Massenandrang: Reichsbürger-Prozess in Stuttgart startet mit Verzögerung
Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat der erste Prozess gegen die mutmaßliche „Reichsbürger“-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Wegen des großen Andrangs vor dem Gerichtsgebäude startete das Verfahren mehr als eine Stunde später als geplant. Reuß selbst soll erst später in einem anderen Verfahren vor Gericht kommen.
Anfangs saßen bundesweit 25 Personen in Untersuchungshaft, darunter auch frühere Offiziere und Polizeibeamte sowie die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Im März und Mai 2023 kamen zwei weitere U-Häftlinge dazu. Ein Tatverdächtiger ist inzwischen verstorben. Somit werden im Laufe des Jahres insgesamt 26 Beschuldigte auf den Anklagebänken von drei deutschen Oberlandesgerichten Platz nehmen müssen.
Sie alle sollen Mitglieder oder zumindest Unterstützer einer „terroristischen Vereinigung“ sein: Gemeinsam hätten sie seit 2021 geplant, die bestehende staatliche Ordnung mit Gewalt zu beseitigen. Der Generalbundesanwalt hat erst im Dezember 2023 entsprechende Anklageschriften gegen sie ins Feld geführt – ziemlich genau ein Jahr nach der Razzia.
Da es sich überwiegend um ältere Tatverdächtige handelt, hatte im Volksmund schnell das Wort vom „Rentner-“ oder „Rollatorputsch“ die Runde gemacht.
Ab 29. April: Neun Angeklagte in Stuttgart
Den Auftakt eines der größten Strafverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik markiert der heutige Hauptverhandlungstermin am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart (Aktenzeichen: 3 St 2 BJs 445/23). Neun Männer zwischen 42 und 60 Jahren sind in der baden-württembergischen Landeshauptstadt angeklagt. In dem „Staatsschutzverfahren“ gehe es nicht nur um den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung: Auch die Vorbereitung eines „hochverräterischen Unternehmens“ stehe im Raum.
Einem der Stuttgarter Angeklagten wird nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft (GBA, Aktenzeichen 2 BJs 445/23) in Karlsruhe auch versuchter Mord zur Last gelegt: Markus L. soll während einer Wohnungsdurchsuchung auf einen Polizisten geschossen haben. Angesichts dessen werde er sich auch wegen „gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ zu verantworten haben, wie das OLG Stuttgart bestätigte.
Gegen Markus L. und gegen den Angeklagten Ralf S. bestehe zudem der Verdacht, gegen das Waffengesetz (WaffG) und gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) verstoßen zu haben. Den Vorsitz des Verfahrens soll nach Auskunft des OLG Richter Joachim Holzhausen übernehmen.
Ab 21. Mai: Neun Angeklagte in Frankfurt am Main
Weitere neun Angeklagte, die mutmaßlichen Köpfe des Netzwerks, müssen sich ab Dienstag, 21. Mai, ab 09:30 Uhr vor dem 8. Strafsenat, dem „Staatsschutzsenat“ des OLG Frankfurt am Main verantworten (Aktenzeichen 8 St 2/23). Der zehnte Tatverdächtige dieser Gruppe, Norbert G., war nach Angaben des MDR Mitte März 2024 im Alter von 73 Jahren an den Folgen einer „schweren Krankheit“ gestorben. Zum Zeitpunkt seines Todes soll er bereits aus der U-Haft entlassen gewesen sein.
Zu den verbliebenen neun Frankfurter Angeklagten gehört nach Angaben des OLG auch Heinrich XIII. Prinz Reuß, der mutmaßliche „Rädelsführer“ der terroristischen Vereinigung. Auch die mutmaßliche Nummer zwei der Gruppe, der ehemalige Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons Rüdiger v. P., steht laut GBA in Frankfurt vor Gericht, ebenso wie „die russische Staatsangehörige Vitalia B.“
Auch Maximilian E., ein früherer Bundeswehroffizier, ist in Frankfurt angeklagt. Er soll die Gruppe mitgegründet haben und gab im „Stern“ kürzlich zu, unterirdische Gänge unter dem Reichstag und anderen Parlamentsgebäuden erkundet zu haben. Gewalttaten habe er aber nicht geplant. Die Erkundung habe dem Zweck gedient, „gegebenenfalls Parlamentarier beziehungsweise Regierungsmitglieder zur Rede zu stellen“.
Insgesamt fünf Richter sollen am Ende ein Urteil sprechen.
Ab 18. Juni: Acht Angeklagte in München
Erst am 18. Juni soll der Rest der Untersuchungshäftlinge die Gelegenheit bekommen, sich mithilfe ihrer Rechtsbeistände vor dem 9. Strafschutzsenat des OLG München zu den Tatvorwürfen zu äußern. Los geht es dann ab 09:30 Uhr im Strafjustizzentrum in der Nymphenburger Straße 16.
Angeklagt sind acht Tatverdächtige. Nach Angaben der GBA sollen sich vier von ihnen, nämlich Tomas M., Harald P., Thomas T. und Christian W., auch wegen des Verdachts auf „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verantworten. Christian W. sei zusätzlich wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Waffengesetz angeklagt (Aktenzeichen 9 St 7/23, PDF). Den Vorsitz werde die Richterin Dagmar Illini übernehmen.
Urteil erst im Laufe des Jahres 2025 zu erwarten
Mit Urteilen noch im Jahr 2024 ist nicht zu rechnen. Alle drei Gerichtsstandorte gehen davon aus, dass sich die Verhandlung gegen die mutmaßlich kriminellen „Reichsbürger“ mindestens in den Januar, womöglich sogar bis weit ins Jahr 2025 hineinziehen wird. In Stuttgart und Frankfurt wurden bislang knapp 50 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt, in München sogar 55.
Die Angeklagten sollen sich laut GBA Ende Juli 2021 zusammengeschlossen haben, um „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Konkrete Planungen zu einem Umsturz habe es seit August 2021 gegeben. Rund 3.000 Sicherheitskräfte waren am frühen Morgen des 7. Dezember 2022 ausgerückt, um die Revolutionäre medienwirksam festzunehmen. Das Gedankengebäude der „Reichsbürger“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß beschreibt die GBA wie folgt:
Die Angehörigen der Vereinigung verband eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie folgten einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, bestehend aus Narrativen der sog. Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sowie der QAnon-Ideologie. So waren sie fest davon überzeugt, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sog. ‚Deep State‘ regiert werde. Befreiung verspreche die sog. ‚Allianz‘, ein – tatsächlich nicht existierender – technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika.“
2022: BfV zählt 23.000 „Reichsbürger“
In Deutschland rechnete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Laufe des Jahres 2022 rund 23.000 Personen der Szene der sogenannten „Reichsbürger“ zu. Als „Reichsbürger“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch Menschen bezeichnet, die die Bundesrepublik Deutschland nicht als regulären Staat im Sinn des Völkerrechts anerkennen und auch die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ (FDGO) infrage stellen.
Zuletzt machte Ende November 2023 eine groß angelegte Razzia im Umfeld der Angehörigen des „Königreichs Deutschland“ Schlagzeilen. Bereits im Oktober 2023 hatten Einsatzkräfte in mehreren Bundesländern zahlreiche Wohnungen durchsucht, die dem Umfeld der Gruppe „Vereinte Patrioten“ zugerechnet wurden. In Wolfratshausen war im Herbst auch ein Beschuldigter festgenommen worden, der sich angeblich an einer geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beteiligen wollte.
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