Organspende schon bei Herz-Kreislauf-Stillstand: SPD, Grüne und AfD gegen FDP-Vorschlag

Der Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion, Organentnahmen schon bei Herz-Kreislauf-Tod durchführen zu können, ist bei den Fraktionen von SPD, Grünen und AfD auf wenig Verständnis gestoßen. Für die Linke geht das Papier am Grundproblem vorbei. Die CDU sieht allerdings einen willkommenen Anlass für eine „Orientierungsdebatte“.
Die Rückseite eines ausgefüllten Organspendeausweises. Das Zustimmungsfeld ist angekreuzt.
Symbolbild Organspendeausweis. Das Zustimmungsfeld ist angekreuzt.Foto: Marie Reichenbach/dpa
Von 16. Oktober 2024

Nach den Vorstellungen der FDP-Fraktion im Bundestag sollen potenzielle Organspender die Möglichkeit erhalten, ihre Organe per Vorab-Erklärung bereits bei Stillstand des Herz-Kreislauf-Systems freizugeben – und nicht wie bisher erst nach der Feststellung des Hirntods. Das war am 15. Oktober 2014 bekannt geworden.

Als zwingende Voraussetzung sieht die FDP-Fraktion eine freiwillige Erklärung des Betroffenen, zum Beispiel über eine entsprechende Auswahlmöglichkeit für die „Donation after Cardiac Death“ (Nach-Herztod-Spende) im Organspendeausweis. Damit will die FDP-Fraktion erreichen, dass für schwer erkrankte Menschen auf den Intensivstationen mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen. Andere europäische Länder nutzen bereits vergleichbare Regelungen.

SPD befürchtet „Ablenkungsmanöver“

Tina Rudolph, die Berichterstatterin der SPD-Fraktion zum Thema Organspende, lehnte den Vorstoß der FDP-Fraktion ab. „Hier wird der Verweis auf die Organspende nach Herztod allzu leicht zu einem Ablenkungsmanöver, um der Debatte um die Widerspruchsregelung auszuweichen“, erklärte Rudolph nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Womöglich finde im Bundestag am Ende keine der Reformvorschläge eine Mehrheit.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) hält ohnehin nicht viel von der Idee der Liberalen. „Als Arzt und klarer Befürworter einer Widerspruchslösung halte ich doch den Hirntod für das sichere Verfahren für das Feststellen des Todes. Mit dem Hirntod sind Fehler ausgeschlossen“, schrieb er auf seinem X-Kanal.

Bundesregierung will Widerspruchslösung etablieren

Lauterbachs Wunsch nach Einführung einer Widerspruchslösung würde bedeuten, dass jeder Mensch in Deutschland grundsätzlich als Organspender betrachtet und behandelt werden darf – es sei denn, er erklärt ausdrücklich, nicht damit einverstanden zu sein.

Nach einem 2020 im Bundestag gescheiterten Vorstoß für einen entsprechenden Gesetzentwurf, hatte die Debatte um das Thema zuletzt wieder an Fahrt aufgenommen. Erst Mitte März 2024 war im Internet ein zentrales Organspende-Register an den Start gebracht worden, über das Menschen ihr Ja oder Nein zu einer Organentnahme offiziell erklären können.

Grünen-Fraktion lehnt FDP-Vorstoß ab

Auch Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, möchte lieber beim Hirntod als dem ausschlaggebenden Todeszeitpunkt für Organentnahmen bleiben. „Insbesondere in Bezug auf das Vertrauen der Bevölkerung“ sei es sinnvoll, die geltende Praxis beizubehalten, erklärte Kappert-Gonther auf Anfrage der „Welt“. „In den Fachgesellschaften und in den Fraktionen“ könne aber „offen über die Frage diskutiert werden“. Auf jeden Fall müsse „ein Schnellschuss“ vermieden werden, „der am Ende kontraproduktiv sein könnte“, meinte Kappert-Gonther.

Optimierungspotenzial sehe sie bei der praktischen Umsetzung des Patientenwillens in den Kliniken: „Wenn in allen Entnahmekrankenhäusern die Zahlen der realisierten Organspenden der erfolgreichsten Krankenhäuser erreicht würden, müssten viele Menschen nicht so lange auf eine Organspende warten.“

AfD-Fraktion mit harter Kritik

Martin Sichert, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, nutzte den FDP-Vorstoß für harsche Kritik: „Die FDP scheint es gar nicht abwarten zu können, bis die Bürger ihr Leben aushauchen“, so Sichert laut „Welt“. Menschenleben würden für die FDP anscheinend nicht zählen. Sichert habe zu bedenken gegeben, dass Rettungsdienstmitarbeiter es in elf Prozent der Fälle von Herz-Kreislauf-Stillstand schafften, die Menschen mit Reanimationsmaßnahmen ins Leben zurückzuholen.

„Bevor man die Kriterien für die Feststellung des Todes senkt, sollte erstmal die Überkreuz-Lebendspende erleichtert werden“, schlug Sichert vor. Die AfD fordere dies seit Jahren. Erst im Juli 2024 hatte das Bundeskabinett dazu einen Gesetzentwurf (PDF) auf den Weg gebracht, der bislang allerdings nur seinen ersten Durchgang im Bundesrat hinter sich hat.

Bei der Überkreuz-Lebendspende geht es nach Angaben der Bundesregierung darum, den Spender- und Empfängerkreis für Lebendnierenspenden über den Kreis nahestehender Personen – wie etwa Ehepartner, Geschwister oder Eltern – hinaus zu erweitern, falls sich sonst kein medizinisch kompatibler Spender findet. „Dabei werden zwei inkompatible Spender-Paare zusammengebracht und können dann sozusagen ‚über Kreuz‘ spenden“. So heißt es im Erklärungstext der Regierung zu dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts. Konkret gehe es auch darum, ein nationales Programm für die Überkreuz-Lebendnierenspende und einen „Pool von inkompatiblen Organspende-Paaren“ aufzubauen.

Linken-Gruppe will erst „grundlegende Probleme“ lösen

Kathrin Vogler, die gesundheitspolitische Sprecherin der Gruppe der Linken im Bundestag, sieht nach Angaben der „Welt“ „strukturelle Probleme im Gesundheitssystem“ als die Hauptursache für den Mangel an Spenderorganen. Konkret habe sie auf einen „massiven“ Mangel an Personal sowie auf den zu geringen Kenntnisstand bei Ärzten, Pflegern und Patienten in Bezug auf Transplantationsmedizin hingewiesen. Außerdem herrsche in der Bevölkerung zu wenig Vertrauen in das Gesundheitssystem.

„Bevor über Maßnahmen wie die Ausweitung der Todesdefinition nachgedacht wird, müssen diese grundlegenden Probleme angegangen und gelöst werden“, forderte Vogler auf „Welt“-Nachfrage. „Erst wenn das Vertrauen gestärkt und die strukturellen Defizite behoben sind, kann über weiterführende Ansätze nachgedacht werden, um die Organspenden zu erhöhen.“

CDU-Fraktion wünscht sich „Orientierungsdebatte im Bundestag“

Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, begrüßte den FDP-Vorstoß als Diskussionsbasis zur Erhöhung der Organspendezahlen in Deutschland.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur DTS erklärte Sorge, dass zur Frage des Herz- oder Hirntods eine „Orientierungsdebatte im Bundestag“ der „würdige Rahmen“ sein könne, „um über diese schwierigen Fragestellungen zu beraten“. Nach Informationen der FAZ soll eine derartige Debatte in der ersten Novemberwoche stattfinden.

Pro Transplant offen für FDP-Idee

Laut FAZ bewertet die Patientenvereinigung Pro Transplant den FDP-Plan positiv: Den Herz-Kreislauf-Tod als zusätzliche Option für den Entnahmezeitpunkt zur Auswahl zu stellen, könne die Zahl der Organspenden im besten Fall um 100 Prozent erhöhen. Im Einklang mit der geplanten Widerspruchsregelung könne das einen „wichtigen Schritt“ bedeuten, um an mehr Spenderorgane zu gelangen.

Eine Expertengruppe der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) arbeitet nach FAZ-Angaben bereits seit zwei Jahren an einem eigenen Positionspapier zum Thema Organspende nach Herz-Kreislauf-Tod. Klaus Michael Lücking, der Sprecher der DIVI-Sektion Organspende, rechne mit einer Veröffentlichung im Jahr 2025. „Es erscheint uns in der DCD-Arbeitsgruppe der DIVI geradezu ethisch geboten, das Thema fachlich zu durchdringen“, zitiert die FAZ Lücking.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation habe sich gegenüber der FAZ nicht zum FDP-Papier äußern wollen: Dazu sei zunächst eine „sorgfältige ethische und medizinische Debatte“ zu führen.

Epoch Times hatte die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr bereits am frühen Dienstagnachmittag um Zusendung des Positionspapiers ihrer Fraktion gebeten. Eine entsprechende E-Mail blieb allerdings bis zum Mittwochmorgen unbeantwortet.



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