Nach dem tumultartigen Protest von Biberach: Wie die Lage eskalierte
Große Aufregung in der oberschwäbischen Mittelstadt Biberach an der Riß: Die Grünen mussten am Vormittag des 14. Februar 2024 ihren Politischen Aschermittwoch kurzfristig absagen – zu gefährlich erschien die Stimmungslage vor Ort. Ursprünglich hätten Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Co-Parteichefin Ricarda Lang und der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin in der Stadthalle auftreten sollen. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann wollte sprechen. Am Ende gelang das nur Özdemir.
Doch von Anfang an. Nach Angaben der „Schwäbischen Zeitung“ war im Vorfeld des Aschermittwochs ein „nicht unterzeichnetes Flugblatt“ aufgetaucht, in dem „ein Bündnis aus Spediteuren, Bauunternehmern, Handwerkern, Pflegekräften und dem Mittelstand“ zum gemeinsamen Protest mit den Landwirten aufgerufen wurde. Weder der Landesbauernverband Baden-Württemberg, noch der Kreisbauernverband, noch der Verein „Land Schafft Verbindung“ (LSV) hätten etwas damit zu tun, fand die „Schwäbische“ auf Nachfrage heraus.
Flugblatt-Autoren unbekannt
Karl Endriß, der Kreisobmann des Bauernverbands Biberach-Sigmaringen, habe sich von dem Protestaufruf distanziert. Die Leute dahinter stammten seiner Einschätzung nach „nicht aus der normalen Landwirtschaft“. Seiner Einschätzung nach seien „hauptsächlich Bauern, aber auch Fuhrunternehmer“ dem Protestaufruf gefolgt, wie die „Welt“ berichtete.
Diese hatten sich bereits früh am Morgen zu Hunderten auf den Weg zur Biberacher Stadthalle gemacht, um ihrem Unmut über die Transformationspolitik der Bundesregierung Ausdruck zu verleihen. Schon bei der Anfahrt hätten die Treckerfahrer den Stadtverkehr aufgehalten und ihre Signalhörner ertönen lassen. Dabei muss es bereits zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern und Polizei gekommen sein, wie ein Handyvideo auf dem X-Kanal „Team Sotogrande“ belegt.
Bald hätten die Teilnehmer auch die Zufahrtswege zur Halle, zur nahen Tiefgarage und zum Marktplatz unpassierbar gemacht, heißt es weiter beim Regionalblatt „Schwäbische“. Zudem sei ein Berg von Silage auf die Eingangstreppe der Stadthalle ausgekippt worden. Darin hätten die Bauern „alte Wahlplakate der Grünen“ gesteckt, die zuvor mit dem Schriftzug „Leere Versprechen“ beklebt worden waren. Die Polizei habe den Eingang zur Stadthalle bewacht. Die Stimmung sei noch „friedlich“ gewesen, schreibt die Zeitung.
Parallel dazu hätten sich auch auf dem nur wenige hundert Meter entfernten Gigelberg-Festgelände Landwirte versammelt. Dort sollte laut „Schwäbische“ ab 10:00 Uhr eine Extra-Kundgebung stattfinden, auf der auch Özdemir zu Wort kommen sollte. Anmelder seien „drei Privatpersonen“ gewesen, darunter ein Uttenweiler Landwirt. Dieser suche wie Kreisobmann Endriß lieber den Dialog.
Dienstwagen tauchen auf, Situation eskaliert, Reizgas-Einsätze
An der Stadthalle spitzte sich die Situation unterdessen immer weiter zu. Nachdem „zwei schwarze Politiker-Limousinen“ versucht hatten, bis zur Halle vorzufahren, hatten aufgebrachte Bürger laut „Schwäbische“ den Zufahrtsweg vollends blockiert. Das inzwischen eingetroffene „Großaufgebot“ der Polizei hatte augenscheinlich Mühe, die beiden Autos abzuschirmen: In der hinteren Seitenscheibe eines der Fahrzeuge klaffte plötzlich ein etwa faustgroßes Loch. Es soll sich nach Informationen der „Welt“ um ein Begleitauto von Özdemir gehandelt haben. Über den Täter ist nichts bekannt.
Wie verschiedene Handyvideos zeigen, kam es kurz darauf zum Einsatz von Reizgas durch die Polizei, aus mehreren Perspektiven zu sehen auf den X-Kanälen von „Morlock Nr. 2“, Markus Haintz, „Mona Lisa“ und dem Harald-Schmidt-Parodie-Account. Auch an einem anderen Platz in Biberach griffen die Polizisten zu Pfefferspray, wie auf dem X-Kanal von „Franz Branntwein“ gut zu erkennen ist.
Unterdessen war die Stadthalle nach Angaben der „Schwäbischen“ kurzfristig geräumt worden. „Kreise der organisierenden Grünen“ hätten einen „eingeschlagenen Feuermelder“ als Auslöser genannt. Die „Gefahrenlage“ sei aber wenig später „wieder aufgehoben“ worden. Nähere Details sind unklar.
Einen dreistündigen Videomitschnitt der Ereignisse gibt es auf „YouTube“.
Özdemir auf Kundgebung ausgebuht
Bei der parallelen privaten Protestkundgebung auf dem Gigelberg habe zunächst eine dreifache Familienmutter ihre Vermutung geschildert, dass „die Regierung Demos gegen Rechts gestartet habe, um von den Bauernprotesten abzulenken“. Nur weil jemand „eine andere Meinung“ habe, fühle dieser sich noch nicht „rechts“. Außerdem habe die Frau gefordert, Minister nach Qualifikation und Erfahrung auszuwählen – wohl auch ein verbaler Seitenhieb auf den Sozialpädagogen Özdemir. Die Stimmung heizt sich weiter auf, kurz nachdem er den Menschen unterstellt hatte, ihre Informationen nur aus „Russia Today“ zu beziehen. Unter Pfiffen und Buhrufen führte er aus:
Ich habe am Brandenburger Tor jede einzelne Rede gehört, ich habe zugehört und danach habe ich geantwortet. Das kann man ruhig auch mal anerkennen, wenn man fair ist. Aber fair muss man nicht immer sein, das habe ich schon verstanden. Dass Sie nicht fair sind, das habe ich verstanden.“ (Video auf X).
Absage des Politischen Aschermittwochs aus Sicherheitsgründen
Nach Informationen der „Schwäbischen“ gab der grüne Kreispolitiker Michael Groß ungefähr um dieselbe Zeit an der Stadthalle bekannt, dass der Politische Aschermittwoch abgesagt sei. „Auf Anraten der Sicherheitsbehörden“, wie die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner (Grüne) laut „Welt“ bestätigt habe.
Die stellvertretende Vorsitzende des Kreisbauernverbands, Martina Magg-Riedesser, habe nach „Schwäbische“-Informationen bedauert, dass sie ein geplantes Gespräch mit Özdemir nicht mehr würde moderieren können. Sie habe auch betont, dass die Proteste vor der Tür nichts mit dem Bauernverband zu tun hätten: „Da draußen sind zwar viele Bauern, aber auch eine Menge anderer Leute, die mit der Politik der Regierung unzufrieden sind, und die Grünen bekommen das jetzt ab.“
Der grüne Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich sprach von einem „schlechten Tag für die Demokratie“. Gegenüber „T-online“ sagte er, es hätten sich nicht nur wütende Bauern zur Blockade versammelt, sondern auch Personen „aus dem verschwörungstheoretischen Bereich“.
Landesfinanzminister Bayaz: „keine Toleranz“
Auf der Straße vor der Stadthalle entlud sich inzwischen der Ärger der Menge: Jemand hatte Strohballen angezündet. Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) forderte auf seinem X-Kanal sofort strafrechtliche Konsequenzen:
Wer glaubt, mit gewaltvollen Aktionen seine politischen Ziele zu erreichen, wird dabei nicht nur scheitern, sondern hat den Boden unseres demokratischen Gemeinwesens längst verlassen. Für diese Art Protest darf es keine Toleranz geben, dafür aber rechtsstaatliche Konsequenzen.“
Kurz darauf trat nach Angaben der „Schwäbischen“ der Ulmer Polizeisprecher Sven Vrancken vor die Presse. Er bestätigte, dass es „in den frühen Morgenstunden und am Vormittag“ zu „aggressivem Verhalten seitens der Protestierenden gegenüber Polizeibeamten gekommen“ sei. Die Beamten hätten mit „Schlagstock und Pfefferspray“ reagiert. Vranckens vorläufige Zwischenbilanz: ein beschädigtes Einsatzfahrzeug, mehrere leicht verletzte Polizisten.
Nach Angaben der „Welt“ teilte „ein Polizeisprecher“ mit, dass „Beamte“ auch „mit Gegenständen beworfen worden“ seien. Zudem sei eine Person festgenommen worden. Ob auch Demonstranten verletzt wurden, konnte er nach Angaben der „Welt“ nicht sagen.
Özdemir: „Einzelne, die sich da so benommen haben“
Der „Schwäbischen“ zufolge hatte sich Agrarminister Özdemir am frühen Nachmittag bemüht, die Wogen zu glätten. „Dass es da mal lauter wird, gehört dazu, das muss man aushalten“. Doch jene, „die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben“, sagte Özdemir. Diese Leute hätten „der Landwirtschaft und den Anliegen der Landwirtschaft so keinen Gefallen getan“.
Nach Angaben der „Welt“ gingen Ricarda Lang, der Co-Parteichefin der Grünen, die Ereignisse von Biberach ebenfalls viel zu weit: „Wenn Menschen eingeschüchtert, das Stadtleben massiv gestört und Einsatzkräfte der Polizei angegriffen werden, wird eine Grenze überschritten“, so Lang. Wer „gewalttätig“ werde, verlasse „den Rahmen des demokratischen Diskurses“.
Nach Angaben von „T-online“ wurden Lang und ihre Leibwächter später am Tage nach einer Aschermittwochsveranstaltung des Grünen-Kreisverbands Rems-Murr in Schorndorf bei Stuttgart an der Abreise gehindert, verfolgt und beschimpft. Nach 50 Metern aber seien „die Störer […] von Polizisten gestoppt“ worden.
Habeck, Faeser und Strobl reagieren mit Unverständnis
Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sei eine Grundidee demokratischen Protests missachtet worden, denn man sei nicht miteinander ins Gespräch gekommen. „Was ist denn sonst der Sinn des Protests, wenn man nicht eine Veränderung durch Dialog haben will?“, fragte Habeck laut „Welt“.
Wenig verständnisvoll habe auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reagiert: „Wenn eine politische Veranstaltung wegen Gepöbel und Gewalt abgesagt werden muss, dann ist eine rote Linie überschritten“. Thomas Strobl (CDU), der Innenminister von Baden-Württemberg, nannte „das aggressive Verhalten“ der Protestierer „völlig inakzeptabel“.
Polizeigewerkschaft für Traktorverbot auf Demos
Nach Angaben der „Schwäbischen“ verlangt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nun „ein Verbot von Traktoren bei Demonstrationen“. Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke habe die „Versammlungsbehörden und die Polizei“ aufgefordert, auf Biberach zu reagieren. Es sei „nicht zu dulden“, dass „jetzt französische Verhältnisse nach Deutschland“ schwappten.
Immerhin habe seine Gewerkschaft bereits zuvor „auf die Gefährlichkeit von Traktoren und Zugmaschinen hingewiesen und an die Vernunft bei angemeldetem Protest appelliert“.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion