Nach blockierter Fähre – Augenzeuge: „Mit Nazis haben die Jungs nichts zu tun“

Vor dem Hintergrund der bundesweiten Protestaktionen hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) angekündigt, nicht „einzuknicken“. Jene Männer, die Wirtschaftsminister Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert hatten, nannte er „Fanatiker“ und „Radikalinskis“.
Titelbild
Das Archivbild zeigt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Von 5. Januar 2024

Nach der Protestaktion einer aufgebrachten Menge von Bauern am Fährhafen Schlüttsiel hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schützend vor seinen Kabinetts- und Parteikollegen, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gestellt – und die Protestierer vor Ort scharf kritisiert.

„Das sind Leute, denen geht’s nicht um die deutsche Landwirtschaft, die haben feuchte Träume von Umstürzen, und das wird’s nicht geben“, sagte Özdemir in der „ARD-Morgenmagazin“-Ausgabe vom 5. Januar 2024. In Schlüttsiel hätten sich „nicht DIE deutschen Bauern“, sondern lediglich „einige Wenige“ versammelt. Es handele sich um eine „kleine Minderheit, eine radikale Minderheit, die anderes im Schilde führt“, so Özdemir. Die Bilder der Nacht würden „der deutschen Landwirtschaft“ und auch denjenigen schaden, „die gute Lösungen für die Landwirtschaft“ wollten.

Für ihn gehöre dazu, dass diejenigen, „die im Gespräch bleiben wollen, sich ohne jedes Wenn und Aber distanzieren von diesen Fanatikern, von diesen Radikalinskis“.

Augenzeuge: „Mit Nazis haben die Jungs nichts zu tun“

Nach Recherchen der Epoch Times hatten sich auch „Fuhrunternehmer und Lohnunternehmer“ aus der Region unter die demonstrierenden Bauern gemischt. „Mit Nazis haben die Jungs nichts zu tun“, erklärte ein Augenzeuge telefonisch gegenüber Epoch Times-Autor Alexander Wallasch. Es sei den Protestlern vor allem um das Thema LKW und Kraftstoff gegangen.

Der Hafenmeister von Schlüttsiel erklärte gegenüber Wallasch, dass er bereits tagsüber „per Whatsapp“ von einer Protestaktion am Steg erfahren habe. Den Verfasser der Nachricht könne er nicht benennen. Habecks Anwesenheit auf der Hallig Hooge und sein Abreisetermin sei wohl von einem Gaststättenbesucher auf der Hallig während eines spontanen Gesprächs mit Habeck erfragt und später durchgesteckt worden. Das habe man ihm so erzählt, erklärte der Hafenmeister.

Das Wirtschaftsministerium (BMWK) erklärte auf Anfrage, dass Habeck vor Ort „rein privat unterwegs war“. Es habe keine offiziellen Termine gegeben. „Meldungen über einen Bürgerdialog sind falsch und entsprechen nicht den Tatsachen“, so der BMWK-Sprecher.

Undankbare Bauern?

Özdemir nannte es „absurd“, den Unmut an Habeck auszulassen. Denn Habeck habe „mit dazu beigetragen […], dass diese ursprünglichen Kürzungsbeschlüsse jetzt korrigiert“ worden seien. Immerhin habe man „vollumfänglich“ Abstand davon genommen, die Kfz-Steuer für Traktoren einzuführen: „Das grüne Kennzeichen bleibt.“ Auch die Besteuerung von Agrardiesel solle – abermals dank Habeck – nicht mehr auf einen Schlag, sondern in drei Schritten vollzogen werden.

Er selbst habe ebenfalls seinen „Beitrag dazu geleistet“, so Özdemir. „Jetzt haben wir ’nen guten Kompromiss, den verteidige ich“. Er gab zu bedenken, dass nicht nur die Landwirte von Kürzungen betroffen seien.

Er selbst habe immer davor gewarnt, „überproportionale Kürzungen bei der Landwirtschaft“ durchzuführen, sagte Özdemir. Diese habe man nun auch „abgewendet“. Er selbst aber sei dafür nicht „eingeknickt“ und werde auch angesichts der kommenden Protestaktionen nicht „einknicken“, kündigte der Minister an.

Gleichwohl habe er „großes Verständnis“ für Landwirte, die „ihre Position“ einbrächten. Diese Bauern dürften „selbstverständlich“ auch protestieren. Jenen unter ihnen, die „gute Argumente“ vorgebracht hätten, habe man in den vergangenen Tagen auch „zugehört“. Nicht zuhören müsse man aber denjenigen, die Galgen aufhängen würden oder Habeck am Anlegen mit der Fähre gehindert hätten, sagte Özdemir (Video auf „Tagesschau.de“).

Die Nacht von Schlüttsiel

Am späten Nachmittag des 4. Januar 2024 hatten der „Bild“ zufolge „mehr als 100 Bauern“ den Anlegesteg des Fährhafens von Schlüttsiel, einem Städtchen im Kreis Nordfriesland an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, unter lautstarken Unmutsbekundungen mit ihren Traktoren blockiert, als die Fähre „MS Hilligenlei“ mit Habeck an Bord anlegen wollte. Etwa 120 Demonstranten hätten versucht, auf das Schiff zu gelangen. Der Minister hatte einen Kurzurlaub auf der nahen Hallig Hooge verbracht.

Nach tumultartigen Szenen am Steg, bei denen die Polizei laut „Bild“ auch Pfefferspray eingesetzt haben soll, konnten sich beide Seiten nicht darauf einigen, wie die Lage deeskaliert werden könnte: Der Minister hätte vorgeschlagen, drei der Protestierer an Bord zu empfangen, die Bauern wollten Habeck lieber auf dem Steg zur Rede stellen. Das hätten die Personenschützer Habecks aber unter Hinweis auf die „aufgebrachte Menge“ und die „unklare Sicherheitslage“ nicht zugelassen, berichtet die „Bild“.

Als immer klarer geworden sei, dass es zu keiner schnellen Lösung kommen würde, habe es das Sicherheitsteam des Ministers vorgezogen, die Fähre wieder in Richtung der Hallig ablegen zu lassen. Bald darauf seien auch die wütenden Landwirte wieder verschwunden. Festnahmen oder Anzeigen habe es nicht gegeben. Das Thema Landfriedensbruch stehe dennoch im Raum, so ein Polizeisprecher laut „Tagesschau“. Seinen Angaben zufolge seien rund 30 Polizeibeamte im Einsatz gewesen.

Nach Recherchen der „Bild“ starteten Habeck und sein vierköpfiges Bodyguardteam nach Mitternacht einen –  nun erfolgreichen – zweiten Versuch, ans Festland zu gelangen: Gegen 1:50 Uhr habe Habecks Fähre erneut in Schlüttsiel angelegt, diesmal ungestört. Habeck sei sofort in ein wartendes Auto eingestiegen und davongefahren. Gegen 2:30 Uhr war der Minister nach eigenen Angaben unversehrt an seinem Wohnsitz in Flensburg angekommen.

Habeck besorgt wegen aufgeheizter Stimmung

Robert Habeck selbst zeigte sich am Morgen danach besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland. „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt“, erklärte der Vizekanzler. Er bedauere, „dass keine Gesprächssituation mit den Landwirten zustande kommen konnte“.

Protestieren in Deutschland sei „ein hohes Gut“. Nötigung und Gewalt aber zerstörten dieses Gut. „In Worten wie Taten sollten wir dem entgegentreten“, forderte Habeck. „Als Minister habe ich qua Amt Schutz der Polizei. Viele, viele andere müssen Angriffe allein abwehren, können ihre Verunsicherung nicht teilen“, erklärte Habeck laut seines Ministeriums weiter. Sie seien „die Helden und Heldinnen der Demokratie“.

Rückendeckung aus der Ampel

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock betrachten den Vorfall offenbar so ähnlich wie Özdemir und Habeck:

Gewalt gegen Menschen oder Sachen hat in der politischen Auseinandersetzung nichts verloren! Das diskreditiert das Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren.“ (Marco Buschmann auf „X“)

Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten.“ (Annalena Baerbock auf „X“)

Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte sich ebenfalls kurz nach Bekanntwerden der Vorfälle von Schlüttsiel auf „X“ zu Wort gemeldet:

Die Blockade der Ankunft von Bundesminister #Habeck heute in einem Fährhafen ist beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders. Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein.“

Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) distanzierte sich von den Demonstranten: DBV-Präsident Joachim Rukwied erklärte „Blockaden dieser Art“ als ein „No-Go“: „Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern.“

Bereits vor einigen Tagen hatte der DBV auf Instagram klargestellt, dass er „aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, distanziere.

Große Protestwelle ab Montag – Verkehrschaos?

Von der mit Spannung erwarteten bundesweiten Protestwoche nahm der DBV allerdings keinen Abstand. Wie unter anderem die „Tagesschau“ berichtet hatte, gingen dem Verband „die Zugeständnisse des Bundes nicht weit genug“. Im Gespräch mit der „Bild“ hatte Rukwied gesagt, er rechne mit „Zehntausende[n] Trecker[n]“, die „zu unseren Sternfahrten in ganz Deutschland kommen werden“.

Bauern-Demo in Berlin am 18. Dezember 2023 mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (r.) und dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied, der die Menge bei der Rede des Bundeslandwirtschaftsministers zu beruhigen versuchte. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Noch immer stehe er zu der Ansage, die er am 18. Dezember 2023 bei einer Großdemonstration in Berlin gegenüber Landwirtschaftsminister Özdemir gemacht hatte: „Wir fordern die KOMPLETTE Rücknahme dieser Steuererhöhungen ohne Wenn und Aber“. Die Protestwoche solle am Montag, 15. Januar 2024, in Berlin mit einer großen Kundgebung enden.

Ab Montag, 8. Januar 2024, könnte es also zu tagelangen Traktorblockladen auf deutschen Landstraßen und Autobahnen kommen. Auch andere unzufriedene Gruppen, hauptsächlich aus dem Mittelstand, könnten sich dem Protestgeschehen anschließen. Der „Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung“ hatte seine Unterstützung bereits angekündigt. Vonseiten der Bahn droht ebenfalls Chaos: Die Lokführergewerkschaft GDL könnte zeitgleich zu einem längeren Streik auf der Schiene aufrufen. Dabei würde es allerdings nicht um die Regierungspolitik, sondern um mehr Geld für gut 10.000 DB-Beschäftigte gehen.

Kürzungspläne teilweise zurückgezogen

Anlass für die Proteste der Landwirte waren die Pläne der Bundesregierung, Steuervergünstigungen für die Verwendung von Agrardiesel komplett abzuschaffen. Das würde ein riesiges Loch in die Kraftstoff-Budgets der Bauernhöfe reißen. Außerdem wollte die Ampelregierung auch die landwirtschaftlichen Fahrzeuge mit einer Kfz-Steuer belasten, die es bislang für Traktoren oder Mähdrescher nicht gegeben hatte. Diese Maschinen laufen allerdings vorwiegend auf privatem Grund und Boden, weniger auf den Straßen.

Beide Ampelpläne wurden jedoch kurzfristig gemildert: Die Kfz-Steuer-Idee wurde verworfen, und die höheren Kosten für Agrardiesel soll nun in drei Schritten erfolgen.



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