„Mangelnde Evidenz“: Lauterbachs „Gesundes-Herz-Gesetz“ stößt auf Widerstand

Während Kardiologen den Entwurf für das „Gesundes-Herz-Gesetz“ unterstützen, hagelt es von anderen Stellen Kritik: Nicht evidenzbasiert, zu wenig präventiv, dafür aber politisch übergriffig und möglicherweise mit Nebenwirkungen behaftet – so lauten die Hauptvorwürfe.
Modell des menschlichen Herzens bei einem Kardiologen.
Das Symbolbild zeigt ein Modell des menschlichen Herzens bei einem Kardiologen.Foto: iStock
Von 9. Juli 2024

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Das neue „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach stößt auf immer mehr Kritik. Nach der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Netzwerk Evidenzbasierte Medizin hat nun auch der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Kassen (G-BA) eine negative Stellungnahme abgegeben. Es handelt sich nach Angaben des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ (RND) um das höchste Entscheidungsgremium der Krankenversicherungen in Deutschland.

G-BA-Chef Prof. Josef Hecken (CDU) missfällt vorwiegend der Umstand, dass schon Kinder an die regelmäßige Einnahme von Tabletten gewöhnt werden könnten: „Statt sich dafür einzusetzen, dass sich Kinder gesund und ausgewogen ernähren und es Aufklärungskampagnen zu einer gesunden Lebensweise gibt, sollen Arzneimittel verordnet werden“, erklärte Hecken im RND-Gespräch: „Pillen statt gesunder Ernährung und mehr körperliche Bewegung – was leben wir unseren Kindern denn hier für eine Lebenseinstellung vor?“

Gerade bei Kindern sollten Arzneimittel seiner Meinung nach „auf unabdingbar notwendige Einzelfälle“ beschränkt bleiben, zum Beispiel auf solche, die genetisch vorbelastet seien und „bei denen eine Änderung des Lebensstils allein nicht“ ausreichen würde.

Unerwünschte Nebenwirkungen befürchtet

„Mehr Medikamente und Check-ups schon für Kinder sind Aktionismus, aber keine Strategie, die Zivilisationserkrankung in den Griff zu bekommen“, sagte Hecken im RND-Interview. Er gab außerdem zu bedenken, dass es sich bei den in Lauterbachs Referentenentwurf (PDF) empfohlenen Statinen keineswegs bloß um „Pfefferminzbonbons aus dem Supermarkt“ handele, sondern um Cholesterinsenker, die unerwünschte Wirkungen wie Leberschäden, Diabetes oder Muskelschmerzen nach sich ziehen könnten.

Der G-BA-Präsident zeigte sich in einer Pressemitteilung zugleich verärgert, dass eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen (GKVen) für Lauterbachs Pläne geschaffen werden solle, obwohl die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen noch gar nicht „in einem systematischen und transparenten Verfahren“ überprüft worden seien. Die „eigentliche Zielsetzung, die individuelle Gesundheitskompetenz zu verbessern und für möglichst gesundheitsfördernde Lebensbedingungen zu sorgen“, werde darüber hinaus „konterkariert“.

Eingriff in den GKV-Leistungskatalog

Hecken wies auch darauf hin, dass Lauterbach es noch zu Zeiten seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) vehement abgelehnt habe, dass der Gesetzgeber in den Leistungskatalog von Krankenkassen eingreifen dürfe. Während Spahn sein Vorhaben damals aufgegeben habe, bemühe sich nun ausgerechnet Lauterbach um einen erneuten Anlauf in diesem Sinne (Seite 3 der Stellungnahme, PDF).

Heckens Fazit: „Im Moment sind die vorgestellten Inhalte nicht dafür geeignet, dem hohen Anspruch des Gesetzestitels gerecht zu werden.“

Wie alle anderen Verbände lobte allerdings auch Hecken den Grundgedanken des GHG, Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher erkennen und betroffene Patienten besser versorgen zu wollen.

Hauptkritikpunkt: fehlende Evidenz

Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatten zuletzt vor allem die fehlende Evidenz der geplanten Maßnahmen bemängelt. Das EbM schrieb von einem „Affront gegenüber den Kerngedanken der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung“ gemäß der Paragrafen 2 und 12 des Sozialgesetzbuches (SGB) V:

An die Stelle einer politisch unabhängigen, öffentlich transparenten und den Kriterien und Prinzipien der evidenzbasierten Medizin verpflichteten Bewertung von Nutzen, Schadensrisiken und Kosten tritt eine politisch begründete Einführung von Gesundheitsleistungen, deren zu erwartende Effekte auf die individuelle Gesundheit und die gesellschaftlichen Kosten weder robust geprüft noch für die Bürgerinnen und Bürger transparent sind.“ (PDF).

Nach Ansicht von Dr. Stephan Hofmeister, dem stellvertretenden KBV-Vorstandsvorsitzenden, fehlt dem Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) zudem „eine konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens“. Man könne womöglich „noch stärkere Effekte zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ erreichen, wenn es mehr gesellschaftliche Aufklärung gebe. Außerdem könne man bewegungsfördernde Lebensbedingungen unterstützen oder ungesunde Lebens- und Genussmittel höher besteuern, mit Risikohinweisen versehen oder die Werbung dafür verbieten.

Rechtsverordnungen des BMG ohne Berücksichtigung des „Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots und ohne Beteiligung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und des Bewertungsausschusses (BA)“ lehne er allerdings als „radikalen Systembruch“ ab – ebenso wie den Vorschlag, „erweiterte Gesundheitsdienstleistungen in Apotheken durchzuführen“.

Bundesärztekammer will keine Vorgaben von Politik und Behörden

Ähnlich ablehnend hatte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt auf den Gesetzentwurf reagiert. Er kritisierte als einer der Ersten die fehlende wissenschaftliche Grundlage. Prävention und Therapie dürften zudem „nicht auf Vorgaben von Politik und Behörden“ beruhen, meinte auch Reinhardt bereits vor einigen Tagen in einer Pressemitteilung: „Dieser Eingriff in die Kompetenzen der Selbstverwaltung führt nicht zu einer besseren Versorgung, sondern gefährdet die Qualität und Akzeptanz von Vorsorgeuntersuchungen und führt zu ordnungspolitischem Chaos“, gab sich der Bundesärztekammer-Präsident überzeugt.

Ebenfalls ablehnend steht er der Idee gegenüber, Präventions-Gutscheine und Beratungsgespräche in Apotheken einzuführen: „Apotheken sind von großer Bedeutung für die qualifizierte Versorgung mit Arzneimitteln. Sie sind aber keine Arztpraxen-to-go“. Bei Ärzten seien die Patienten besser aufgehoben.

Auch die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (bvpg) hatte den GHG-Referentenentwurf rundheraus abgelehnt: „Im Gesetzentwurf fehlt die grundlegende Haltung, Gesundheitsförderung und Prävention in einer Gesamtstrategie zu verankern, die geprägt ist von der vorhandenen Evidenz. Damit gefährdet sie bewährte Strukturen und schadet der Präventionslandschaft“, so ihr Urteil (PDF).

Kardiologen loben GHG-Entwurf

Herzspezialisten waren da ganz anderer Meinung: Die Deutsche Herzstiftung beispielsweise begrüßte den GHG-Entwurf, weil das Gesetz dazu beitragen könne, bisher unbehandelte Risikokrankheiten früher zu erkennen.

Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung, erklärte in einer Pressemitteilung, dass Prävention bereits in der Kita und in der Schule beginnen müsse: Die Hälfte aller Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei eben „nicht allein durch eine Lebensstiländerung beeinflussbar“. Vielmehr bedürften sie „zusätzlich einer medikamentösen oder interventionellen Therapie“.

Allein die koronare Herzkrankheit (KHK) verursache im Jahr über 120.000 Todesfälle, außerdem 550.000 Aufenthalte in Krankenhäusern, betonte Voigtländer. Das belege, dass sich weite Teile der Bevölkerung „nicht in ausreichender therapeutischer Versorgung“ befänden oder „gar nicht versorgt“ seien.

Das „Gesundes-Herz-Gesetz“

Lauterbach plant mit seinem „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG), die Anzahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und -Todesfälle in Deutschland mittels besserer Vorbeugung, Früherkennung und Versorgung zu minimieren. Immerhin handele es sich um die häufigste Todesursache überhaupt: Im Jahr 2021 seien ein Drittel aller Todesfälle darauf zurückzuführen gewesen, heißt es im Entwurf. Im Jahr 2020 hätten Herz-Kreislauf-Erkrankungen Systemkosten in Höhe von 56,7 Milliarden Euro verursacht. Davon seien allein 34 Milliarden Euro zulasten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gegangen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, unter anderem die Bedingungen für die Verschreibung von Statinen zu lockern, damit sie rund zwei Millionen Menschen mehr verabreicht werden können als bisher. Insbesondere Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren sollen im Rahmen der J1-Untersuchung gezielt von den Krankenkassen auf das Thema Fettstoffwechselerkrankung angesprochen werden. Die Krankenkassen sollen auch dazu verpflichtet werden, all ihre Versicherten im Alter von 25, 35 und 50 Jahren auf ihr Herzinfarkt-Risiko hin untersuchen zu lassen.

Nach dem GHG-Entwurf sollen die gesetzlichen Krankenkassen künftig auch vermehrt solche Kosten erstatten, die bei der medikamentösen Tabakentwöhnung anfallen. Apotheken sollen „unabhängig von den Check-up-Untersuchungen verstärkt in die Beratung zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und tabakassoziierten Erkrankungen eingebunden“ werden.

Allein für die Tabakentwöhnung rechnet das BMG mit etwa 15 Millionen Euro Zusatzkosten für die GKV pro Jahr. Das Mehr an verabreichten Statinen könnte die Kassen nach zwei Übergangsjahren mit weiteren 90 Millionen Euro jährlich belasten. Nicht berücksichtigt worden seien bisher die Kosten für vermehrte Gesundheitsuntersuchungen. Das BMG gehe allerdings davon aus, dass die Kassen durch Anrechnungsregelungen und Umschichtungen im Endeffekt kostenneutral arbeiten können.

Rechne man noch die gesparten Gelder dagegen, die teurere spätere Behandlungen durch Früherkennung vermeiden würden, könnte das Gesetz die GKVen sogar um zunächst rund 140 Millionen Euro pro Jahr entlasten, so die Schätzung des BMG. Nach vier Jahren seien sogar bis zu 510 Millionen Euro Ersparnis drin.



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