Merz rudert zurück: „Auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD“

Nach seinem Zugeständnis, im kommunalen Bereich gemeinsam mit der AfD nach Gestaltungswegen zu suchen, schlägt CDU-Parteichef Friedrich Merz vor allem aus den eigenen Reihen Unverständnis entgegen. Am Montag reagierte er mit einer Korrektur seiner Kurskorrektur.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim ZDF-Sommerinterview.
Das Foto zeigt den CDU-Vorsitzenden und Unionsfraktionschef Friedrich Merz beim ZDF-Sommerinterview mit Theo Koll. Das Gespräch sorgt wegen der Zugeständnisse an die AfD auf Kommunalebene für reichlich Zoff.Foto: Dominik Asbach/ZDF/dpa
Von 24. Juli 2023

Friedrich Merz, der CDU-Parteivorsitzende und Fraktionschef der Union im Bundestag, ist offenbar um Schadensbegrenzung bemüht: Am Morgen des 24. Juli twitterte er kurz nach 09:00 Uhr:

Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der @CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der #CDU mit der AfD geben. (FM)“ [Quelle: Twitter]

Im ZDF-„Sommerinterview“ mit Theo Koll hatte das am Sonntagabend noch ganz anders geklungen.

„Parteipolitisierung ein bisschen zu weit vorangeschritten“

Der CDU-Parteichef hatte im ZDF zu verstehen gegeben, dass man im kommunalen Bereich Abstriche in puncto „Brandmauer zur AfD“ hinnehmen müsse. „Auf der kommunalen Ebene ist die Parteipolitisierung ohnehin ein bisschen zu weit vorangeschritten“, hieß es auf einmal aus Merz‘ Mund.

Als vor wenigen Wochen im thüringischen Sonneberg ein AfD-Landrat und in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) ein AfD-Bürgermeister ins Amt gewählt worden seien, habe es sich jeweils „natürlich [um] eine demokratische Wahl“ gehandelt, so Merz. „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Das sei „selbstverständlich“. (Video auf „ZDF.de“).

Brandmauer bei den „gesetzgebenden Körperschaften“, Nein zum AfD-Verbot

Sein Nein zur Kooperation mit der AfD beziehe sich „auf gesetzgebende Körperschaften“, stellte Merz klar. „Das betrifft übrigens auch das Europäische Parlament, den Deutschen Bundestag, den Landtag“, betonte der Sauerländer.

„Hinter dieser ‚Brandmauer‘ stehen nicht die Wähler“, stellte Merz klar, „sondern hinter dieser ‚Brandmauer‘ stehen die Funktionäre, die Mandatsträger, mit denen wir in den Parlamenten nicht zusammenarbeiten werden. Aber die Wählerinnen und Wähler der AfD, die wollen wir natürlich zurückgewinnen, wenn es immer möglich ist und vor allen Dingen, wenn sie unsere Grundsätze akzeptieren“.

Die Forderung seines Parteikollegen und „Ost-Beauftragten“ Marco Wanderwitz, die AfD zu verbieten, nannte Merz eine „Einzelmeinung in der Bundestagsfraktion, die wir nicht teilen“: „Parteiverbote haben noch nie dazu geführt, dass man ein politisches Problem löst.“

Heftiger Widerstand von Parteikollegen

Seit der Ausstrahlung des Interviews am Abend des 23. Juli bläst Merz von beinahe allen Seiten der Wind entgegen, vor allem aus den eigenen Reihen.

Kai Wegner (CDU), der Regierende Bürgermeister des Landes Berlin, äußerte auf Twitter sein Unverständnis: „Die AfD kennt nur Dagegen und Spaltung. Wo soll es da ZUSAMMENarbeit geben? Die CDU kann, will und wird nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Geschäftsmodell Hass, Spaltung und Ausgrenzung ist.“

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) twitterte:

Die CSU lehnt jede Zusammenarbeit mit der AfD ab – egal auf welcher politischen Ebene. Denn die AfD ist demokratiefeindlich, rechtsextrem und spaltet unsere Gesellschaft. […] Wir nehmen die Sorgen und Nöte der Menschen ernst. Die CSU steht für ein starkes und sicheres Bayern, damit unser Land stabil bleibt.“

Hans: „Wehret den Anfängen!“

Der ehemalige Ministerpräsident und heutige Landtagsabgeordnete des Saarlands, Tobias Hans, schrieb auf Twitter: „Das ist nicht erträglich und kann nicht stehen bleiben. Der Parteitagsbeschluss besagt, dass jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen ist. Das hier ist die schleichende Verwässerung von Parteitagsbeschlüssen nach Wahlerfolgen der extremen Rechten. Wehret den Anfängen!“ Am Rande bemerkt: Hans hatte während der Coronazeit den „Ungeimpften“ eine „klare Ansage“ gemacht: „Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben“.

Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen pochte auf Twitter darauf, dass es bei der CDU „verbindlich ein einschränkungsloses Kooperationsverbot mit der AfD“ gebe. „Jeder, der das ändern will, muss dafür auf einem Bundesparteitag der #CDU eine Mehrheit finden.“

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Polenz: Bei Verstoß „müssen politische Konsequenzen folgen“

Ähnlich eindeutig klingt CDU-Urgestein und Viel-Twitterer Ruprecht Polenz: „Keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD – egal auf welcher Ebene. Word. Und wenn gegen diesen Beschluss auf örtlicher Ebene verstoßen werden sollte, müssen politische Konsequenzen folgen. Es wäre gut, wenn auch @_FriedrichMerz das UNMISSVERSTÄNDLICH sagen würde.“

Merz‘ Vertrauter Carsten Linnemann, der erst nach dem gescheiterten Parteiausschlussverfahren gegen Ex-Verfassungschef Hans-Georg Maaßen von seinem Parteichef zum neuen CDU-Generalsekretär berufen wurde, sprang Merz dagegen mit seiner Interpretation des ZDF-„Sommerinterviews“ ein Stück weit zur Seite:

Für die @CDU ist klar: Keine Zusammenarbeit mit der #AfD, egal auf welcher Ebene. Das sieht auch Friedrich Merz so, wenngleich er zu Recht auf die schwierige Umsetzung vor Ort hinweist. […] Denn wenn es im Kommunalparlament etwa um eine neue Kita geht, können wir nicht nur deshalb dagegen stimmen, weil die #AfD mitstimmt. Wir machen uns von Rechtsradikalen nicht abhängig“.

Chrupalla: „Nun fallen erste Steine aus der Brandmauer“

Tino Chrupalla, der Co-Parteisprecher der „Alternative für Deutschland“, schien alles andere als unzufrieden mit Merz‘ Zugeständnis auf der kommunalen Ebene. Er twitterte:

Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer. In Ländern und Bund werden wir die Mauer gemeinsam niederreißen. Gewinner werden die Bürger sein, die Wohlstand, Freiheit und Sicherheit durch interessengeleitete Politik wiedergewinnen.“

Ähnlich sah das Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Nach Informationen des „Tagesspiegel“ befürchte er „riesige Löcher“ in der „Brandmauer“ gegen die AfD. „Es ist eine Frage der Zeit, wann sie einstürzt“, so Bartsch.

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang war „not amused“ über Merz‘ Sommerinterview: „Erst reduziert er diese Partei auf eine bessere Alternative für Deutschland und jetzt baut er die Brandmauer – die ja selbst von der Union immer wieder beschworen wurde – ein kleines Stück ab.“

Strack-Zimmermann sieht Merz dem Amt „nicht gewachsen“

Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) schrieb, dass gerade in der Kommunalpolitik „die Brandmauer zur antidemokratischen AfD“ nicht fallen dürfe, sonst falle sie in den „‚gesetzgebenden Ebenen‘ erst recht“. „Wer als Partei- und Fraktionsvorsitzender soviel Geringschätzung gegenüber der kommunalen Basis zeigt und seinen eigenen Parteibeschluss so sehr zugunsten der AfD verbiegt, zeigt, dass er höheren Ämtern nicht gewachsen ist. #Merz

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Jochen Ott, zog im „Tagesspiegel“ eine historische Parallele: „Immer wenn es in der Geschichte darauf ankam, standen viele Konservative nicht“, sagte Ott. Das dürfe sich „nicht wiederholen. Damit wäre auch der Schwur von der Brandmauer in Bund und Ländern als Geschwätz entlarvt“.

Merz: „Wir sind die Alternative gegen diese Bundesregierung“

Katja Mast, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, hatte schon vor wenigen Tagen irritiert auf Merz‘ Aussage reagiert, mit der Merz offensichtlich versucht hatte, den „Alternative“-Begriff der verhassten blauen Konkurrenzpartei positiv im Sinne der Union zu nutzen: Auf der Klausur der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Andechs sagte Merz, die Union sei die „Alternative für Deutschland mit Substanz“. Mast twitterte kurz darauf:

Wenn der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die CDU als ‚Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnet, dann macht das die AfD stärker als sie ist. Für die größte Oppositionsfraktion ist das eine polit. Bankrotterklärung.“

Mit den Worten „Wir messen uns nicht an der AfD, sondern wir sind größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag. Damit sind wir die Alternative gegen diese Bundesregierung“, hatte sich Merz gleich zu Anfang des Sommerinterviews um Abgrenzung bemüht.

Merz will sich auf Bayern und Hessen konzentrieren

Gleichwohl räumte Merz ein, dass die Union nun „Konzepte liefern“ und „Vertrauen gewinnen, auch zurückgewinnen“ müsse. Das sei „ein schwieriger Weg“. Seit anderthalb Jahren sei die Union in ihrer Oppositionsrolle „ganz gut unterwegs, aber wir müssen noch zulegen“. Vertrauen verliere man „schnell“, man gewinne es aber „nur langsam wieder zurück“.

Die Frage, wie CDU und CSU versuchen wollten, die AfD in großen Teilen der ostdeutschen Bundesländer von Platz eins in der Wählergunst zu verdrängen, stellt sich nach Auffassung von Merz „im Augenblick nicht“. Momentan gehe es darum, sich auf die bevorstehenden „großen Landtagswahlen“ in Hessen und Bayern am 8. Oktober 2023 zu konzentrieren. In den beiden westdeutschen Bundesländern lägen die CDU beziehungsweise die CSU „klar vorne“. „Da kämpfen wir für einen Regierungsauftrag“.

AfD Umfragen zufolge in Lauerstellung

Der jüngsten wöchentlichen INSA-Umfrage im Auftrag der „Bild am Sonntag“ zufolge konnte die AfD bundesweit zwei Punkte zulegen und liegt nun bei 22 Prozent, nur noch vier Punkte hinter der CDU (minus ein Prozentpunkt).

Nach Angaben von INSA-Chef Hermann Binkert verbuchte die AfD damit den „höchste[n] Wert, den wir je für diese Partei gemessen haben.“

Teile der CDU-Basis schon länger unzufrieden mit „Brandmauer“

Ob Merz mit seiner Korrektur von der Korrektur die CDU-Kräfte in der kommunalen Basis wieder etwas zufriedener stimmen wird, scheint fraglich. Denn wie das ZDF in einem Einspieler zeigte, hatte etwa die CDU-Landrätin Martina Schweinsburg Merz‘ „Brandmauer“-Begriff gegenüber dem ZDF als „von Anfang an bescheuert“ und als „Blödsinn“ kritisiert.

Auch Michael Brychcy, langjähriger CDU-Bürgermeister in Waltershausen, betonte, dass er und seine Parteikollegen dafür gewählt worden sein, „miteinander zu reden“. Werner Henning, der CDU-Landrat im Eichsfeld, erklärte, er habe mit AfD-Vertretern zusammen zu arbeiten, wenn sie nun einmal da seien: „Brandmauer auf unserer Ebene geht überhaupt nicht“.



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