Ostdeutsche Politiker fordern Obergrenze für Asylbewerber

Aus Sachsen und Brandenburg werden die Forderungen nach Zuzugsobergrenzen und Grenzkontrollen lauter. Aus den übrigen Bundesländern wollen zumindest die Rufe nach mehr Geld vom Bund nicht verstummen. Doch der will nicht noch mehr für seine Asylpolitik zahlen.
In der Landeserstaufnahmestelle im baden-württebergischen Ellwangen warten Flüchtlinge vor der Essensausgabe. Knapp 218.000 Menschen haben 2022 erstmals in Deutschland Asyl beantragt - so viele wie seit 2016 nicht.
Hochrangige Politiker aus den Ländern fordern eine verbindliche Obergrenze von 220.000 Zuwanderern pro Jahr. Bei der aktuellen Dynamik könnten bis Jahresende aber bis zu 400.000 neue „Schutzsuchende“ Asyl in der BRD beantragen.Foto: Stefan Puchner/dpa
Von 8. Mai 2023

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Zwei Tage vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt am 10. Mai scheint sich der monatelange Streit um Finanzierung und Grenzkontrollen zuzuspitzen: Während die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang inzwischen dafür plädiert, den Ländern und Kommunen mehr Geld aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen, verlangen kommunale Landesverbände unter anderem Grenzkontrollen und eine verbindliche Obergrenze von 220.000 Zuwanderern pro Jahr.

Sachsen: Städte- und Gemeindetag, Landkreistag und Ministerpräsident für Zuwanderungsbegrenzung

„Wir fordern von der Bundesregierung eine sofortige und wirksame Begrenzung der Zuwanderung“, sagte nach Informationen der „Bild“ etwa Bert Wendsche, der parteilose Oberbürgermeister von Radebeul und Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetags (SSG). „Provisorien wie Turnhallen oder Zeltstädte sind weder den Flüchtlingen noch der einheimischen Bevölkerung zumutbar“, so Wendsche.

Er hatte zusammen mit dem sächsischen Landkreistag einen „Brandbrief“ verfasst, in dem die deutschlandweite Belastungsgrenze bei „maximal 220.000“ dargestellt wird, berichtet die „Bild“. Da bereits im ersten Quartal des Jahres 2023 rund 88.000 Asylbewerber angekommen seien, könne es bis zum Jahresende rund 400.000 neue Anträge geben, heißt es in der Stellungnahme. Die Aufnahmekapazitäten seien allerdings „längst erschöpft“, Plätze in Kitas und Schulen knapp und eine Integration der Zuwanderer „nicht mehr umsetzbar“. Überall herrscht Geld- und Personalmangel, selbst, was die „medizinische Versorgung“ angeht.

Grenzkontrollen und Druck auf Herkunftsstaaten erhöhen

Der Präsident des sächsischen Landkreistages und Landrat des Landkreises Leipzig, Henry Graichen (CDU), pflichtete Wendsche bei: „Eine Obergrenze ist nötig“. Um Abschiebungen zu erleichtern, müsse die Bundesregierung Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten klassifizieren, der Familiennachzug solle auf die „Kernfamilie“ beschränkt werden. Neben Graichen und Wendsche lehnt auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) „freiwillige Aufnahmeprogramme des Bundes“ ab: „Die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland kommen, muss reduziert werden.“

Auch Kontrollen an den deutschen Außengrenzen müssen stattfinden, so Graichen laut „Bild“. Genau dafür sprechen sich nach einem „ZEIT“-Artikel mittlerweile auch die Innenminister von Sachsen (Armin Schuster, CDU) und Brandenburg (Michael Stübgen, CDU) aus: Sie forderten das Bundesinnenministerium zu einer „befristete[n] Wiedereinführung von stationären Binnengrenzkontrollen“ auf, und zwar „an der Grenze zu Polen und Tschechien“. Das Beispiel Bayern zeige, dass Grenzkontrollen „wirksam und richtig“ seien. Und in den Sommermonaten könne man wohl „mit einem weiteren erheblichen Anstieg der Ankunftszahlen“ rechnen.

Grünen-Vorsitzende Lang sieht mehr Geld als Lösung

Von Grenzkontrollen, Obergrenzen oder einer Statusänderung von Herkunftsländern will die Grünen-Chefin Ricarda Lang aber nichts wissen: Die Grünen würden „auf gar keinen Fall […] Schurkenstaaten, die Menschenrechte brechen, jetzt als sichere Herkunftsländer einbauen“, stellte Lang im ARD-Politmagazin „Bericht aus Berlin“ am Abend des 7. Mai klar (Video, ab circa 8:25 Min.).

Aus ihrer Sicht lägen die Probleme in den Kommunen „vor allem“ am „mangelnde[n] Geld“. Sie sprach sich dafür aus, „besonders belastete Kommunen zu schützen“. Auch „schnellere Verfahren“ seien zu begrüßen, räumte Lang ein.

Faeser und Lindner wollen nicht mehr zahlen

Damit stellte sich Lang zumindest teilweise gegen die Position von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP): Beide betonen seit Monaten, dass die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern Sache der Länder und Kommunen sei. Ministerin Faeser hält Asylverfahren an den EU-Außengrenzen unterdessen zumindest für denkbar.

Nach einem Artikel in der „ZEIT“ argumentierte die Bundesregierung in einer „Beschlussvorlage“ für den Asylgipfel weiterhin damit, dass der Bund schon jetzt Unterstützungsleistungen in Milliardenhöhe erbringe, „während Länder und Kommunen Milliardenüberschüsse verzeichneten“.

Nur 2,75 Milliarden vom Bund für Asylaufgaben der Länder

Das sehen die 16 Finanzminister der Länder offenbar anders: Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident in Niedersachsen und derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), verschickte nach Angaben der „ZEIT“ ein Papier an alle Landesregierungen, das die Finanzierungsaussagen der Bundesregierung infrage stellt. Demnach sei die Behauptung des Bundes, dass das Bundesfinanzministerium „über einen immer geringeren Anteil der Steuereinnahmen“ verfüge, falsch: Noch im Jahr 2021 habe der Bund 41,2 Prozent der gesamten Steuereinnahmen verbucht, während die Länder nur 40,5 Prozent kassiert hätten.

In Wahrheit, so das Papier, habe der Bund seine Geldleistungen an die Länder in den vergangenen Jahren „faktisch […] zurückgefahren“, obwohl die Flüchtlingszahlen gestiegen seien. 2016, auf dem Höhepunkt der ersten großen Flüchtlingswelle, habe das Bundesfinanzministerium noch 9,1 Milliarden Euro für Asylaufgaben an die Länder überwiesen, für 2023 seien nur noch 2,75 Milliarden eingeplant, ab 2024 sogar nur noch 1,25 Milliarden Euro.

Die MPK verlange nun wieder eine monatliche „Fallpauschale“ für jeden Flüchtling. Dafür genügten allerdings nicht mehr 670 Euro wie noch vor einigen Jahren: 1.000 Euro seien angesichts „der jüngsten Datengrundlage“ erforderlich.

Bund soll mindestens die Hälfte der Kosten übernehmen

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Nach einem Bericht der „Rheinischen Post“  verlangt Wüst eine Fifty-fifty-Teilung der „Kosten für Unterbringung und Integration von Geflüchteten“.

Zurzeit liege die Hauptlast bei den Ländern: NRW gebe 2023 wahrscheinlich 3,7 Milliarden für die Asylbewerber aus, darunter 1,8 Milliarden zur Unterstützung der Kommunen. Der Bund wolle aber nur 600 Millionen und damit nur noch rund 20 Prozent zuschießen. „Es wäre unverantwortlich, wenn die Bundesregierung die Kommunen und letztlich auch die Menschen, die zu uns fliehen, im Stich lässt“, so Wüst.

Der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes kündigte an, dass die 16 Länderchefs am Mittwoch parteiübergreifend und geschlossen für eine mindestens 50-prozentige Kostenübernahme durch den Bund eintreten wollten.

Söder: Entwicklungshilfe überdenken – Ramelow: Bleibeberechtigung gewähren

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte kürzlich wie einst Bundespräsident Roman Herzog einen „Ruck“ gefordert: Die Bundesländer seien „an der echten Belastungsgrenze“. Er schlug vor, bei jenen Staaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknähmen, „über Kürzungen bei der Entwicklungshilfe“ nachzudenken.

Thüringens Ministerpräsident Ramelow dagegen würde das Asylsystem am liebsten entlasten, indem er allen nach 2014 eingereisten Asylbewerbern zwischen 16 und 25 Jahren automatisch eine dauerhafte Bleibeberechtigung gewähren würde, falls diese mindestens drei Jahre ohne Beanstandungen in Deutschland gelebt hätten.



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