INSA-Chef Binkert: „Die Union konnte nicht vom Niedergang der Grünen profitieren“
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts INSA zeigt sich im Gespräch mit Epoch Times wenig überrascht vom Ergebnis der Europawahl. Und er hat auch eine Erklärung für den Verlust der Grünen. Den Erfolg der CDU schätzt Hermann Binkert indes geringer ein als die Partei selbst.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Prognosen?
Unsere Vorwahlumfragen sind keine Prognosen, sondern spiegeln lediglich die Stimmung zum Zeitpunkt der Erhebung. Es ist uns aber wie gewohnt wieder gut gelungen, die Wirklichkeit zu spiegeln. Dieses Mal fällt es besonders auf, weil die Mitbewerber deutlicher davon abwichen. Man hatte einen Dreikampf um Platz zwei ausgerufen. In Wirklichkeit wurde es aber eine klare Geschichte: Nach der Union als der mit Abstand stärksten Kraft kam die AfD, zwei Punkte dahinter die SPD und vier Punkte dahinter dann die Grünen.
Was haben Sie als Analyst am Europawahlergebnis so nicht erwartet?
Wirklich überrascht war ich über das Ergebnis nicht. Sicherlich ist es erstaunlich, dass mit dem BSW eine Partei, die erst vor wenigen Monaten neu gegründet wurde, schon ein mehr als doppelt so gutes Ergebnis bekommt als Die Linke, aus der heraus sie gegründet wurde.
Die Partei VOLT hat ebenfalls einen Achtungserfolg erzielt, mit nunmehr drei Sitzen im EU-Parlament. Haben Sie damit gerechnet?
Man weiß grundsätzlich, dass die Freien Wähler, VOLT oder die Tierschutzpartei eine Chance haben, ein, zwei oder drei Mandate zu bekommen. Davon konnte man ausgehen. Da ist es ein klarer Vorteil, dass die Fünfprozenthürde bei der Europawahl in Deutschland nicht gilt.
Ist der „Kampf gegen rechts“ mit Blick auf die Europawahl gescheitert?
Die Strategie der Ausgrenzung der AfD ist meines Erachtens eher gescheitert, weil man sich damit um die Möglichkeit bringt, die Wähler, die man da zurückgewinnen will, argumentativ zu überzeugen.
Sind die Wähler tatsächlich nach rechts gerückt?
Die Wähler sind unzufrieden mit der Ampelkoalition. Und hier vor allen Dingen mit jener Partei, die nach Auffassung der großen Mehrheit die Regierungspolitik am meisten geprägt hat – das sind die Grünen.
Daraus erklärt sich dieser große Niedergang der Grünen. Und gleichzeitig ist es der Union nicht gelungen, davon entsprechend zu profitieren. Sie hat praktisch nur das Ergebnis von vor fünf Jahren gehalten, was damals für die Union schon ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis war. Vor zehn Jahren lag die Union noch bei Mitte dreißig Prozent und war schon damit nicht unbedingt zufrieden. Ich erinnere mich an Europawahlen, bei denen die Union jeden zweiten Wähler überzeugte.
Es gibt heute in der politischen Selbstverortung mehr Leute, die sagen, dass sie politisch rechts der Mitte stünden, als das noch vor drei Jahren der Fall war. Also insofern gibt es eine stärkere Verortung rechts der Mitte, als das noch vor drei Jahren der Fall war.
Der Absturz der Grünen folgte noch härter als prognostiziert. Allerdings liegen in westdeutschen Städten wie Braunschweig die Grünen teilweise immer noch bei annähernd 20 Prozent. Während die Grünen im Osten Deutschlands schon unter „Andere“ laufen. Spaltet sich das Land an den Grünen noch weiter?
Es gibt bei den Grünen tatsächlich einen großen Unterschied zwischen Ost und West. Und es gibt einen großen Unterschied zwischen städtischem und ländlichem Bereich. Die Grünen haben eine feste Klientel, welche sie auch mit ihrer Politik bedienen. Aber sie sind nicht mehr in einer Situation, wie das noch vor einigen Jahren war, wo die Grünen einfach die Guten waren und von sozialistisch gesinnten Leuten bis zu Wertkonservativen Zuspruch fanden.
Die etablierten Medien haben sich zuletzt mehr um das BSW bemüht und weniger um die Grünen. Das war schon einmal deutlich anders, als Annalena Baerbock 2021 von ihrer Partei sogar als Kanzlerkandidatin aufgestellt wurde. Haben die Grünen die Medien verloren?
Das müssten Sie mal mit Medienanalysten besprechen. Was die Grünen jedenfalls vor allem verloren haben, ist das bestimmende Thema. Sie profitieren, wenn das Thema „Klimaschutz“ ganz weit vorn steht. Aktuell sind für die Leute Themen wie „Migration“, „Frieden“, „Inflation“ aber viel brennender als der „Klimaschutz“ und insofern hat es jetzt auch thematisch nicht auf die Grünen eingespielt.
Kurz zum Thema Frieden: Die CDU scheint sich eher für einen Siegfrieden der Ukraine starkzumachen, wenn man maßgeblichen CDU-Vertretern wie Roderich Kiesewetter zuhört. Verbinden CDU-Wähler „mehr Waffen“ mit einer Chance auf Frieden?
Die CDU profitiert davon, dass man ihr nach wie vor eine Grundsolidität in der Außen- und Sicherheitspolitik zuspricht. Die Leute waren auch Anfang der 1980er-Jahre nicht zwingend für die Nachrüstung. Aber viele haben sich gesagt, die werden schon wissen, warum sie das machen, wenn sie sich so dafür einsetzen.
Man muss da immer aufpassen, die Leute haben eine Haltung, aber sie verlassen sich auch gern auf Parteien, denen sie bei bestimmten Themen eine Grundkompetenz zusprechen.
Untersuchungen deuten darauf hin, dass die AfD eine gefestigte Wählerschicht hat. Kann es sein, dass demgegenüber die 30 Prozent der CDU wackliger sind als die 16 Prozent der AfD?
Ich bin Meinungsforscher und kein Prophet. Ich glaube aber, dass die CDU – wenn jetzt im Herbst nach den Landtagswahlen die Entscheidung ansteht, wie regiert werden muss – beantworten muss, ob sie eher mit den Mitte-links-Parteien, also SPD und Grüne, möglicherweise auch mit der Linkspartei, Bündnisse eingeht. Oder ob sie eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD oder auch mit dem BSW mitgeht.
Ein spannender Punkt beim Bündnis Sahra Wagenknecht ist, dass es größtenteils eine Ausgründung aus der Partei Die Linke ist. Aber von der Wählerschaft her entscheiden sich auch viele bürgerliche Wähler für das BSW.
Man kann feststellen, dass 80 Prozent der Wähler der Linken sich links der Mitte verorten, beim BSW sind es aber nur 40 Prozent. Da merkt man den Unterschied zwischen BSW und Linkspartei. Was man übrigens auch schon bei den Abstimmungen im Bundestag gemerkt hat: Die Ampel plus Die Linke hat für das Selbstbestimmungsgesetz gestimmt; Union, AfD und BSW dagegen. Da merkt man, dass sich da etwas bei den Linken getrennt hat, was auch gesellschaftspolitisch nicht mehr zusammenpasst.
Die WerteUnion von Hans-Georg Maaßen war noch nicht bereit für die Europawahl. Wäre überhaupt eine Lücke da gewesen? Hätten sie teilnehmen sollen, oder war Dr. Maaßen gut damit beraten, hier noch nicht aktiv zu werden?
Wahrscheinlich war das richtig so. Ob man da ein Mandat bekommen hätte, weiß ich nicht. Ich denke, es ist eine Herausforderung, den Platz, den es zwischen Union und AfD gibt, so breitzumachen, dass man parlamentarisch existieren kann.
Haben sich die Etablierten mit der Wahlberechtigung ab 16 Jahren selbst ins Bein geschossen?
Dass die Jungwähler links wählen, ist mit Sicherheit nicht mehr der Fall. Sie haben die starken Ergebnisse bei der AfD gesehen. Man merkt auch, dass die Jüngeren praktisch nicht mehr grün affin sind, was früher fast selbstverständlich war. Wenn man nur aus wahltaktischen Gründen das Wahlalter heruntersetzt, dann kann das eine Grube sein, in die man hineinfällt.
Der französische Präsident lässt neu wählen. Ist das eine angemessene Reaktion?
Das war sicher ein mutiger politischer Schritt von Präsident Macron, dass er die Nationalversammlung auflöst und sagt, jetzt wählen wir neu. Dieses politische Verhalten scheint manchmal notwendig zu sein, wenn man aus einer Sackgasse heraus will.
Das hat in einer ähnlichen Situation übrigens schon einmal der spanische Regierungschef gemacht. Ich glaube, dass es Deutschland guttäte, wenn wir auch hier so einen Schwung nach vorn bekämen. Denn es ist ja zu befürchten, dass die eineinhalb Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl mit sehr viel Stillstand verbunden sein könnten.
In dem Zusammenhang: Sehen Sie in Zukunft eine Möglichkeit, dass die AfD integriert wird und partizipieren kann?
Die Europawahlergebnisse in den ostdeutschen Bundesländern haben deutlich gemacht, dass es durchaus realistisch ist, dass es der AfD in dem einen oder anderen Land gelingen könnte, ein Drittel der Mandate zu erringen. Wenn das der Fall ist, würde man die AfD benötigen für Verfassungsgerichtshöfe, für Rechnungshöfe und so weiter. Das heißt also, dann würde diese Ausgrenzung schon allein nicht mehr funktionieren, weil man sie einbinden müsste.
Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Alexander Wallasch.
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