Migrationswende nun doch mit vereinten Kräften? Das will Friedrich Merz

CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz will einen strengeren Kurs in der Migrationspolitik. Am 27. August trifft er sich in Berlin mit dem Bundeskanzler. Gelingt der zweite Versuch einer gemeinsamen Linie?
Oppositionsführer Friedrich Merz und Kanzler Olaf Scholz loten nach dem Anschlag von Solingen erneut aus, ob eine Zusammenarbeit in der Migrationspolitik möglich ist.
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) am 27. August 2024 auf dem Weg zu Bundeskanzler Olaf Scholz.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 27. August 2024

Seit dem Morgen des 27. August 2024 sprechen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Oppositionsführer im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), im Kanzleramt über migrationspolitische Konsequenzen aus der dreifach tödlichen Messerattacke von Solingen.

Es handelt sich um das zweite persönliche Scholz-Merz-Treffen zum Thema unkontrollierte Masseneinwanderung: Ein erster Austausch ihrer Standpunkte hatte im November 2023 stattgefunden. Merz hatte sich mit dem daraufhin von der Ampel geschnürten Maßnahmenpaket aber nicht zufriedengegeben und eine erneute Zusammenarbeit abgelehnt. Nun also doch ein neuer Versuch.

Merz, zugleich Chef der Unionsfraktion im Bundestag und CDU-Parteichef, hatte unter dem Eindruck der Solinger Bluttat eine deutliche Kurskorrektur der deutschen Migrationspolitik gefordert. Am 25. August 2024 stellte er in seinem Newsletter („MerzMail“) klar, dass es aus seiner Sicht mit strengeren Waffengesetzen oder Messerverboten nicht getan sein würde:

Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter.“

Härterer Kurs gegen Terroranschläge

Merz hatte sich direkt an Bundeskanzler Scholz gewandt und verlangt „mit uns zusammen schnell und ohne weitere Verzögerungen Entscheidungen zu treffen, die konsequent darauf ausgerichtet sind, weitere Terroranschläge wie den vom letzten Freitag in unserem Land zu verhindern“. Eine Reihe von Ideen, wie das Dauerproblem gelöst werden könnte, lieferte Merz gleich mit:

  • Aufnahmestopp und Zurückweisung von Menschen aus Syrien und Afghanistan
  • Start von Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan
  • Entzug des Aufenthaltsstatus für Menschen, die in jenes Land reisen, aus dem sie nach Deutschland geflohen waren
  • Wiederinkraftsetzen der Dublin-Verordnungen – wer aus einem sicheren Drittstand nach Deutschland einreist, erhält kein Bleiberecht
  • Dauerhafte Kontrollen der Außengrenzen Deutschlands
  • Zeitlich unbegrenztes Abschiebegewahrsam für jeden ausreisepflichtigen Straftäter auf Antrag der Bundespolizei
  • Aus für erleichterte Einbürgerungen nach Ampelgesetzen
  • Grundsätzliche Ablehnung der doppelten Staatsangehörigkeit

Der Kanzler, so Merz, solle notfalls von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen: Sofern Grüne und FDP als Koalitionspartner nicht bei den „notwendigen Gesetzesänderungen“ mitziehen wollten, möge Scholz die entsprechenden Abstimmungen im Bundestag freigeben. „Mit uns haben Sie dafür im Deutschen Bundestag eine Mehrheit – wenn Sie denn noch die Kraft aufbringen, eine solche Entscheidung zu treffen“, schloss der Oppositionsführer seinen Brandbrief.

Solingen als „Wendepunkt“: „Weil es jetzt wirklich reicht“

Auch am Sonntagabend bekräftigte Merz im ARD-„Brennpunkt“ die 180-Grad-Wende der Union, was die im Sommer 2015 von CDU-Kanzlerin Angela Merkel losgetretene Politik der offenen Grenzen für alle angeht:

Wir müssen jetzt grundsätzlich die Asyl- und Einwanderungspolitik unseres Landes ändern. Wenn wir das nicht tun, dann wächst uns dieses Problem über den Kopf und wir werden das Vertrauen der Bevölkerung verlieren.“

Sein „MerzMail“-Slogan „Es reicht!“ sei „richtig und notwendig“, betonte Merz: „Weil es jetzt wirklich reicht“. Das habe nichts mit anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu tun: „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo gehandelt werden muss und nicht weiter ritualhafte Reden gehalten werden müssen vor lauter Trauer und Bekundung.“ Am „Ende des Tages“ zählten nur gesetzliche Änderungen.

Es gebe in Deutschland Leute, „die wir hier nicht haben wollen. Und wir müssen dafür sorgen, dass nicht noch mehr kommen“, so Merz. In Anspielung auf die Dublin-Verordnungen und den Grundgesetzartikel 16a (2) erklärte der CDU-Parteichef, dass jeder, der in Deutschland einen Asylantrag stelle, „schon mindestens ein Land zu weit gereist“ sei. Asylanträge seien nach den „europäischen Regeln“ aber im Erstzutrittsland zu stellen. Diese Regeln gelte es nun „konsequent“ anzuwenden.

Er habe kein Verständnis mehr für den Widerstand der Grünen, auch nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben: Der Schutz der Bevölkerung müsse als „wichtigste Aufgabe, die wir in der Politik haben“, jetzt „absolute Priorität haben gegenüber allem anderen“.

Wenn Solingen jetzt für die Koalition nicht der Wendepunkt ist, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit hier einige Leute endlich mal zur Besinnung kommen.“

Merz: Zusammenarbeit mit AfD „würde die CDU umbringen“

Obwohl die AfD seit Jahren nahezu gleichlautende Forderungen zur Migrationspolitik stellt, gilt für Merz weiterhin die „Brandmauer“ gegen die Blauen. Trotz Solingen käme die AfD keinesfalls als möglicher Partner infrage, wie Merz noch am Freitagabend im Gespräch mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND, Bezahlschranke) betont hatte: „Das würde die CDU umbringen“, so Merz, „wir dürfen jenen, die uns beseitigen wollen, nicht noch die Hand reichen.“

Scholz soll liefern

Fraglich bleibt vorerst auch, ob Olaf Scholz sich auf eine „Zeitenwende“ in der Migrationspolitik einlassen wird. Erstens bekäme auch er es wohl speziell mit dem Widerstand der Grünen zu tun, und zweitens hegt das Kanzleramt selbst Bedenken. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte nach Angaben der „Welt“ bereits, dass bei allen Vorschlägen niemals gegen das Grundgesetz, gegen die UN-Menschenrechtscharta oder gegen ähnliche Regeln verstoßen werden dürfe. Neue Absprachen müssten „vernünftig und zielführend“ sein. Dem Gespräch zwischen Scholz und Merz wolle er aber „nicht vorgreifen“.

Olaf Scholz hatte bekanntlich bereits während eines „Spiegel“-Interviews (Bezahlschranke) unter dem Eindruck des Israel/Hamas-Konflikts im Oktober 2023 persönlich bekräftigt, „endlich im großen Stil“ abschieben zu wollen.

Klingbeil gegen allgemeinen Aufnahmestopp, Faeser verweist auf Länderzuständigkeit

Sein Parteichef Lars Klingbeil zeigte sich nach „Welt“-Informationen jüngst ebenfalls offen für Nachbesserungen, auch in Zusammenarbeit „mit den demokratischen Parteien in diesem Land“. Einen allgemeinen Aufnahmestopp für Menschen aus Afghanistan oder Syrien werde er aber nicht unterstützen. Beispielsweise „Frauen, die aus Syrien fliehen oder aus Afghanistan fliehen, weil sie vom IS mit dem Leben bedroht werden“, müsse weiter Schutz gewährt werden, so Klingbeil laut „Welt“. Offener habe er sich für Abschiebungen von Gefährdern und Straftätern in die genannten Länder gezeigt: „Das ist ein juristisch schwieriger Prozess, aber es ist klar, dass das passieren muss“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser, ebenfalls SPD, verwies auf Anfrage der Funke-Mediengruppe auf die Verantwortung der Bundesländer. Die Ampel habe die Grundlagen für vermehrte Rückführungen bereits geschaffen, so Faeser unter Anspielung auf das Ende Februar 2024 in Kraft getretene Rückführungsverbesserungsgesetz. Es liege nun an den Ländern, diese mit Unterstützung des Bundes umzusetzen. Erste Erfolge gebe es schon: „Die Abschiebezahlen sind im Vergleich zum Vorjahr bereits um rund 20 Prozent gestiegen“, so Faeser.

Die Innenministerin zeigte sich auch zuversichtlich, mit der geplanten Verschärfung des Waffenrechts Erfolge zu erzielen. Hier sei man „in der Koalition inzwischen auf einem guten und konstruktiven Weg“.

Grüne: „Gesetzesvollzug“ unterstützen

Die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Irene Mihalic, eine frühere Polizistin, verwies in den ARD-„Tagesthemen“ ebenfalls auf die bereits bestehenden Gesetze und die Zuständigkeit der Innenministerien in Bund und Land. Ihrer Meinung nach hapere es am „Gesetzesvollzug“. Abhilfe könne eine bessere Ausstattung der Behörden leisten. „Da reden wir nicht nur über Polizei und Nachrichtendienste, da reden wir natürlich auch über die anderen Behörden, die zuständig sind, solche Verfahren durchzuführen“, so Mihalic.

Hendrik Wüst (CDU), der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands Nordrhein-Westfalen, scheint beim Thema Migration wie sein Parteichef Merz einen härteren Kurs zu verfolgen. „Ich bin schon lange dafür, dass wir unseren Katalog von Sozialleistungen überprüfen und an die Regeln anderer EU-Länder anpassen“, erklärte Wüst im „Stern“-Interview. Im Umgang mit Ausreisepflichtigen vollzog er nun offenbar eine Kehrtwende: „Wer auszureisen hat, sollte unmittelbar nach einem rechtskräftigen Bescheid unser Land auch verlassen.“

Noch vor einem Jahr hatte Wüst auf mehr Integration gesetzt – ungeachtet eines negativ beschiedenen Aufenthaltsstatus. Statt abgelehnte Asylantragsteller ohne Bleiberecht abzuschieben, hatte Wüst damals dafür plädiert, sämtliche Asylbewerber aus den NRW-Landeseinrichtungen schon nach sechs statt bis dato 24 Monaten in Dörfern und Städten unterzubringen.



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