Pistorius verzichtet, Scholz geht ins Rennen – Union und FDP wittern ihre Chance
Nachdem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius eine Kanzlerkandidatur für die SPD am Abend des 21. November 2024 definitiv ausgeschlossen hat, will die SPD-Parteispitze nun offenbar schnell Nägel mit Köpfen machen.
Der SPD-Coparteivorsitzende Lars Klingbeil erklärte am Donnerstagabend, er wolle das Präsidium und den Bundesvorstand der Partei am kommenden Montag bitten, den amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz offiziell zum Kanzlerkandidaten zu nominieren.
„Wir werden jetzt sehr schnell in den Gremien, Montag im Parteivorstand, dann auch Klarheit schaffen: Wir wollen mit Olaf Scholz in die nächste Wahlauseinandersetzung gehen“, sagte Klingbeil nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) in Berlin.
Seine Coparteichefin Saskia Esken zollte Pistorius Respekt: „Die Entscheidung von Boris Pistorius ist souverän und ein großes Zeichen der Solidarität zur SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz“, lobte Esken im Gespräch mit der „Rheinischen Post“.
Pistorius sei „ein hervorragender Verteidigungsminister, und wir kämpfen im kommenden Bundestagswahlkampf auch darum, dass er dieses Amt in der nächsten Regierung weiter ausführen kann“, so Esken.
Derzeit stehe die SPD vor „großen Herausforderungen“, räumte Esken ein. Diese könne die Partei „nur gemeinsam und mit einer geschlossenen SPD bewältigen“. Die SPD habe jedoch bereits früher bewiesen, dass sie kämpfen könne. Esken gab bereits die grobe Marschroute für den Wahlkampf vor:
Mit Olaf Scholz an der Spitze und einem erfahrenen Team wollen wir uns dafür einsetzen, das Leben und die Zukunft der Menschen und ihrer Familien zu verbessern, die unser Land mit ihrer Arbeit am Laufen halten, denn sie haben unseren Respekt, unser Engagement und unsere Entschlossenheit verdient.“
Der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner (SPD) beschäftigt sich nach Informationen der RP ebenfalls bereits mit dem Wahlkampf: „Nun müssen wir die Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit unserem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz davon überzeugen, dass er die beste Wahl für Deutschland ist, und sein Herausforderer Friedrich Merz das Land in die Vergangenheit zurückführen würde.“
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) begrüßte nach Angaben der FAZ eine weitere Kandidatur des amtierenden Regierungschefs: In Zeiten der Krise sei es von „fundamentaler Bedeutung, dass an der Spitze der Bundesregierung jemand steht, der mit Erfahrung und mit Umsicht vorgeht und der sicher dafür sorgt, dass wir keinen Krieg haben werden und dass wir alle Möglichkeiten für Frieden nutzen“.
Auch die übrigen „Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten“ hielten es für „richtig, dass wir mit Olaf Scholz in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen“, so Weil.
Der Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten (SPD) zeigte sich im „Spiegel“ weniger überzeugt: „Ich bedauere diese Entwicklung“, sagte Pistorius-Fan Weingarten. Dennoch müsse es nun „das Ziel sein, gemeinsam und geschlossen das bestmögliche Wahlergebnis für die SPD zu erzielen“.
Ähnlich hat sich der SPD-MdB Johannes Arlt geäußert: „Auch wenn ich mir eine andere Entscheidung gewünscht hätte: Jetzt haben wir eine Entscheidung. Das ist gut für die Partei und das Land. Jetzt gehen wir geschlossen in den Bundestagswahlkampf“, zitiert ihn der „Der Spiegel“.
Ministerpräsident Schweitzer stichelt gegen Merz
Alexander Schweitzer (SPD), der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, klang nach FAZ-Informationen gegenüber der Deutschen Presse-Agentur ähnlich: „Es ist gut, dass wir jetzt eine Entscheidung haben. Jetzt beginnt der Wahlkampf“. Der Unionskandidat Friedrich Merz müsse zunächst beweisen, dass er es besser könne als Scholz, meinte Schweitzer. Merz habe mit seiner Blockade die Ampelregierung beschädigen wollen – am Ende aber nur Deutschland geschadet.
„Olaf Scholz hat Deutschland in schwierigsten Zeiten mit einer sehr komplexen Koalition sicher geführt. Den Beweis, so etwas zu können, müssen andere erst beibringen“, betonte laut RP auch Johann Saathoff, der Vorsitzende der niedersächsischen Landesgruppe innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. Die SPD habe „inhaltlich wie personell“ „viele gute Angebote“.
Stimmen aus den Reihen von CDU und CSU: Von Zweifel bis Spott
Vertreter der Union reagierten mit Zweifel, Erleichterung oder Häme auf Pistorius Ansage, dem in Umfragen weit schwächeren Scholz den Vortritt zu lassen.
„Die Debatte in der SPD ist natürlich noch nicht beendet“, meinte etwa Alexander Dobrindt, der CSU-Landesgruppenchef der Unionsbundestagsfraktion in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“, „möglicherweise beginnt sie erst auch noch richtig“.
Julia Klöckner, CDU-Präsidiumsmitglied und Bundestagsabgeordnete, erklärte gegenüber der RP, sie könne sich vorstellen, „dass der Umgang der SPD mit ihrem Personal nicht sehr einladend“ sei, „nach Höherem zu streben“. Klöckner weiter:
Die SPD ist so zerrissen, die Personaldebatte zeigt die deprimierte Lage in der SPD.“
Aus ihrer Sicht sage es „auch viel über die Politik-Qualität des aktuellen Bundeskanzlers aus, dass er auf offener Parteibühne von seinen Genossen infrage gestellt und zerlegt wurde“.
Thorsten Frei, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ (Bezahlschranke), er sehe Scholz „zwar als Sieger und doch katastrophal beschädigt“.
Der niedersächsische Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) warnte laut RP unter Verweis auf den Wahlkampf 2021 allerdings davor, Scholz als Kanzlerkandidat nicht für voll zu nehmen. Dennoch wäre Pistorius seiner Meinung nach der „unangenehmere“ Gegner für die Union gewesen.
FDP: Lindner teilt aus, Kubicki voller Vorfreude
Der FDP-Parteivorsitzende und Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner nutzte Pistorius‘ Absage auf seinem X-Kanal für eine Spitze gegen den Mann, der ihn am Abend des 6. November aus dem Kabinett entlassen hatte: „Es ist mir recht, wenn Herr Scholz der Kanzlerkandidat der SPD ist. Da wissen die Menschen, was sie bekommen. Und was nicht: #Wirtschaftswende.“
Ebenfalls eher sarkastisch äußerte sich FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki: „Die SPD setzt klar auf das Signal eines Weiter so, was auf die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in der aktuellen wirtschaftlichen Krisenlage sicher Eindruck haben wird“, meinte Kubicki nach RP-Informationen. „Aus parteipolitischen Gründen“ könne er sich „nur über diese Entscheidung freuen“. Auch dem Wahlkampf blicke er mit Freude entgegen.
Hans-Ulrich Jörges: „Ganz fatale Entscheidung“
Wenig Verständnis für eine erneute Kandidatur von Scholz zeigte der Publizist Hans-Ulrich Jörges. Im Interview mit dem „Welt“-Nachrichtensender bezeichnete er es als eine „ganz fatale Entscheidung“ für die SPD, weiterhin auf den Kanzler zu setzen:
Wann ist schon mal eine deutsche Partei mit dem unbeliebtesten Politiker als Spitzenkandidat in eine Bundestagswahl gegangen? […] Ich glaube, wenn das ein verheerendes Wahlergebnis wird, ist auch die Parteiführung mit weg. Dann muss die ganze SPD neu aufgestellt werden.“
Verteidigungsminister Pistorius war auch innerhalb der SPD seit Monaten als Kanzlerkandidat im Gespräch. Nachdem er sein Amt von Christine Lambrecht (SPD) im Januar 2023 übernommen hatte, führt er das Ranking der beliebtesten Politiker Deutschlands an.
Am Abend des 21. November aber erteilte Pistorius den immer lauter vernehmlichen Rufen nach einer Kanzlerkandidatur in einer Videobotschaft eine klare Absage (Video auf YouTube).
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