Missglückter Befreiungsschlag: Diskussion um Vetternwirtschaft im Wirtschaftsministerium bricht nicht ab

Für Wirtschaftsminister, Robert Habeck (Grüne), sollte es gestern der Befreiungsschlag sein. Gelungen ist ihm das nicht. Die „Affäre Graichen“ ist noch lange nicht vorbei. Nun wurde bekannt, dass der bisherige Geschäftsführer der dena für die Neubesetzung durch Graichens Trauzeugen, Michael Schäfer, seinen Platz räumen musste.
Titelbild
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (r.) während einer Pressekonferenz mit dem Staatssekretär für Klima, Patrick Graichen. Symbolbild.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images)
Von 12. Mai 2023

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In einer gemeinsamen Sitzung des Wirtschaftsausschusses und des Ausschusses für Klimaschutz und Energie wurden Robert Habeck und sein Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, gestern von den Ausschussmitgliedern befragt.

Kurz vor Sitzungsbeginn kamen beide Männer dann auch zusammen an – die Gesichter ernst und mit festem Schritt. Zwischen Habeck und Graichen passt kein Blatt Papier. Das war das Signal, das Robert Habeck gestern in die Welt senden wollte.

Fehler, aber keine Verletzung der Compliance-Regeln

Ende April war bekannt geworden, dass der zunächst für den Posten des Geschäftsführers der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) – bei der die Bundesregierung alleiniger Gesellschafter ist – ausgewählte Michael Schäfer der Trauzeuge des Vorsitzenden der Findungskommission, Patrick Graichen, war.

Bereits vorher war breit darüber diskutiert worden, dass Graichen und der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner, verschwägert sind. Graichens Schwester Verena, Kellners Frau, und Graichens Bruder Jakob arbeiten zudem beide in Gremien, die die Regierung in Energie- und Klimafragen beraten: Verena Graichen im Wasserstoffrat und Jakob Graichen im Öko-Institut. Auch diese Verbindungen hatten für Kritik gesorgt.

Habeck sagte im Ausschuss, die Entscheidung Graichens sei ein persönlicher Fehler gewesen und keine Verletzung von Compliance-Regeln. Er bat um Respekt vor Personen in der Debatte. Graichen bedauerte seinen Fehler und betonte, dass er keinen Vorteil für Schäfer oder andere im Verfahren hatte.

Der Posten des dena-Geschäftsführers wird erneut ausgeschrieben, und die Findungskommission wird neu aufgestellt. Mögliche Kosten und ein Disziplinarverfahren gegen Graichen werden noch geprüft.

Graichen muss nicht gehen

Damit, so dürften Habeck und Graichen gehofft haben, ist die Diskussion vorbei. Nach der Ausschusssitzung machte Wirtschaftsminister Habeck dann auch deutlich, dass er an seinem Staatssekretär festhalten wolle. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, so der Minister.

Habeck fügte hinzu: „Und die Debatte eben im Ausschuss gibt mir, meine ich, eine gewisse Hoffnung, dass die Differenzierung diese Entscheidung auch klarer verständlich macht.“

„Es bleiben viele Fragen offen“

Die Opposition erklärte kurz nach der Sitzung, dass man in der Affäre Graichen weiter nachhaken wolle. „Es bleiben viele Fragen offen“, sagte CDU-Wirtschaftsexpertin Julia Klöckner nach der Befragung. „Die Ampelfraktionen haben heute eine große Chance vertan, für Aufklärung und Transparenz zu sorgen.“ Sie hätten auch gegen eine öffentliche Sitzung gestimmt. Daher wolle man eine weitere Befragung. Auch die Frage eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses stehe weiter im Raum.

Patrick Graichen entschuldigte sich dann gestern Nachmittag auch auf „Twitter“ öffentlich für sein Verhalten im Besetzungsverfahren bei der „dena“. „Ich habe bei dem Besetzungsverfahren der dena-Geschäftsführung einen Fehler gemacht, den ich sehr bedaure und bereue“, schreibt Graichen.

Der Staatssekretär erklärt weiter, dass er sich aus der Findungskommission hätte zurückziehen müssen, als er erfuhr, dass sein Trauzeuge Michael Schäfer sich für die Stelle bewirbt. Er betont jedoch, dass er Schäfer weder bevorzugt noch Hinweise jeglicher Art oder Vorteile gegeben hat. Graichen habe auch andere herausragende Kandidaten vorgeschlagen und kenne viele der vorgeschlagenen Kandidaten aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Klima- und Energieszene. Sein Ziel war es, eine starke Bewerbergruppe zu haben, aus der der beste Kandidat ausgewählt werden kann.

Bisheriger Geschäftsführer wurde rausgedrängt

Andreas Kuhlmann, der seit 2015 die „dena“ leitete, hatte im September erklärt, dass er den Vertrag nicht verlängern wird. Wie „table.berlin“ damals schrieb, hätte der Sozialdemokrat gerne als Geschäftsführer weiter gemacht. Das Wirtschaftsministerium unter Habeck wollte die Leitung aber mit jemandem neu besetzen, der die Ziele des Ministeriums stärker unterstützt. Bei seiner Verabschiedung fand Kuhlmann dann auch deutlich Worte. Er kritisierte den Zeitplan des sogenannten Gebäudeenergiegesetzes, wie es Habeck plant. „Es sind nicht immer die, die etwas Besonderes wollen, die am Ende die besten Lösungen haben“, so der scheidende dena-Geschäftsführer damals. Weiter kritisierte er die geplante engere Anbindung der Agentur an das Wirtschaftsministerium. „Ohne eigene Haltung wäre die dena nur ein Fähnchen im Wind“, konnte sich Kuhlmann damals die Spitze nicht verkneifen. Mit Graichens Trauzeugen Michael Schäfer glaubte man offenbar, aus Sicht des Ministeriums, eine willfähigere Person gefunden zu haben.

Czaja spricht von „grüner Familienclique“

Die CDU/CSU-Fraktion machte die „Graichen-Affäre“ dann auch zum Thema einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Mario Czaja (CDU/CSU) bedauerte Habecks mangelnde Entschlossenheit und sprach von einer „grünen Familienclique“ im Wirtschaftsministerium. Sebastian Roloff (SPD) verteidigte Graichen und warf der Opposition Stimmungsmache vor.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla kritisierte Habeck wegen Vetternwirtschaft, während Andreas Audretsch (Grüne) der Opposition vorwarf, eine Kampagne gegen den Klimaschutz zu führen. Klaus Ernst von den Linken bemängelte fehlende Transparenz und forderte Konsequenzen für Graichen. Olaf in der Beek von der FDP betonte die Notwendigkeit lückenloser Aufklärung und schneller Rückkehr zur Diskussion konkreter Themen.

Habeck verliert die Nerven

Kurzzeitig verlor dann Wirtschaftsminister Habeck die Nerven: Er stand von der Regierungsbank auf und lief zum CDU-Bundestagsabgeordneten Tilman Kuban, nachdem dieser seine Rede beendet hatte. Wie die „Bild“ schreibt, hatte Kuban in seiner Rede mehrfach den Rücktritt von Patrick Graichen gefordert.

Kuban hatte dem Minister wegen der „Graichen-Affäre“ schwere Vorwürfe gemacht und seinem Ministerium organisierte Vetternwirtschaft vorgeworfen. Öffentlich forderte er nun in der Aussprache von Habeck Antworten auf Fragen wie: „Was machen die dienstrechtlichen Konsequenzen gegen Herrn Graichen? […] Wie viele Stellen wurden in den vergangenen Monaten mit Freunden und Bekannten von der Agora Energiewende, vom Öko-Institut oder anderen Organisationen besetzt?“ Anschließend rief er zur Entlassung von Graichen wegen der Trauzeugen-Affäre auf – und das „schneller, als die Deutschen ihre Heizungen austauschen“.

Opposition forderte Entlassung Graichens

Die Diskussion um Habecks Staatssekretär scheint noch lange nicht beendet zu sein. Gestern meldete sich auch CDU-Parteichef Friedrich Merz zu Wort und forderte den Rücktritt von Habecks Staatssekretär. „Herr Habeck muss sich von diesem Staatssekretär trennen. Eine andere Lösung gibt es nicht mehr“, so Merz gegenüber der „Welt“.

Patrick Graichen sei für die Vetternwirtschaft im Ministerium verantwortlich. Sollte Habeck nicht die Kraft haben, sich von seinem Staatssekretär zu trennen, dann müsse Olaf Scholz (SPD) für Ordnung sorgen und sich von Habeck trennen.

 



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