Junge Leute strafen Grün ab: Union und AfD beliebteste Parteien
„Wer als 20-Jähriger kein Linker ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Linker ist, hat keinen Verstand.“ Das bekannte Zitat ungeklärten Ursprungs scheint für die junge deutsche Wählerschaft nicht mehr unbedingt zu gelten: In der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen war bei der EU-Parlamentswahl am 9. Juni 2024 ein klarer Umschwung in Richtung rechtskonservativer Parteien zu verzeichnen.
Bei jungen Leuten, die kurz vor dem Berufsleben stehen, eine Lehre machen, studieren oder arbeiten, sind nun die beiden Unionsparteien CDU und CSU offenbar am beliebtesten, knapp gefolgt von der AfD. Das geht aus einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag der „Tagesschau“ hervor.
Am Sonntag hatten demnach 17 Prozent der U25-Wähler einer Unionspartei ihre Stimme zur EU-Wahl gegeben. Das bedeutet ein Plus von fünf Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2019, bei der allerdings erst ab einem Alter von 18 Jahren mit abgestimmt werden durfte.
Größter Sprung nach vorn für AfD, Grüne stürzen ab
Den größten Zuwachs erzielte allerdings die Alternative für Deutschland (AfD): Elf Prozentpunkte mehr als 2019 ergaben nun rund 16 Prozent für das Team um Spitzenkandidat Max Krah. Das bedeutet Platz zwei unter den beliebtesten Parteien der 16- bis 24-Jährigen und entspricht ziemlich genau dem Wert der Wähler aller Altersstufen. Die Forschungsgruppe Wahlen maß im Auftrag des ZDF sogar jeweils 17 Prozent für AfD und Union bei der U25-Gruppe.
Hatten die Grünen in der Wählergunst der 18- bis 24-Jährigen vor fünf Jahren, also zur Hochzeit der „Fridays for Future“-Bewegung, laut Infratest dimap noch mit 34 Prozent unangefochten an der Spitze gestanden, stürzte die Liste um Top-Kandidatin Terry Reintke um 23 Prozentpunkte auf nur noch elf Zähler ab. Das bedeutet einen Zweidrittelverlust. Denselben Wert stellte die Forschungsgruppe Wahlen fest.
Man wolle das Ergebnis zwar nun „in aller Ruhe analysieren“, heißt es auf der Website der Grünen – von einem grundsätzlichen Umdenken aber ist wohl kaum auszugehen. Vielmehr wolle man in Brüssel „mitregieren und unseren Teil zur Absicherung einer stabilen Mehrheit der demokratischen Mitte beitragen“. Spitzenkandidatin Reintke gab sich bereits kampflustig:
Dass die AfD die zweitstärkste Kraft bei einer Europawahl wird, ist eine demokratische Katastrophe. Die Rechtsextremen bekommen von uns nur eines: unseren Widerstand.”
Die Jugendorganisation der Grünen hatte im Wahlkampf unter anderem auf eine „Dönerpreisbremse“, höhere Löhne, niedrigere Mieten und den Klimaschutz gesetzt. Außerdem wollte man „Nazis blockieren, wo immer sie appearen“. Die Gesamtpartei setzte sich laut „Tagesschau“ ebenfalls für den Kampf gegen „die Klimakrise als ‚die zentrale globale Herausforderung unserer Zeit‘“ ein und warb speziell in Sachen Dekarbonisierung und „erneuerbarer Energie“ für noch mehr Kooperation unter den EU-Staaten.
SPD und BSW legen leicht zu, Linke und FDP verlieren leicht
Die Kanzlerpartei SPD spielt bei der jüngsten Wählerzielgruppe eine noch geringere Rolle als die Grünen: Trotz eines Prozentpunkts mehr als 2019 reichte es bei beiden Umfrageinstituten noch immer nicht für ein zweistelliges Ergebnis (9 Prozent). Die Linke (minus zwei Punkte) und das erstmals angetretene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) liegen mit jeweils 6 Prozent bei Infratest dimap gleichauf. Bei der Forschungsgruppe Wahlen lag Die Linke mit 7 Prozent leicht vor dem BSW.
Die Liberalen von der FDP erreichten trotz leichter Verluste von etwa einem Prozentpunkt noch immer 6 (FG Wahlen) beziehungsweise 7 (Infratest) Prozent.
Mehr als ein Viertel wählte „Sonstige“ – Volt so stark wie die SPD
Ein mit 28 Prozent nicht unerheblicher Teil der jüngsten Wählergruppe entschied sich laut Infratest dimap für keine der bereits genannten Parteien, sondern machte sein Kreuz ganz woanders. Immerhin drei Prozentpunkte mehr als 2019 entschieden sich für diesen Weg.
Die Forschungsgruppe Wahlen maß als stärkste Kraft der Sonstigen unter den Jungen die VOLT-Partei mit einem Zuspruch von 9 Prozent, die damit auf Augenhöhe mit der SPD liegt. 4 Prozent gab’s für das Satireprojekt DIE PARTEI, Drei von Hundert entschieden sich für die Tierschutzpartei. Die „Letzte Generation“ holte nach Angaben der Bundeswahlleiterin insgesamt 0,3 Prozent der jungen Stimmen.
Unterm Strich: 46- zu 40-Sieg für das linke Spektrum
Definiert man das rechtskonservative Spektrum mit der Union, der AfD und der FDP, so hatten sich für eine dieser Parteien am Wahlsonntag etwa 40 Prozent der Wähler im Alter zwischen 16 und 24 Jahren entschieden. Die WerteUnion war zur EU-Wahl nicht angetreten.
Das linksprogressive Spektrum aus Grünen, SPD, Linken, BSW, VOLT und DIE PARTEI erreichte laut Forschungsgruppe Wahlen allerdings sechs Prozentpunkte mehr.
2019 war der Abstand von Links und Rechts unter den U25-Wählern noch weit größer: Grüne, SPD und Linke holten damals zusammen 50 Prozent; Union, FDP und AfD nur die Hälfte davon.
1,4 Millionen 16- und 17-Jährige erstmals an der Urne
Nach Angaben der „Tagesschau“ waren rund 1,4 Millionen junge Leute im Alter von 16 oder 17 Jahren erstmals zur EU-Wahl aufgerufen gewesen. Potenzielle Erstwähler hatte es nach Angaben der Bundeswahlleiterin 5,1 Millionen gegeben. Der Anteil der jungen Wähler an der Gesamtheit der Wahlberechtigten von 60,9 Millionen war dementsprechend gering. Älter als 64 Jahre waren dagegen 28,7 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland.
Die Wahlberechtigung ab 16 Jahren war für die EU-Wahl von der aktuellen Bundesregierung im November 2022 beschlossen worden, nachdem das EU-Parlament laut „Tagesschau“ eine entsprechende Entschließung verabschiedet hatte.
Auch bei Kommunal- oder Landtagswahlen gilt in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern schon jetzt eine Altersgrenze von 16 Jahren. In Hamburg darf der Senat schon mit 16 gewählt werden, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind Kommunalwahlen ab diesem Alter erlaubt.
Das EU-Wahlergebnis könnte der Debatte um ein generelles Wahlrecht ab 16 auch für den Bundestag frischen Wind verleihen. Dafür wäre nach Angaben des Deutschlandfunks (DLF) allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich, denn Artikel 38 (2) schreibt bislang die Vollendung des 18. Lebensjahres als Bedingung vor. Grüne, SPD, Linke und die FDP wären laut DLF für die Absenkung, CDU und AfD seien mehrheitlich dagegen.
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