Nach Bundeswehr-Leak: Geheimdienstchef warnt vor „noch Schlimmerem“

Der thüringische Geheimdienstchef Stephan Kramer hat größere Anstrengungen von Politik und Militär für den Schutz vor „hybriden Bedrohungen und Angriffen“ gefordert. Er befürchte einen Vertrauensschwund bei internationalen Partnern. Hintergrund ist die geleakte Webex-Onlinekonferenz von hohen Offizieren der deutschen Luftwaffe.
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Der thüringische Verfassungsschutzchef Stephan Kramer fordert „einen lange überfälligen Bewusstseinswechsel“ beim Thema Spionageabwehr.Foto: Martin Schutt/dpa/dpa
Von 15. März 2024

Der thüringische Verfassungsschutzchef Stephan Kramer (SPD) hat eine stärkere politische Reaktion auf die Abhöraffäre um vier hohe deutsche Luftwaffenoffiziere gefordert. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ plädierte er allerdings nicht für deren Abberufung, sondern für eine verbesserte Gefahrenabwehr:

Wenn wir nicht schnellstens einen lange überfälligen Bewusstseinswechsel bekommen und endlich verstehen, dass wir hybriden Bedrohungen und Angriffen als Staaten und Gesellschaften ausgesetzt sind, dann werden wir alsbald noch Schlimmeres erleben als dieses aktuelle Leak und etwaige Peinlichkeiten.“

Er gehe davon aus, dass „unsere Partner in anderen Ländern ihrerseits Konsequenzen ziehen und manche Informationen mit uns nicht mehr teilen“ würden, sagte der oberste Landesverfassungsschützer Thüringens dem „Handelsblatt“. Einen entsprechenden Vertrauensschwund halte er für „eine folgerichtige Konsequenz“: Er selbst würde „in einer solchen Lage“ jedenfalls „ebenso“ handeln.

Geheimschutz „lästig, aber fundamental wichtig“

Kramer gab sich überzeugt, dass die „notwendige Sensibilität und Professionalität im Umgang mit dem Thema Sicherheit und Geheimschutz“ in Deutschland zu wünschen übrig lasse. Gerade von jenen Verantwortlichen, die „mindestens mit sicherheitsrelevanten Fragen und Bereichen zu tun“ hätten, erwarte er allerdings diese Eigenschaften. Denn Geheimschutz sei zwar „lästig, aber fundamental wichtig“. Auch der „Verteidigungsbereich“ stehe nach Auffassung des thüringischen Geheimdienstchefs in der Pflicht, so das „Handelsblatt“.

Überhaupt vermisse er seitens der Politik bei vielen Verantwortlichen das „Bewusstsein […], dass wir seit Jahren ein Ziel von Spionage, Ausforschung und Sabotage sowohl digital wie analog“ seien. Kramer habe auch gegenüber „Parlamentariern“ Kritik geübt: Manchen unter ihnen sei es nicht bewusst, dass ihre „Äußerungen oder Sensationsmeldungen über den Zustand oder die Arbeit der Sicherheitsbehörden oder zu unseren Verteidigungsfähigkeiten nicht nur für Schlagzeilen und Reichweite sorgen, sondern auch dem Gegner Informationen liefern, die massiv unsere Sicherheitsinteressen beschädigen“.

Geheime Offiziersunterhaltung geleakt

Anlass für Kramers Ärger war die Veröffentlichung eines Mitschnitts jenes vertraulichen Gedankenaustauschs von vier hochrangigen Offizieren der deutschen Luftwaffe, der am 1. März 2024 von der Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, verbreitet worden war.

Die Soldaten hatten sich demnach am 19. Februar dieses Jahres gut 38 Minuten lang per Webex-Onlinekonferenz über Probleme einer fiktiven Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine unterhalten. Ein weiterer Gesprächsgegenstand war auch die Frage, ob die Kertsch-Brücke zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland mit Taurus-Raketen getroffen werden könnte. Auch von britischen Soldaten und ihren Storm-Shadow-Marschflugkörpern in der Ukraine war die Rede.

Das russische Außenministerium hatte daraufhin eine offizielle Stellungnahme des Bundeskanzlers eingefordert. Ein Schweigen werde als „Schuldeingeständnis“ gewertet.

An der geleakten Konferenzschalte hatten nach Angaben der Schweizer Zeitung „Weltwoche“ der Luftwaffeninspekteur Generalleutnant Ingo Gerhartz, Brigadegeneral Frank Gräfe, Oberstleutnant Florstedt und Oberstleutnant Fenske teilgenommen. Gräfe hatte sich aus einem Hotelzimmer in Singapur dazugeschaltet. Die „Weltwoche“ bietet den geleakten Mitschnitt als Audio und als Transkript an.

Pistorius will keinen seiner „besten Offiziere“ opfern

Am vergangenen Montag, 11. März, hatte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nach Informationen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses zugegeben, dass nicht nur Gräfe, sondern auch Luftwaffeninspekteur Gerhartz eine nicht abhörsichere Datenleitung genutzt hatte.

Bereits am 5. März aber hatte Pistorius klargestellt, dass er nicht beabsichtige, „persönliche Konsequenzen“ gegenüber den vier Soldaten zu ziehen. Er habe zwar „disziplinarische Vorermittlungen“ gegen alle vier Männer einleiten lassen, werde aber erst nach deren Abschluss entscheiden, ob „ein Disziplinarverfahren durchgeführt wird oder nicht“. Für ihn sei allerdings klar, dass er „niemanden“ von seinen „besten Offizieren Putins Spielen opfern“ werde. Diesen Standpunkt wiederholte Pistorius am Abend des 11. März:

Wir reden hier über Teilnehmer, die abgehört worden sind. Und ich bin nicht gewillt, Putin hier auf den Leim zu gehen und meine besten Offiziere – ob sie einen Fehler gemacht haben oder nicht – an die Luft zu setzen. Das wäre genau das, was Wladimir Putin von uns erwartet.“

„Hybrider Angriff zur Desinformation“

Für Pistorius bestand der Skandal weniger in dem Gesprächsgegenstand seiner Generäle und Offiziere, sondern vielmehr in der Tatsache, dass Russland die Konferenz mitgeschnitten und veröffentlicht hatte. Er konzentrierte sich darauf, die Blamage als „individuellen Anwendungsfehler“ darzustellen (Video auf X).

Der gesamte Vorfall sei ein „Zufallstreffer im Rahmen einer breit angelegten gestreuten Vorgehensweise“ und ein „hybrider Angriff zur Desinformation“ durch Moskau gewesen, so Pistorius. Es habe sich um einen „Teil eines Informationskriegs“ gehandelt, den der russische Präsident Wladimir Putin führe.

Faeser: Anstrengungen bereits erhöht

Nach Angaben des „Handelsblatts“ hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mitgeteilt, dass die „deutschen Sicherheitsbehörden“ ihre Anstrengungen zum Schutz vor ausländischen Spionage- oder Desinformationsattacken „schon seit Längerem insgesamt hochgefahren“ hätten. „Die Kräfte zur Bekämpfung von Desinformation“ seien „seit Beginn des russischen Angriffskriegs in einer Taskforce der Bundesregierung gebündelt“ worden, so die BMI-Chefin laut „Handelsblatt“.

Das BMI arbeite auch an einer „neue[n] Früherkennungseinheit, um ausländische Manipulationskampagnen schnell zu detektieren und über diese zu informieren“. Außerdem habe das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) am 6. Februar 2024 ein „neues Nationales IT-Lagezentrum“ eröffnet. Nach BSI-Angaben seien „die Arbeitsplätze […] verdoppelt und die neueste Medientechnik verbaut“ worden, „um im 24/7 Informationsdauerdienst die Cybersicherheitslage Deutschlands zu jeder Tages- und Nachtzeit bewerten zu können“, heißt es auf der BSI-Website.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) unternimmt ebenfalls eigene Anstrengungen zur Abwehr von Spionage und Cyberangriffen. Der Bereich sei zuletzt „personell deutlich verstärkt“ worden, so Faeser laut „Handelsblatt“.



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