Konstituierende Sitzung geplatzt: Verfassungsgericht soll Rechtsfragen klären

Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags ist nach heftigen Debatten praktisch ergebnislos vertagt worden. Stundenlang konnten sich die Abgeordneten und der Alterspräsident nicht über den korrekten Sitzungsablauf einigen. Nun soll das Verfassungsgericht für Rechtsklarheit sorgen.
Jürgen Treutler (AfD) leitet als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtags.
Jürgen Treutler (AfD) leitet als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtags.Foto: Martin Schutt/dpa
Von 26. September 2024

Die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags hat einen Eklat ausgelöst: Die erste Zusammenkunft der Abgeordneten am Donnerstag, 26. September 2024, wurde nach gut vier Stunden heftiger Debatten praktisch ohne jedes Ergebnis auf den kommenden Samstagmorgen, 9:30 Uhr vertagt.

Der Sitzungsleiter, Alterspräsident Jürgen Treutler (73, AfD), folgte damit einem Antrag des parlamentarischen Geschäftsführers der CDU, Andreas Bühl. Der sah nach den diametral unterschiedlichen Rechtsauffassungen zum Sitzungsablauf zwischen dem Alterspräsidenten und Abgeordneten von CDU, BSW, Linken und SPD keinen anderen Weg, als den Dissens höchstrichterlich klären zu lassen.

Der Alterspräsident, so Bühl, habe im Verlauf der Sitzung unter anderem die Landesverfassung Thüringens an mehreren Stellen gebrochen und die Rechte des Parlaments missachtet, obwohl der Landtagsdirektor den Alterspräsidenten auf die Rechtswidrigkeit seines Tuns hingewiesen habe:

Unter all diesen Voraussetzungen werden wir zum letzten Mittel greifen und den Thüringer Verfassungsgerichtshof anrufen, um den Sachverhalt zu klären.“

Treutler stimmte dem zu: Rechtssicherheit herzustellen, sei auch in seinem Sinne. Er hatte das Amt des sitzungsleitenden Vorsitzenden regelkonform als jahrgangsältester Abgeordneter übernommen.

Treutler ließ keine einzige Abstimmung zu

Anders als ursprünglich erwartet, kam es durch den Abbruch der Sitzung nicht zur Wahl eines Landtagspräsidenten, der zur regulären Leitung von Landtagssitzungen zwingend gebraucht wird. Noch nicht einmal Schriftführer wurden ernannt, geschweige denn erste Ausschüsse einberufen. Im Gegenteil hatte Treutler nicht einmal die Beschlussfähigkeit des Landtags feststellen lassen.

Doch von Anfang an. Schon als Alterspräsident Treutler kurz nach 12:00 Uhr die fünf Fraktionsvorsitzenden und ihre Parlamentarischen Geschäftsführer begrüßt hatte, war Bühl dem Sitzungsleiter ins Wort gefallen.

Andreas Bühl, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, unterbrach den Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD) immer wieder. Foto: Screenshot/mdr

Andreas Bühl, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, unterbrach den Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD) immer wieder. Foto: Screenshot/mdr

Bühl verlangte, dass der Alterspräsident die Beschlussfähigkeit des Plenums noch vor seiner Begrüßungsrede feststellen lassen sollte. Vermutlich sollte damit einer schnellen Abstimmung der Weg geebnet werden, um die Geschäftsordnung (GO) des Landtags noch vor der Wahl eines neuen Landtagspräsidenten ändern zu lassen.

Genau das nämlich hatten die Fraktionen von CDU und BSW bereits im Vorfeld angekündigt: Mit Unterstützung von SPD und Linken wollten sie nicht nur der stärksten Fraktion – der AfD –, sondern sämtlichen Fraktionen schon im ersten Wahlgang das Vorschlagsrecht für einen Landtagspräsidenten einräumen lassen. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine Änderung der geltenden GO (PDF).

Für die AfD sollte Wiebke Muhsal kandidieren, die CDU wollte Thadäus König ins Rennen schicken. Im Vorfeld war erwartet worden, dass es erst beim Antrag auf eine GO-Änderung zum Prozedere der Präsidentenwahl zum Streit kommen würde. Doch das war bereits beim Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit der Fall.

Als Treutler Bühls entsprechenden Antrag ignorierte, bestand der Christdemokrat auf einer sofortigen Abstimmung aller 88 Abgeordneten. Die ersten vier Minuten Sitzungsunterbrechung endeten mit einem Kompromiss: Treutler würde ohne Abstimmung zunächst seine Rede halten dürfen, danach sollte es sofort zur Feststellung der Beschlussfähigkeit gehen.

Doch kaum schien sich Treutlers Ansprache über den „Geist der parlamentarischen Demokratie“ ihrem Ende zuzuneigen, hob Bühl erneut seine Arme in die Höhe und verlangte wieder die sofortige Beschlussfeststellung. Der Alterspräsident unterbrach die Sitzung erneut.

Dieses Mal eine geschlagene Stunde lang.

Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD, links) und Torben Braga, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, beim Disput über die Rechte und Pflichten des Sitzungsleiters. Foto: Screenshot/mdr

Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD, links) und Torben Braga, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, beim Disput über die Rechte und Pflichten des Sitzungsleiters. Foto: Screenshot/mdr

Unterbrechungen Nummer drei und vier folgten auf dem Fuß

Der beratende Landtagsdirektor Jörg Hopfe hatte sichtlich Mühe, den folgenden Streit am Präsidentenpult abseits der Mikrofone zu schlichten. Und das offensichtlich ohne Erfolg: Als Treutler sich endlich setzte und die Fortsetzung seiner Rede nebst anschließender Unterbrechung ankündigte, hielt Bühl sofort wieder dagegen: Der Alterspräsident verletze die parlamentarischen Rechte der Abgeordneten, wenn er den Antrag auf Beschlussfassung nicht unverzüglich aufrufen würde.

„Ich unterbreche die Sitzung für 30 Minuten“, konterte Treutler, ohne näher auf die Vorwürfe einzugehen.

Wieder am Pult, erklärte der Alterspräsident seine Rechtsauffassung: Laut Paragraf 1 (3) GO habe er zunächst die beiden vorläufigen Schriftführer zu ernennen, dann die Namen der Abgeordneten aufrufen zu lassen. Man sei damit erst bei Punkt 1 der Tagesordnung angelangt, nicht schon bei TOP3: „Davon kann nicht abgewichen werden.“ Er sei verpflichtet, „die geltenden Rechtsnormen strikt zu achten“, betonte der älteste AfD-Abgeordnete. Nach dem thüringischen GO-Gesetz vom 19. Juli 1994 gelte die bisherige Geschäftsordnung so lange, bis ein neuer Landtag über eine Änderung derselben verhandeln könne.

Bevor dies aber geschehen dürfe, müsse zunächst ein neuer Landtag konstituiert sein, erklärte Treutler. Dazu sei die Wahl eines Landtagspräsidenten zwingend vorgeschrieben. Den Hinweis auf eine mutmaßliche „Rechtswidrigkeit“ durch den daneben stehenden Landtagsdirektor Hopfe wischte er beiseite: „Bitte unterbrechen Sie mich nicht.“

Bühl: „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung!“

Als Bühl während Treutlers Ausführungen erneut die Beschlussfähigkeit feststellen lassen wollte, entspann sich erneut ein Dialog der beiden Hauptkontrahenten. In dessen Folge ermahnte Treutler Bühl zunächst zur Ruhe. Als Bühl nicht abließ, erteilte ihm der Sitzungsvorsitzende zwei Ordnungsrufe, die der Christdemokrat mit den Worten „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung!“ quittierte.

Nun meldete sich Janine Merz, die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, mit eigenen GO-Anträgen zu Wort, doch der AfD-Alterspräsident ließ sich auch darauf nicht ein. Tilo Kummer, der parlamentarische Geschäftsführer des BSW, schlug eine vierte Unterbrechung vor – ein Antrag, dem Treutler sogleich folgte.

Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag bei der konstituierenden Sitzung am 26. September 2024. Foto: Screenshot/mdr

Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag bei der konstituierenden Sitzung am 26. September 2024. Foto: Screenshot/mdr

Helle Aufregung im Parlamentssaal

Nachdem Treutler unter diversen Zwischenrufen seine Rede über die Gültigkeit der Tagesordnung, über seine Rechte und Pflichten und über die seiner Meinung nach einschlägigen Kommentare zum Prozedere kurz nach 15:00 Uhr endlich beendet hatte und nach seinem Gusto fortfahren wollte, entbrannte im Saal ein mehrstimmiger Streit um die grundsätzlichen Befugnisse des Landtagspräsidenten.

Alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD pochten zudem weiter darauf, die Beschlussfähigkeit feststellen zu lassen. Immer wieder erschallten Zwischenrufe, die dem Alterspräsidenten nicht zugestehen wollten, die Sitzung nach seiner Rechtsauffassung zu leiten. Er sei als Alterspräsident nicht dazu legitimiert, die Rechtslage auszulegen, sondern verpflichtet, Anträge der Fraktionen unverzüglich aufzurufen. Außerdem besitze das Parlament mit seiner ersten Zusammenkunft ein Selbstorganisationsrecht.

Keine Einigung über den Ablauf zu erzielen

Das Hauptgegenargument Treutlers: Dem Alterspräsidenten obliege es nicht, Debatten zur Geschäftsordnung zu leiten, dies dürfe nur der gewählte Landtagspräsident. Er selbst habe lediglich die Pflicht, den Landtag „so schnell wie möglich handlungsfähig“ zu machen, also zunächst den Präsidenten wählen zu lassen.

Der Aufforderung mehrerer Abgeordneter aus den Reihen der Fraktionen BSW, Linke, SPD und CDU, den Platz für den zweitältesten Parlamentarier freizumachen, folgte Treutler nicht. Stattdessen unterbrach er die Sitzung erneut, um sich schon wieder mit den fünf Parlamentarischen Geschäftsführern zu beraten.

Ratlosigkeit am Pult des Alterspräsidenten: Wie sollte mit dem Antrag der CDU umgegangen werden, sofort die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen, noch bevor ein Landtagspräsident gewählt sein würde? Foto: Screenshot/mdr

Ratlosigkeit am Pult des Alterspräsidenten: Wie sollte mit dem Antrag der CDU umgegangen werden, sofort die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen, noch bevor ein Landtagspräsident gewählt sein würde? Foto: Screenshot/mdr

Gegen 15:45 Uhr waren die Fraktionen mit Treutlers Vorschlag einverstanden, dass jeder Geschäftsführer nun seine Rechtsauffassung in Ruhe darlegen sollte.

Katja Mitteldorf (Linke), Janine Merz (SPD), Tilo Kummer (BSW) und Andreas Bühl (CDU) argumentierten abermals mit dem ihrer Meinung nach unzureichenden Rechtsverständnis des AfD-Alterspräsidenten, mit dem Selbstorganisationsrecht der Abgeordneten, mit ihrem Recht, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben, und mit verfassungsrechtlichen Bestimmungen.

Zudem erhoben sie schwere Vorwürfe gegen Treutler: Dieser habe dem Landtag schon jetzt „großen Schaden zugefügt“ und seine „Rolle als Alterspräsident deutlich überhöht“, wie Bühl anmerkte. Lediglich Torben Braga von der AfD unterstützte die Sichtweise seines Parteikollegen.

Nach einem letzten kurzen Meinungsaustausch mit den Parlamentarischen Geschäftsführern ließ Treutler schließlich Bühl ans Rednerpult, der daraufhin ankündigte, den Verfassungsgerichtshof anrufen zu wollen. Der hat bis Samstag früh Zeit, Klarheit über einen regelgerechten Ablauf herzustellen.

Sitzverteilung nach den Landtagswahlen 2024 in Thüringen. Foto: ts/Epoch Times



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