Kindergrundsicherung liegt bis auf Weiteres auf Eis

Die Kindergrundsicherung bleibt weiter ein potenzieller Spaltpilz der Ampelkoalition. Während Sozialverbände und die Grünen Druck machen, sehen SPD und FDP das Prestigeprojekt von Familienministerin Paus noch lange nicht beschlussreif. Mit einem Start zum 1. Januar ist nicht zu rechnen.
Lehrkräfte berichten von einem sichtbaren Anstieg der Kinderarmut und von Ängsten und Sorgen, die sie bei ihren Schülerinnen und Schülern beobachten.
Das Symbolbild zeigt ein Kind beim Spielen mit Bargeld.Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Von 3. Juli 2024

Das Gesetzesvorhaben „Kindergrundsicherung“ erscheint unter den Streitfragen innerhalb der drei Regierungsparteien als besonders dicker Gordischer Knoten: Seit über einem halben Jahr ist keine Einigung für das Prestigeprojekt der grünen Familienministerin Lisa Paus absehbar.

Dabei wird es höchstwahrscheinlich über die Sommerpause hinweg auch bleiben. Denn im Bundestag wird der Gesetzentwurf zum Bundeskindergrundsicherungsgesetz (BKG, PDF) laut Tagesordnungsplan in der laufenden Woche nicht mehr debattiert werden. Nach dem Sitzungskalender des Bundestags (PDF) finden zwischen dem 6. Juli und dem 8. September 2024 keine Sitzungen statt. Das Plenum wird erst am 27. September wieder zusammenkommen. Dann ist noch rund ein Jahr Zeit bis zur Bundestagswahl.

Zuletzt hatte sich das Parlament am 9. November 2023 in erster Lesung mit dem Entwurf befasst, bevor eine Expertenanhörung im Familienausschuss vier Tage später stattfand. Den vorläufigen Schlusspunkt setzte eine Bundesratssitzung am 24. November 2023 (Video) mit anschließender Stellungnahme. Seitdem liegt das Kindergrundsicherungsgesetz ebenso wie das Paus’sche Demokratiefördergesetz auf Eis.

Bündnis Kindergrundsicherung fordert schnelles Handeln für einen „Systemwechsel“

Genau das missfällt dem Bündnis Kindergrundsicherung (BKGS), einem Zusammenschluss von 20 Interessenverbänden und 13 Wissenschaftlern unter dem Dach des Kinderschutzbund-Bundesverbandes. „Die Regierung muss jetzt handeln und endlich eine gute Kindergrundsicherung verabschieden“, forderte etwa Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VdK, in einer aktuellen BKGS-Pressemitteilung (PDF). Und weiter:

Während in der Politik die Sommerpause eingeläutet wird und die Mitglieder der Regierung und des Parlaments in den Urlaub gehen, fällt der Urlaub für arme Kinder dieses Jahr mal wieder ins Wasser. Armen Familien fehlt es an Geld für Urlaubsreisen, für Besuche im Freibad oder für eine Kugel Eis.“

Prof. Dr. Sabine Andresen, die Präsidentin des Kinderschutzbundes und BKGS-Koordinatorin, bezeichnete das bestehende System an gleicher Stelle als einen „undurchsichtigen Dschungel“, der viele Anspruchsberechtigte davon abhalte, ihr Anrecht auf finanzielle Unterstützung durchzusetzen: „Dieser Zustand zementiert soziale Ungleichheit und darf so nicht bleiben. Wir brauchen einen echten Systemwechsel im Familienleistungsausgleich“, so Andresen.

Abgeordnete von SPD und FDP kritisieren Vorarbeit aus Paus-Ministerium

Doch aus den Reihen der SPD-Fraktion im Bundestag erklangen zuletzt wenig hoffnungsvolle Töne. Der SPD-Vizefraktionsvorsitzende Sönke Rix erklärte vor gut zwei Wochen gegenüber der „Rheinischen Post“, es sei inzwischen klar, „dass der aktuelle Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden Fassung nicht tragfähig“ sei. Deshalb gebe es bereits eigene Verhandlungsrunden unter den Parlamentariern der Ampelparteien. Deren Ziel seien „alternative Lösungsvorschläge“.

Dabei werde man „aufgrund der Komplexität des Vorhabens und der zahlreichen Fallstricke“ aber nicht drumherum kommen, „die Kindergrundsicherung in mehreren Schritten einzuführen“, so Rix. Genau das hatte auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) vor dem Familienausschuss des Bundestags gefordert – und zwar frühestens ab dem 1. Juli 2025. Dann nämlich erst sei man in der BA mit neu geschultem Personal frühestens einsatzbereit (PDF, Seite 19f).

Die FDP-Vizefraktionschefin Gyde Jensen bemängelte insbesondere die Vorarbeit von Ministerin Paus: Die Ministerin sei „lediglich mit einer groben Idee in den politischen Prozess gestartet“. Die „Kompromissbereitschaft und notwendiger Realismus“ fehlten, so Jensen laut „Rheinischer Post“. Sie beklagte zudem die Dauer des Gesetzgebungsprozesses:

Erst haben wir über unrealistische Summen diskutiert, danach über unnötige Strukturen und erst langsam sprechen wir endlich über die Instrumente, die zur Überwindung von Kinderarmut beitragen könnten.“

Nach einem aktuellen X-Tweet des Berliner Bundestagsabgeordneten Christoph Meyer (FDP) sind „noch viele offene Punkte zu klären“. Es werde von „daher definitiv keine vorschnellen Entscheidungen“ geben.

Andreas Audretsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, stellte sich allerdings schützend vor seine Familienministerin: Das Thema sei „zu ernst für Politspielchen“. Immerhin sei Paus‘ Gesetzentwurf „bis aufs Komma“ mit dem Kanzler und dem Bundesfinanzminister abgestimmt worden.

Audretsch spielte den Ball gegenüber der „Rheinischen Post“ zurück zu den Kritikern: „Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen von SPD und FDP nun weniger die eigenen Leute in der Bundesregierung angreifen und sich mehr auf die Sacharbeit konzentrieren.“ Er gehe davon aus, dass alle Ampelparteien im Bundestag „zügig zu einem guten Ergebnis kommen“ wollten, ergänzte der Grünen-Politiker gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“. Einen Zeithorizont habe aber auch er nicht skizziert.

Rix: FDP blockiert Familienstartzeit

Weiteres Konfliktpotenzial in der Familienpolitik scheint es auch zwischen der SPD und der FDP im Bundestag zu geben – nämlich in Sachen „Familienstartzeit“. Das Gesetzvorhaben der Ampelregierung, mit dem Vätern nach der Geburt eines Kindes ein bezahlter zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub ermöglicht werden soll, wird nach den Worten von SPD-Fraktionsvize Rix schon seit über einem Jahr von Lindners Bundesfinanzministerium (BMF) blockiert.

Dabei habe die FDP bereits im Sommer 2022 versprochen, das Gesetz 2023 auf den Weg bringen zu wollen, so Rix nach Angaben der „Rheinischen Post“. Nun aber heiße es aus den Reihen der Liberalen, man könne „die Arbeitgeber nicht belasten“. Die Leidtragenden seien „Paare, die sich mit dem Gedanken tragen, Kinder zu bekommen“, kritisierte Rix.

Worum geht es bei der Kindergrundsicherung?

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hatte ihre Ideen für eine neue Kindergrundsicherung Ende August 2023 vorgestellt. Ab dem 1. Januar 2025 sollten damit „alle relevanten Leistungen für Kinder zu einer zentralen Unterstützung“ zusammengefasst werden, wie es auf der Website der Bundesregierung hieß. Für alle Belange solle künftig nur noch der Familienservice der Bundesagentur für Arbeit als Ansprechpartner dienen – mit einem unbürokratischen und digitalen Antragsverfahren, wie das Familienministerium immer wieder betont. Insgesamt gehe es um eine „wirksame und grundlegende Bekämpfung der strukturellen Kinderarmut“ für bis zu 5,6 Millionen Betroffene, so Paus bei der Präsentation.

Hatte Finanzminister Lindner damals noch wohlwollend von einem „zentralen Reformvorhaben in der Sozialpolitik“ gesprochen, schob er im April 2024 neuen Detailplänen Paus‘ einen Riegel vor: Eine eigene neue Behörde mit 5.000 Mitarbeitern einzurichten, die die Auszahlungen als „Bringschuld“ des Staates betrachten sollten, bezeichnete Lindner als „verstörend“. Mit Franziska Vollmer rückte eine Spitzenbeamtin aus dem Familienministerium sogar vollständig von der Grundidee einer Kindergrundsicherung ab. Lindner verlangte schließlich von Paus, ihren Gesetzentwurf zu überarbeiten – eine Forderung, die bei der Ministerin sogleich auf Ablehnung stieß.

Neuer Streit um Finanzkriminalitätsgesetz

Und die Grabenkämpfe zwischen Grünen und FDP gehen weiter. Zur Empörung der FDP verhinderten die Grünen jüngst die Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Finanzkriminalität. Die grüne Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann wies allerdings den Vorwurf zurück, dies habe etwas mit der Kindergrundsicherung zu tun.

Paus und Lindner waren bereits im Sommer 2023 aneinander geraten, als der Finanzminister der Familienministerin nur 2,4 Milliarden Euro statt der geforderten 12 Milliarden Euro für ihr Kindergrundsicherungsprojekt gewähren wollte. Die Grüne revanchierte sich, indem sie im Kabinett postwendend ihr Veto gegen das von der FDP forcierte Wachstumschancengesetz einlegte.

Das Wachstumschancengesetz war schließlich am 22. März in einer Kompromissfassung doch noch vom Bundesrat abgesegnet und am 27. März 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet worden.



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