Kretschmer schlägt pragmatischeren CDU-Kurs gegenüber AfD auf Kommunalebene vor

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat für einen „pragmatischen Umgang“ mit der AfD auf kommunaler Ebene plädiert. „Abgrenzen, Ausgrenzen, Brandmauer“ genügten nicht, auch wenn er die AfD für „extrem gefährlich“ halte.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer glaubt, dass auf kommunaler Ebene niemand eine „lupenreine Trennung“ von der AfD durchhalten wird.Foto: CDU Landesverband Sachsen
Von 26. Juli 2023

Die CDU kommt nicht zur Ruhe. Nach dem Hin und Her von Parteichef Friedrich Merz steht zwar seit dem 24. Juli fest, dass Unionsmitglieder auf keinen Fall und auf keiner Ebene mehr mit der AfD zusammenarbeiten dürfen, doch Sachsens Ministerpräsident und Landesparteichef Michael Kretschmer (CDU) hält das in den Kommunen zu seinem Bedauern für nicht realistisch.

In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) vom 25. Juli gab Kretschmer zu bedenken, dass „auf kommunaler Ebene niemand“ eine „lupenreine Trennung“ von der AfD durchhalten werde, „auch SPD und Grüne nicht“. Mit „Abgrenzen, Ausgrenzen, Brandmauer“ sei es „nicht getan“.

„Eine Lebenswirklichkeit, die wir zur Kenntnis nehmen müssen“

Immerhin besitze die Alternative für Deutschland in „manchen Kommunalparlamenten in Sachsen […] ein Drittel der Sitze“, sagte Kretschmer. Das sei „eine Lebenswirklichkeit, die wir zur Kenntnis nehmen müssen“.

Der studierte Wirtschaftsingenieur empfahl stattdessen einen „pragmatischen Umgang“ mit der blauen Konkurrenzpartei: „Die AfD darf nicht länger ständig Thema sein oder von uns dazu gemacht werden“ Die „nun schon seit Monaten anhaltende Diskussion um und über die AfD stärkt nur eine Partei, und das ist die AfD“, klagte Kretschmer im FAZ-Gespräch.

Bei Sachentscheidungen in Städten und Gemeinden, also beispielsweise der Sanierung einer Schule, können wir nicht sagen: Wir sind dagegen, weil die AfD dafür ist. Da erklären uns die Leute für verrückt und wenden sich erst recht von den Demokraten ab. So was würde doch keiner verstehen.“ (Michael Kretschmer)

Posten eines Parlamentsvizepräsidenten nicht länger verweigern

Er halte es für besser, sich an die Geschäftsordnung der Parlamente zu halten: Wenn demnach einem AfD-Vertreter der Rang eines Parlamentsvizepräsidenten zustehe, solle man ihm diesen gewähren. Das habe man im sächsischen Landtag auch so gehandhabt, damit das „Thema vom Tisch“ gewesen sei und die AfD sich „nicht als Opfer inszenieren“ könne. „Das ist ein anderer und, wie ich finde, klügerer Umgang als zum Beispiel im Bundestag, wo jede neue gescheiterte Wahl des Vizepräsidenten der AfD ein Podium bietet.“

Kretschmer spielte damit auf die Tatsache an, dass der AfD seit ihrem Einzug in den Bundestag im Jahr 2017 gegen die jahrzehntelang gängigen Spielregeln das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten von den übrigen Parlamentariern vorenthalten wird.

Um der AfD etwas entgegen zu setzen, plädierte der sächsische Regierungschef dafür, „ihr durch kluge Politik den Nährboden [zu] entziehen.“ Man müsse als CDU „Treiber sein für die richtigen Themen“ und „überzeugende Antworten auf die berechtigten Fragen der Menschen geben“.

Alle Umfragen belegen übereinstimmend die aktuellen Kritikpunkte der Bürger: Asylpolitik, Energiewende, Gebäudeenergiegesetz und der Krieg in der Ukraine. Zwölf Monate hohe Inflation, zwei Quartale Rezession. Beinahe täglich gibt es aus der Wirtschaft Hiobsbotschaften über ­Investitionsverlagerungen und Kostensteigerungen. Diese Spirale muss durchbrochen werden.“ (Michael Kretschmer)

Kretschmer hält AfD für „extrem gefährlich“

Die mittlerweile zweitstärkste Kraft in Deutschland sei „eine radikalpopulistische Partei, die immer rechtsextremer wird und sich aus seiner Sicht immer weiter radikalisiert“ habe. Die AfD habe zudem „Schlimmes vor“, „mit unserem Land nichts Gutes im Sinn“ und sei „extrem gefährlich“.

Wenn die AfD mit ihren Forderungen nach einem „Austritt aus der NATO und aus der Europäischen Union“ durchkäme, sei „es vorbei mit unserer Sicherheit und unserem Wohlstand“. „Rechtsextremisten wie Björn Höcke“ prägten bei der AfD das Bild.  „Wir müssen alles dafür tun, dass diese Leute niemals an die Macht kommen“, betonte der sächsische Ministerpräsident. Denn „viele Leute wissen wirklich nicht, mit wem sie es bei dieser Partei zu tun haben und was sie bekommen, wenn sie an die Macht käme.“

Es gebe, so Kretschmer, nur „vereinzelt Leute in der AfD […], die nicht ständig gegen die allgemeinen Umgangsformen verstoßen“. In der Regel hätten AfD-Parteiangehörige „eine verächtliche Haltung gegenüber unserem Land und seinen Institutionen“, träten „demokratische Werte wie Konsens und konstruktiven Streit mit einfachen Parolen in den Boden“ und zeigten „weder Anstand noch Charakter“. „Sie äußern sich unflätig, sie beleidigen andere Abgeordnete, und sie nutzen jede, aber auch wirklich jede Debatte, um ihre populistischen und oftmals rassistischen Botschaften loszuwerden“, behauptete Kretschmer. Die CDU dagegen trete „den Menschen mit Respekt entgegen“.

Heute hü, morgen …

Für alles andere als respektvoll halten viele enttäuschte Menschen Kretschmers gebrochenes Versprechen aus der frühen Corona-Zeit, nach der „niemand in der Bundesrepublik Deutschland gegen seinen Willen geimpft“ werde und auch niemand seine Grundrechte verlieren werde, der nicht geimpft sei. So etwas zu behaupten, sei „absurd“, „bösartig“, „bar jeder Vorstellung“ und man müsse Leuten „entgegentreten“, die sich entsprechend äußerten, hatte Kretschmer seinerzeit in einer Videobotschaft verkündet. Er selbst werde für jene Menschen eintreten, die keine Impfung wollten. (Video auf Twitter, mittlerweile X).

Später machte sich der Maßnahmenbefürworter persönlich für eine allgemeine strafbewehrte Impfpflicht stark: Die Impfung sei sicher. (Video auf Facebook). Die AfD hatte sich als einzige Bundestagspartei konsequent dagegen ausgesprochen.

Im November 2022 wollte Kretschmer während eines Bürgerdialogs von alldem aber nicht mehr viel hören: Es habe zwar „Ungerechtigkeiten“ und falsche Entscheidungen gegeben, seine Kritiker aber sollten „mit dem Gerede, was gewesen ist“, aufhören und endlich „nach vorne gehen“ (Video auf corodok.de).

Schon im Spätsommer 2021 hatte Kretschmer das Wort „bösartig“ in den Mund genommen, als es um Warnungen aus dem Kreis von AfD-Politikern gegangen war, dass Deutschland vor einer neuen Flüchtlingskrise wie im Jahr 2015 stehen könnte. Deren „Vergleich mit 2015“ sei „an den Haaren herbeigezogen und bösartige Propaganda“.

Partei „Die Linke“ keine Option

Eine Öffnung in Richtung Linke kommt für Kretschmer übrigens ebenfalls nicht infrage: „Es gibt keine Schnittmengen zu dieser Partei. Die CDU ist bürgerlich konservativ und steht zur Sozialen Marktwirtschaft und für die individuelle Freiheit. Ich habe null Komma null Verständnis für diese Diskussion.“ Man dürfe die Linke aber nicht mit der AfD „in einen Topf werfen“.

Insgesamt sei er überzeugt, dass die Union wieder an Zustimmung gewinnen werde, sobald „Deutschland wieder über Inhalte diskutiert“. „Beim Bürgergeld oder dem Heizungsgesetz“ sei das bereits „gelungen“. „Die CDU hat hier mit Friedrich Merz schon viel erreicht“, erklärte Kretschmer.

Am 22. Juli hatte Kretschmer ein Foto von sich selbst getwittert, an dessen Rand zu lesen war, dass die CDU in Sachsen „einen anderen Politikstil“ verfolge: „Wir wollen die Menschen nicht belehren, sondern aufnehmen, was sie denken.“

Aktuelle Umfragewerte

Nach einer Umfrage des Instituts Wahlkreisprognose lag die sächsische CDU am 12. Juni 2023, ein gutes Jahr vor der nächsten Landtagswahl, mit 2,5 Prozentpunkten Abstand hinter der AfD. Die Alternative für Deutschland lag laut dawum.de bei 32,5 Prozent der Wählerstimmen.

Am 8. Oktober 2023 finden aber zunächst Wahlen in Bayern und Hessen statt. Gemessen am Durchschnitt der jüngsten drei Befragungen mit Stand 14. Juli liegt in Bayern die CSU um Markus Söder mit 38,8 Prozent klar vorn. Die Grünen wären mit 15,7 Prozent zweitstärkste Kraft. Die AfD überholte den CSU-Koalitionspartner „Freie Wähler“ (11,6 Prozent) und läge bei 13,0 Prozent.

In Hessen trennen die CDU und die AfD bei der Sonntagsfrage mit Stand 23. Juli 2023 noch 5,5 Prozentpunkte: Die CDU führt nach einer Umfrage des Instituts Wahlkreisprognose mit 25,5 Prozent der Wählerstimmen auf Rang eins, die AfD liegt gleichauf mit der SPD (je 20,0 Prozent) dahinter. Grün landet bei 16,0 Prozent.

Würde am kommenden Sonntag im gesamten Bundesgebiet gewählt, wäre die AfD mit 20,4 Prozent ebenfalls zweitstärkste Kraft hinter der Union (26,8 Prozent), jeweils erhoben am Durchschnitt der jüngsten sieben Studien. Für SPD (18,0 Prozent), Grüne (14,4 Prozent) und FDP (6,8 Prozent) würde es nicht mehr zur Bildung einer neuen Ampelkoalition (39,2 Prozent) reichen.

Nach einer INSA-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ lag die AfD bundesweit zuletzt sogar bei 22,0 Prozent. Damit wäre sie im Vergleich mit allen einzelnen Parteien, also unter getrenntem Ausweis von CDU und CSU, deutschlandweit die stärkste Partei.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion