Ist Deutschland anfällig für „autokratische Narrative“? FDP schlägt neue Maßnahme vor

Die FDP-Bundestagsfraktion will russischer Desinformation mit einem neuen Zentrum für „psychologische Verteidigung“ begegnen. Denn die Deutschen sind ihrer Meinung nach „besonders anfällig für autokratische Narrative“ und nehmen den Ukraine-Krieg nicht ernst genug.
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Demonstration am Brandenburger Tor zum zweiten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine. Berlin, 24. Februar 2024.Foto: STEFAN FRANK/Middle East Images/AFP via Getty Images
Von 29. Mai 2024

Während die FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sich wiederholt für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine starkmacht, setzt die FDP-Fraktion im Bundestag offenbar auch auf andere Mittel im Kampf gegen Russland.

Medienberichten zufolge wollen die beiden stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Konstantin Kuhle und Michael Georg Link einen „Hub für psychologische Verteidigung“ per Gesetz auf die Beine stellen lassen.

Der Begriff „Hub“ geht auf das englische Wort für Radnabe zurück und bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie Zentrum.

Hat Russland bisher leichtes Spiel mit den Deutschen?

Kuhle und Link sind nach Informationen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) davon überzeugt, dass die Deutschen „besonders anfällig für autokratische Narrative“ seien. Kuhle sagte im Gespräch mit dem RND:

Auch über zwei Jahre nach der Eskalation des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben weite Teile der deutschen Gesellschaft nicht verinnerlicht, wie stark die Auswirkungen dieses Krieges auf die deutsche Gesellschaft sind.“

Moskau nutze das aus, „um unsere Gesellschaft mürbe zu machen und der Unterstützung für die Ukraine den Boden zu entziehen“, so der Innen- und Rechtspolitiker weiter. Russland bediene sich zu diesem Zweck mehrerer Mittel, wie Angriffe gegen kritische Infrastrukturen, finanzielle und politische Kooperationen mit Parteien wie der AfD und „gezielter Desinformation“. Kuhle sprach von einer „Einflussoperation gegen Deutschland“.

Ähnlich argumentiert der Verteidigungs- und Außenpolitiker Link gegenüber dem RND: „Gerade das Superwahljahr 2024 führt uns sehr deutlich die Anfälligkeit liberaler Demokratien für Desinformationskampagnen vor Augen“, so Link.

Man müsse „den internationalen Austausch mit unseren Partnern suchen, um schnell und effektiv gegen diese hybriden Angriffe auf unsere freie Gesellschaft zu reagieren“. Er empfahl, die Länder in Skandinavien, dem Baltikum und Mitteleuropa als Vorbild zu nehmen. Denn „Strategien, Narrative und Kontaktpunkte der Angreifer“ würden sich über Ländergrenzen hinweg ähneln, gab Link zu bedenken.

Hub soll unabhängig sein

Der Hub dient vorwiegend dazu, die Anstrengungen Deutschlands zur Abwehr von Desinformationskampagnen und hybriden Angriffen aus dem Ausland zu konzentrieren. Der Hub könne nach den Vorstellungen von Kuhle und Link zudem helfen, blinde Flecken bei der Einflussnahme aufzudecken, schreibt das RND unter Verweis auf das bisher nicht veröffentlichte Positionspapier von Kuhle und Link, das dem Netzwerk vorliege.

Der Hub für psychologische Verteidigung solle zudem dafür zuständig sein, ein nationales Warn- und Informationssystem aufzubauen, das sich um hybride und asymmetrische Angriffe kümmern soll.

Aus dem Positionspapier geht zudem hervor, dass das neu zu schaffende Zentrum „sich durch eine möglichst große organisatorische Unabhängigkeit auszeichnen, nicht im Weisungsstrang eines Ministeriums stehen und auf gesetzlicher Grundlage existieren“ solle.

Mittel der „kognitiven Kriegsführung“

Der Journalist und Blogger Norbert Häring vermutet andere Motive hinter den Vorschlägen. Seiner Ansicht nach ginge es weniger um den Schutz vor russischen Einflüssen, sondern vielmehr um die Stärkung der Kriegsmoral der Bevölkerung.

Dazu bediene sich die FDP selbst dem Prinzip der kognitiven Kriegsführung, wie es in der NATO-Broschüre „Cognitive Warfare“ (PDF) aus dem Jahr 2023 beschrieben werde. Der Leitsatz aus der Feder des früheren amerikanischen Militärkommandanten Robert H. Scales gleich zu Beginn macht deutlich, worum es geht:

Der Sieg wird eher durch die Eroberung der psychokulturellen als durch die geografische Überlegenheit definiert. Verständnis und Empathie werden wichtige Kriegswaffen sein.“

Der Autor der Broschüre, der niederländische Marinekommandeur und Kommunikationsexperte Cornelis van der Klaauw vom NATO Joint Warfare Centre, knüpft daran an. Er bezeichnet das Konzept der kognitiven Kriegsführung als „Teil des Kriegskunst-Imperativs der kognitiven Überlegenheit“. Und weiter:

Kriegsführung ist kein rein militärisches Konzept mehr; sie ist viel umfassender und komplexer geworden. In Zukunft wird es in der Kriegsführung nur noch eine Regel geben: Es gibt keine Regeln. Während in anderen Bereichen taktische und operative Siege möglich sind, ist der menschliche Bereich der einzige Bereich, in dem wir einen vollständigen Sieg erringen können.“

Nach Ansicht von Häring ginge es darum, die Einstellung der Menschen so zu verändern, dass ihnen nicht die Hintergründe zu Konflikten bewusst werden. Stattdessen solle ein angsteinflößendes Feindbild aufgebaut werden: Der gemeinsame Gegner könne dann möglichst für vieles verantwortlich gemacht werden, was einer Gesellschaft falsch laufe. Sobald sich Regierungskritiker zu Wort meldeten, könne man diese dann als „Einflussagenten“ des Feindes verunglimpfen und zensieren.

Allerdings bildeten nicht Putins Desinformationskampagnen, sondern Konflikte innerhalb der deutschen und US-Gesellschaften selbst den Hintergrund für die schwindende Unterstützungsbereitschaft, meint Häring. Das geht nach seiner Einschätzung schon aus dem Abschlusspapier (PDF) eines internationalen Militärsymposiums des George C. Marshall European Center for Security Studies hervor, das am 14. März 2024 im Bundesverteidigungsministerium stattfand. Darin werden der „Faktor Zeit und Kriegsmüdigkeit“ als die größte Gefahr für die Solidarität mit der Ukraine identifiziert.

Weitere Ursachen für die gedämpfte Begeisterung lägen laut Bericht im – angeblich seit Donald Trump – beschädigten „Image der USA als Leuchtturm der Demokratie“, in der Schlappe der NATO in Afghanistan und in den gesellschaftlichen Spannungen zwischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ in Deutschland. Zu Letzteren zählen die Militärs offenbar vorwiegend die, „die sich ausgeschlossen und nicht vertreten fühlen“.

„Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“

Der Amerikanist, Propagandaforscher und Sachbuchautor Dr. Jonas Tögel hatte im Sommer 2023 mit „Kognitive Kriegsführung“ ein Buch über die neuesten „Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“ vorgelegt. In einem Interview mit dem SWR vom August des vergangenen Jahres argumentierte er, dass Menschen erst manipuliert werden müssten, um sie dazu zu bringen, andere Menschen zu töten. Anders als noch im Ersten oder Zweiten Weltkrieg finde der „Gedankenkrieg“ heute allerdings oft unbemerkt statt – nämlich mit „Soft-Power-Techniken“ zur Manipulation unterhalb der Bewusstseinsschwelle.

Der Autor und Regierungskritiker Bastian Barucker kommentierte einen Artikel von ntv zu den aktuellen Hub-Plänen der beiden FDP-Fraktionsvize auf seinem X-Kanal ähnlich kritisch wie Häring:

Ich formulierte mal um: Nur wer mittels kognitiver Kriegsführung und Angsterzeugung bewusst in Angst versetzt wurde, ist wirksam regierbar und wird weiteren Rüstungsausgaben und Bestrebungen zur Kriegstüchtigkeit auch gegen den gesunden Menschenverstand zustimmen.“



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