes Gut des Grundgesetzes betont. Im neuen Gutachten hält er fest, dass öffentliche Kulturinstitutionen, „auch wenn sie in staatlicher Trägerschaft stehen, in ihrer künstlerischen Arbeit (…) grundsätzlich von der Kunstfreiheit geschützt“ sind. Inhaltliche Eingriffe in ihr Programm seien mit der Verfassung nicht vereinbar.
Das Möllers-Gutachten hebt weiter die Bedeutung der „dienenden Kunstfreiheit“ hervor, insbesondere im Kontext öffentlicher Kulturinstitutionen. Diese Institutionen haben laut Möllers die Freiheit, Programme zu gestalten, die den Kunstbegriff selbst beeinflussen können.
Dazu gehört auch die Integration der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in ihre Aufgaben. „Im Ergebnis ist die Entscheidung einer öffentlichen Kulturinstitution, bei der Ausgestaltung von Programmen, bei der Auswahl von Künstlerinnen oder beim Umgang mit einer Sammlung, mögliche antisemitische oder rassistische Inhalte zu einem negativen Kriterium zu machen, von der Kunstfreiheit geschützt“, heißt es im Gutachten wörtlich.
Es gibt keinen Anspruch auf staatliche Förderung
Die Freiheit der Kunst, die im Grundgesetz verankert ist, wird von allen beteiligten Parteien in der aktuellen Debatte betont. Daher ist es angemessen, dass Möllers sie erneut ins Zentrum seines aktuellen Gutachtens stellt. Obwohl Künstler zweifellos durch die Verfassung geschützt sind und die Freiheit haben, Kunst zu schaffen, haben sie laut Möllers weder aus dieser Freiheit noch aus dem Gesetz einen Anspruch auf individuelle staatliche Förderung.
Mit anderen Worten, niemand ist dazu verpflichtet, staatliche Unterstützung anzunehmen. Diese klare Aussage des Gutachters steht jedoch im Widerspruch zur Realität eines Systems, das stark von öffentlichen Geldern abhängig ist. Es wirft die Frage auf, wie frei Kunst unter solchen Umständen wirklich sein kann.
Claudia Roth erhoffte sich wahrscheinlich durch das Rechtsgutachten eine Stärkung der Kunstfreiheit. Doch das Gutachten bestätigt nicht nur die Möglichkeit, geförderte Institutionen dazu zu verpflichten, sich gegen rassistische und antisemitische Positionen zu stellen – es bejaht dies ausdrücklich. Allerdings verbindet der Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph Christoph Möllers diese Feststellung mit deutlichen Warnungen hinsichtlich der faktischen Intensität eines solchen Eingriffs.
Die Verpflichtung staatlich geförderter Kultureinrichtungen zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus könnte weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Kulturlandschaft haben, indem sie eine potenzielle Einladung zur politischen Einflussnahme darstellt. Eine solche erweiterte Definition des öffentlichen Kulturauftrags legt die Einführung einer Kontrollstruktur nahe, die anfällig für Missbrauch sein könnte.
Darüber hinaus wäre es rechtlich äußerst anspruchsvoll, Künstler vertraglich auf solche Ziele festzulegen, da dies den Schutzbereich der Meinungs- und Kunstfreiheit berührt und eine sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Jeglicher Zwang zu einem darüber hinausgehenden Bekenntnis weckt endgültige verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Aspekte dienen als wichtige Erinnerung in der Debatte, da Künstler Kunst schaffen sollten, ohne wie Beamte oder offiziell anerkannte Bürger behandelt zu werden.
Zusammenfassend kann man feststellen: Dieses Gutachten bietet keine Lösung für Claudia Roth. Ein rechtlich verankerter Kunstrichter ist unerwünscht – so lässt sich das Gutachten von Professor Möllers zusammenfassen. Durch Gesetze und Verwaltungsvorschriften allein kann der durchaus vorhandene Antisemitismus im Kulturbetrieb nicht beseitigt werden.
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