Rätsel um die „Pandemie der Ungeimpften“ – Wo kommen die Zahlen her?

Schwammige Zahlen, fehlende Daten. Eine generelle Notwendigkeit einer Covid-19-Impfung für die breite Bevölkerung ist nicht für jeden nachvollziehbar. Mit Schlagworten wie "Pandemie der Ungeimpften" wird nun Stimmung gemacht. Schon seit Monaten kritisieren Mediziner, Wissenschaftler, aber auch Politiker die mangelnde Datenerhebung. Epoch Times hat sich auf die Suche nach Fakten gemacht.
Von und 23. September 2021

Am 8. September sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von einer „Pandemie der Ungeimpften“. 90 bis 95 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen seien nach seinen Angaben nicht geimpft. Woher die Zahlen kommen, ist unklar. Denn nach wie vor lässt die Datenerhebung der staatlichen Behörden zu wünschen übrig: Die Gesamtanzahl von durchgeführten PCR-Tests wurde zu keinem Zeitpunkt von den Ämtern erfasst. Nur Positivergebnisse müssen gemeldet werden. Die angegebenen Testzahlen beruhen auf einer freiwilligen Angabe von Schätzwerten. Laut Robert Koch-Institut heißt es: „Keine Vollerfassung“. Damit ist die Positivquote seit Pandemiebeginn nicht nur falsch berechnet, sondern fällt um einen ungewissen Faktor höher aus.

Grundsätzlich ist auch weiterhin nicht klar, aus welchem Grund die Menschen sich einem Corona-Test unterzogen haben. Waren sie Reiserückkehrer oder Kontaktpersonen? Hatten sie Symptome oder nicht? Waren sie schon gegen COVID-19 geimpft? All diese Fragen spielen bei der Durchführung eines Corona (PCR)-Tests für die Datenerhebung zunächst keine Rolle. Das geht aus Befragungen mehrerer Gesundheitsämter und Ministerien hervor.  So antwortete beispielsweise das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) mit: „Dem LGL liegen keine Informationen zu den durchgeführten Tests beziehungsweise dazu vor, ob diese aufgrund vorliegender Symptomatik durchgeführt wurden.“

Eine ähnliche Aussage kam vom Gesundheitsamt Stuttgart: „Ob zum Testzeitpunkt Symptome vorlagen, kann niemand sagen. Denn: Es wird im Rahmen der Erstermittlung abgefragt, ob Symptome bestehen, dies ist allerdings ja bereits nach dem Testzeitpunkt und wird nicht rückwirkend nachgefragt.“ Laut Pressesprecher der Stadt Stuttgart, Sven Matis, können anonymisierte Rohdaten des Amtes nicht zur Verfügung gestellt werden. Als ungeimpfte COVID-19-Fälle werden Personen gezählt, die zum Meldezeitpunkt keine Impfung erhalten hatten, unvollständig geimpft sind „oder für die den Gesundheitsämtern keine Angaben hierzu vorliegen“.

Nach Mitteilung der Stadt Stuttgart ergeben sich für die vergangenen Wochen folgende Inzidenzwerte:

Inzidenzen aus Stuttgart, Foto: Stadt Stuttgart

Interessant ist hierbei die Information, dass allein die Inzidenz der Geimpften in der Zeit vom 6. bis 12. September in Stuttgart bei über 32 lag. Diese Zahl liegt nahe an dem Wert von 35, der als Grenzwert in der Coronaverordnung festgelegt wurde und darüber entscheidet, ob Restriktionen aufgehoben werden. Wenn dieser Inzidenzwert allein durch Positivergebnisse der Geimpften erreicht werden kann, kommt die Frage auf, ob die Pandemie jemals enden wird. Ähnliches hat Bundesgesundheitsminister Spahn in der Sendung „Hart aber fair“ am 30. August 2021 geäußert.

Das Impfen macht einen Unterschied, und wenn wir jetzt sozusagen geschützte Menschen auch genauso testen wie ungeschützte, dann hört diese Pandemie nie auf“, so Spahn.

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Personen ohne Impfangaben gelten als ungeimpft

Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration gab am 8. September das Bulletin Coronavirus heraus, in dem die 7-Tage-Inzidenz für „Ungeimpfte, Teilgeimpfte und jene ohne Angaben zum Impfstatus“ mit 291,7 pro 100.000 Einwohner betrug. Für vollständig Geimpfte wurde die Inzidenz mit einem Wert von 12,4 ermittelt.

Auszug aus dem Corona Bulletin vom 8. September 2021 des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration. Foto: Bildschirmfoto/Corona Bulletin Hessen

Die genaue Anzahl der Menschen, deren Impfstatus nicht erhoben wurde, gab das Ministerium auf Nachfrage nicht heraus. Unklar ist auch, wie es dazu kommen kann, dass der Impfstatus nicht bekannt ist. Der Pressesprecher einer anderen Behörde erklärte hinter vorgehaltener Hand: „Bei gewissenhafter Kontaktverfolgung bekommt man auch den Impfstatus.“ Die Leute, die geimpft sind und trotzdem positiv getestet wurden, würden sich nach seiner Erfahrung ohnehin über das positive Testergebnis aufregen und dadurch ihren Impfstatus bereitwillig offenlegen. Und auch jene, die sich nicht haben impfen lassen, würden sich einer derartigen Angabe nicht entziehen. Insoweit ließe sich hier nicht ausschließen, dass bei der Datenerhebung „gemauschelt“ werde.

Die Pressestelle des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte teilte gegenüber Epoch Times mit, dass nach einem positiven PCR-Test die getestete Person kontaktiert und zum Impfstatus befragt werde – und zwar wie oft, wann zuletzt und mit welchem Impfstoff sie geimpft wurde. Diese Daten werden sodann an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGuS) sowie das RKI gemeldet.

„Fällt der PCR-Test negativ aus und es wird keine Infektion nachgewiesen, gibt es keinen ‚Fall‘, der laut Infektionsschutz zu erfassen ist und damit auch keine Erfassung des Impfstatus“, erklärte LaGuS-Pressesprecherin Anja Neutzling. Nach wie vor ist jedoch fraglich, warum überhaupt PCR-Tests bei Personen durchgeführt werden, wenn sie keine Symptome haben. Bereits im Januar 2021 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Jahresanfang vorgeben, dass PCR-Tests nur bei Menschen mit COVID-Symptomen durchgeführt werden sollen.

Datenerhebung in Krankenhäuser

Bei der Aufnahme eines Patienten im Krankenhaus wird standardmäßig ein Schnelltest und bei einem positiven Ergebnis ein PCR-Test vorgenommen. Das teilte ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit. Die Abfrage des Impfstatus sei zudem normaler Bestandteil der ärztlichen Anamnese, nicht nur in Bezug auf SARS-CoV2.

Vom RKI hieß es hierzu, dass Krankenhäuser durch Verordnung verpflichtet seien, den Impfstatus zu erfassen und ans Gesundheitsamt zu übermitteln.

Zur Umsetzung in den Kliniken hat das RKI keine Daten“, teilte RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher mit.

Zu der Frage, ob es eine Verzerrung der Daten gebe, weil Geimpfte kaum getestet werden und dadurch die Inzidenz der Geimpften geringer sei, antwortete RKI-Chef Lothar Wieler in einer Pressekonferenz vom 8. September: „Fakt ist, dass nach wie vor im Vordergrund steht, dass solche Personen getestet werden, die Krankheitssymptome haben.“ Das sei nach wie vor „der wichtigste Indikator“ für die Testung. Darüber hinaus gebe es verschiedene Tests, beispielsweise für Veranstaltungen und den öffentlichen Raum. Eine Verzerrung, dass Geimpfte bewusst nicht getestet werden, konnte Wieler nicht erkennen.

Bundesgesundheitsminister Spahn fügte hinzu: „Und an einer Stelle ist es unbestechlich, das ist die Intensivstation.“ Die Zahl finde er eindrucksvoll. Deutlich über 90 Prozent der Intensivpatienten würde nicht geimpft sein. „Eine klarere Impfempfehlung geht kaum“, so Spahn.

Wie auch immer der Gesundheitsminister zu diesem Wert gekommen ist, der Epoch Times liegen Informationen von Krankenhausmitarbeitern und Intensivpflegern vor, dass dort der Impfstatus der Patienten nicht immer abgefragt wird. Manchmal ja, manchmal nein, das gelte sowohl für die üblichen als auch für Intensivpatienten.

Fragwürdige Impfdurchbrüche – Das Ende des 2G-Modells?

Auch die Datenerhebung zu den sogenannten Impfdurchbrüchen ist alles andere als evidenzbasiert. Ein Impfdurchbruch setzt zunächst voraus, dass eine Impfung wirkungsvoll ist. Das RKI spricht allerdings von „wahrscheinlichen Impfdurchbrüchen“. Dieser wird als SARS-CoV-2-Infektion mit klinischer Symptomatik definiert, die bei einer vollständig geimpften Person mittels PCR oder Erregerisolierung diagnostiziert wurde. Ein vollständiger Impfschutz wird zwei Wochen nach einer abgeschlossenen Impfserie (zwei Dosen Moderna-, BioNTech- oder AstraZeneca-Vakzine beziehungsweise eine Dosis Janssen-Vakzine) angenommen.

Laut RKI-Bericht vom 16. September wurden bislang 39.228 wahrscheinliche Impfdurchbrüche seit der fünften Kalenderwoche identifiziert. Bei den über 60-Jährigen wurden in den Kalenderwochen 33 bis 36 bei 10.195 symptomatischen COVID-19-Fällen insgesamt 4.360 als wahrscheinliche Impfdurchbrüche gewertet, also 42,8 Prozent.

In derselben Altersgruppe wurden im selben Zeitraum 3.301 COVID-19-Fälle im Krankenhaus behandelt, davon waren 640 oder 19,4 Prozent vollständig geimpft. Von 549 COVID-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, waren 93 Intensivpatienten (16,9 Prozent) vollständig geimpft. Höher ist der Anteil der geimpften Verstorbenen. Von 480 Verstorben waren 125 vollständig geimpft, sodass man hier von 26 Prozent wahrscheinlicher Impfdurchbrüchen ausgeht.

Auch in den übrigen Altersgruppen traten laut RKI wahrscheinliche Impfdurchbrüche auf. In der Altersgruppe 18 bis 59 waren dies in den vergangenen vier Kalenderwochen ebenfalls fast ein Fünftel aller symptomatischen COVID-19-Fälle, nämlich 19,5 Prozent (19.145) von 98.223.

Auszug aus Tabelle 4 aus dem RKI-Situationsbericht vom 16. September 2021. Foto: Bildschirmfotos/RKI, Zusammenstellung Epoch Times

Indes sorgte eine Party in Münster am 3. September, die unter 2G-Regeln stattgefunden hatte, für Schlagzeilen. Nach der Veranstaltung mit 338 Personen, bei der nur Geimpfte und als genesen ausgewiesene Personen zugelassen wurden, sind inzwischen 85 sogenannte Neuinfektionen (Stand 17. September) registriert worden; das entspricht rund 25 Prozent der Teilnehmer. 64 davon wohnen in Münster. 59 Impfnachweise wurden von Betroffenen eingereicht und überprüft. Ein Verstoß konnte bislang nicht festgestellt werden. Das vom Club bereits Mitte August eingebrachte Hygienekonzept wird nach Angaben der Stadt zudem verwaltungsseitig als vorbildlich bewertet. Die Betroffenen haben bislang milde Symptome oder sind asymptomatisch. Von der Stadt heißt es, dass die Betroffenen, hauptsächlich Mittzwanziger, aufgrund milder Symptome und in weiterer Folge durch eine Meldung ihrer Corona-WarnApp auf dem Smartphone auf das Infektionsgeschehen aufmerksam wurden.

Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer aus Münster wies in diesem Zusammenhang auf die Wirksamkeit der COVID-19-Impfung hin: „Die Impfung schützt vor einer schweren Erkrankung; eine Ansteckung und weitere Übertragungen sind hingegen nicht auszuschließen“ und „Die vorliegende Ansteckungsserie bestätigt noch einmal die enorme Bedeutung der Schutzimpfung.“



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