Nach Urteil gegen Björn Höcke: Fans und Gegner im Clinch
Björn Höcke, der thüringische AfD-Spitzenkandidat zur Landtagswahl, ist am Dienstag, 14. Mai 2024, von der Großen Strafkammer des Landgerichts Halle in erster Instanz zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Richter begründete, Höcke habe während einer Wahlkampfrede in Merseburg bewusst eine Losung der paramilitärischen „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP verwendet.
Da das Gericht Höcke zur Zahlung von 100 Tagessätzen à 130 Euro anwies, würde der 52-Jährige als vorbestraft gelten. Die Grenze für einen solchen Eintrag ins Führungszeugnis liegt nach Angaben des „Focus“ bei 90 Tagessätzen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig: Es ist davon auszugehen, dass Höcke den Schuldspruch anfechten wird. Denn der studierte Geschichtslehrer bestreitet, den Slogan „Alles für Deutschland“ als SA-Parole gekannt zu haben, als er ihn im 29. Mai 2021 an das Ende eines dreiteiligen Ausspruchs („Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“) gesetzt hatte.
Sieben Tage Zeit für Revisionsantrag
Nach Informationen des ZDF steht Höcke der Revisionsweg innerhalb einer Woche offen. Höckes Strafverteidiger Ralf Hornemann, Ulrich Vosgerau und Philip Müller hätten schon vor dem Urteilsspruch angekündigt, im Fall einer Verurteilung den Bundesgerichtshof in Karlsruhe anzurufen. Sie hatten auf Freispruch plädiert. Direkt im Anschluss an das Verfahren in Halle seien die Anwälte zu keinem Pressestatement bereit gewesen, so das ZDF.
Nach Angaben der „Zeit“ kündigte die Staatsanwaltschaft an, ihrerseits Rechtsmittel prüfen zu wollen. Staatsanwalt Benedikt Bernzern hatte laut „Tagesschau“ gefordert, den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu verurteilen, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Außerdem sollte Höcke nach dem Willen von Bernzern 10.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung überweisen.
Höcke selbst postete am Abend des Urteilstags auf seinem X-Kanal einen Link zu einem englischsprachigen Artikel des Auslandssenders „Deutsche Welle“, der sich mit dem Schuldspruch befasste. Dazu schrieb Höcke auf Englisch eine kurze Mitteilung:
Sollte dieses Urteil Bestand haben, wäre es mit der freien Meinungsäußerung in Deutschland vorbei. Die Möglichkeit, anderer Meinung zu sein, ist in Gefahr.“
Höcke könnte womöglich darauf spekulieren, dass seine Kurzstellungnahme auch den X-Eigentümer und Tesla-Milliardär Elon Musk erreichen wird. Dieser hatte sich bereits einmal interessiert an dem Rechtsstreit gezeigt und nachgefragt, warum der Spruch „Alles für Deutschland“ illegal sei. Musks internationale Reichweite ist mit mehr als 180 Millionen Followern ungleich höher als die des AfD-Landespolitikers, dem nur 120.000 X-Nutzer folgen.
Ermunternde Worte aus den eigenen Reihen
Viel Zuspruch erhielt Höcke von seinen Parteikollegen. Maximilian Krah, Jurist und AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, bezeichnete das Urteil auf seinem X-Kanal als „sachlich falsch und im Strafmaß absurd“. Seiner Meinung nach sollte es „juristisch angefochten und politisch problematisiert werden“. Darunter postete er eine Kachel, die die Geldstrafe Höckes in Bezug zu Strafzahlungen von Politikern anderer Parteien setzte. Sie hatten wegen anderer Verfehlungen deutlich weniger berappen müssen.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt griff auf X zur gleichen Relativierung: Er wies darauf hin, dass ein Verfahren gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy im März 2015 gegen Zahlung von nur 5.000 Euro eingestellt worden war. Edathy hatte damals zugegeben, pornografische Fotos und Videos von Kindern konsumiert zu haben.
Auch der Berliner AfD-Kommunalpolitiker Christopher Preußel setzte eine Parallele zu einem Vorfall vom Januar 2024: Damals hatte die grüne Bezirkspolitikerin Jutta Boden nach einer Alkoholfahrt gegenüber der Polizei den Hitlergruß gezeigt. Boden bat kurz darauf um Verzeihung und legte ihr Mandat nieder. Über eine Verurteilung findet sich noch nichts im Netz.
Zustimmung für Landgerichtsurteil von AfD-Gegnern
Lorenz Gösta Beutin, der stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, begrüßte dagegen das Urteil: „Der Geschichtslehrer #Höcke hat die Nazi-Parole ‚Alles für Deutschland‘ nicht aus Unwissenheit gebraucht, stellt das Gericht fest – surprise“, schrieb Beutin via X. „Und wer die faschistische AfD wählt, weiß, was er tut, keine Ausreden. Nazis wählt man nicht, Nazis zeigt man die Tür“. Beutin war nach Angaben des „Tagesspiegel“ im Sommer 2021 selbst wegen Hausfriedensbruch verurteilt worden und hatte seinerzeit von einem „Skandalurteil“ gesprochen.
Der Kampagnenverein Campact stimmte dem Urteil gegen Höcke auf X zu: „Gut so!“. Einen aktuellen Campact-Appell, das Bundesverfassungsgericht im Fall einer AfD-Regierungsbeteiligung vor dem Zugriff der Partei zu „schützen“, unterzeichneten bereits über 380.000 Menschen.
Der Jenaer Geschichtsprofessor Jens-Christian Wagner, zugleich Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar, schrieb: „Wer die Losung der SA verbreitet, wird zu Recht bestraft. #Höcke wusste, was er sagte, nicht nur als Geschichtslehrer: In der rechtsextremen Szene ist die SA-Losung seit langem verbreitet – wie auch das Wissen, dass sie strafbewehrt ist.“
„Welt“-Kommentator Thomas Schmid meint, der „sorgfältig argumentierende Richter“ habe Höcke „mit guten Gründen […] verurteilt“. Immerhin habe Höcke zum Ausdruck gebracht, dass „Deutschland […] über allem stehen“ müsse, obwohl das Grundgesetz die Menschenrechte an die oberste Stelle setze, interpretierte Schmid den Sachverhalt. Höcke sei „der aggressive, höhnische, aufstachelnde Angreifer – und das kleinlaute und weinerliche Opfer“, so Schmid.
Weitere Verfahren anhängig
Höcke muss sich demnächst wohl noch zwei weiteren Gerichtsverfahren stellen. Ebenfalls vor dem Landgericht Halle könnte ein Vorfall vom 12. Dezember 2023 zur Sprache kommen. Damals soll Höcke während eines Wahlkampfauftritts in Gera unter Verweis auf das seinerzeit bevorstehende Gerichtsverfahren erneut „Alles für …“ gesagt und das Publikum dazu animiert haben, „Deutschland“ zu rufen (Video auf YouTube). Ursprünglich wollte die Staatsanwaltschaft auch diese Anzeige gleich mitverhandeln, ließ von diesem Vorhaben aber kurzfristig ab.
Außerdem steht Höcke ein Gerichtstermin in Mühlhausen bevor. Wegen eines womöglich strafbewehrten Telegram-Posts aus dem Jahr 2022 soll sich der AfD-Politiker vor dem Landgericht wegen des Verdachts auf Volksverhetzung verantworten. Höcke soll damals anlässlich eines Messerangriffs in Ludwigshafen in pauschalisierender Weise Einwanderern kriminelle oder gefährliche Neigungen angedichtet haben.
Zu beiden Tatvorwürfen liegen allerdings noch keine genauen Termine vor. Der Prozess in Mühlhausen soll nach Auskunft des Gerichts noch in der ersten Jahreshälfte 2024 beginnen. Gegen Höcke hatte es bereits mehrere Ermittlungsverfahren und Strafprozesse gegeben, die bislang aber allesamt eingestellt worden waren. Eigenen Angaben zufolge war seine Immunität als Abgeordneter bereits achtmal aufgehoben worden.
An Höckes Ziel, nach der Landtagswahl am 1. September Ministerpräsident von Thüringen zu werden, ändert all das aber nichts. Der Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn erklärte im ZDF, dass das deutsche Recht nicht verbiete, „dass ein bereits verurteilter Straftäter höchste politische Ämter übernimmt“. Das „eigentliche Problem“ sei seiner Ansicht nach „kein Problem des Rechts […], sondern ein Problem der Demokratie“.
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