Hessen will Städten und Gemeinden Asylbewerber ohne Bleibeperspektive nicht mehr zuteilen

Seit einem Tag ist das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ in Kraft. Die hessische Landesregierung will Nägel mit Köpfen machen: Wer kein Recht auf Asyl erhält, soll bis zur Abschiebung in den Erstaufnahme-Einrichtungen warten. Die meisten Bundesländer wünschen sich allerdings noch weitreichendere Befugnisse.
«Wir brauchen Lage-angepasste Grenzkontrollen besonders zu Tschechien und Polen»: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein.
Das Archivbild zeigt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). Er verspricht, Asylantragsteller ohne Bleibeperspektive abzuschieben.Foto: Britta Pedersen/dpa
Von 28. Februar 2024

Die schwarz-rote Landesregierung von Hessen will offenbar deutlich mehr für die Remigration von Migranten unternehmen, die aus einem sicheren Herkunftsland nach Deutschland gelangt sind und keine Bleibeperspektive haben. Nach Informationen der „Bild“ sollen die Betroffenen künftig nicht mehr auf Städte und Gemeinden verteilt werden, sondern so lange in den Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben, bis sie abgeschoben werden.

Das Boulevardblatt bezieht sich auf eine entsprechende Aussage von Landesinnenminister Roman Poseck (CDU), die dieser am 27. Februar 2024 „in einer internen Schalte mit Kommunen und kommunalen Spitzenverbänden“ gemacht habe.

Poseck plane derzeit, Paragraf 1 des Landeaufnahmegesetzes (LAufnG) zu ändern, nach dem noch immer Bewerber auf die Landkreise und Gemeinden verteilt werden können, obwohl ihr Asylantrag bereits „bestands- oder rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen“ wurde. Das habe die „Bild“ vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) erfahren.

Rhein: „Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt und kein Asylrecht erhält, den schieben wir ab“

Außerdem wolle das Land Hessen die Bundesregierung im Bundesrat auffordern, solche Herkunftsländer von vorneherein als „sicher“ einzuordnen, deren Bewerber in Deutschland nur zu weniger als fünf Prozent als asylberechtigt anerkannt würden. Nach Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF, PDF-Datei) lag die Gesamtschutzquote für alle Staatsangehörigkeiten im Januar 2024 bei 45,1 Prozent. Im Januar 2023 hatte sie noch bei 51,4 Prozent gelegen.

Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte den neuen Abschiebungskurs laut „Bild“ bereits bestätigt:

Konsequenz bei der Migration ist ein zentraler Schlüssel zu Akzeptanz in der Bevölkerung. In Hessen gilt deshalb der klare Grundsatz: Wer Hilfe braucht und ein Asylrecht hat, den nehmen wir auf. Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt und kein Asylrecht erhält, den schieben wir ab.“

Die allermeisten Asylantragsteller überschreiten die deutsche Außengrenze nach wie vor auf dem Landweg. Sie passieren dabei meist eine ganze Reihe von „sicheren“ Staaten. Nach Artikel 16a (2) des Grundgesetzes kann sich ein Bewerber allerdings nicht auf ein Asylrecht aufgrund politischer Verfolgung berufen, wenn er „aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt“ sind.

Die Epoch Times bat die hessische Landesregierung am Vormittag des 28. Februar um Auskunft darüber, ob sich die Bedingung „sicheres Herkunftsland“ ausschließlich auf das Heimatland eines Antragstellers bezieht oder auch auf ein Land, das der Antragsteller auf seinem Weg nach Deutschland durchquert hatte. Außerdem wollten wir wissen, wann genau mit der LAufnG-Änderung und der Bundesratsinitiative zu rechnen ist. Bis zum Redaktionsschluss lag uns keine Reaktion vor.

Nach Informationen des „Focus“ hatte die frühere schwarz-grüne Landesregierung, die ebenfalls von Ministerpräsident Rhein geleitet worden war, ihre Antragsteller auf die hessischen Städte und Gemeinden verteilt, auch wenn ihr Begehr abgelehnt worden war.

Städte- und Gemeindebund sieht Hessen als Vorbild

Marc Elxnat, Rechtsexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, sieht den neuen Kurs der hessischen Regierung nach Informationen der „Bild“ positiv: „Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist die geplante Regelung in Hessen zu begrüßen und erfüllt eine langjährige Forderung von uns“. Aus seiner Sicht sei es „wünschenswert […], wenn alle Bundesländer diesem Beispiel folgen“ würden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Einklang mit seiner Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im Herbst 2023 ebenfalls einen strengeren Umgang mit Migranten ohne Aufenthaltsperspektive angekündigt: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“, sagte Scholz damals in einem „Spiegel“-Interview (Bezahlschranke) vom 20. Oktober. Wenn man die „irreguläre Migration nach Deutschland“ begrenzen wolle, bedürfe es eines „Bündel[s] von Maßnahmen“. Dazu gehörten nach Auffassung Scholz‘ unter anderem die Einführung von Bezahlkarten anstelle von Bargeld und das Angebot an Geflüchtete „gemeinnützige Arbeit“ zu verrichten.

Passiert ist seitdem nach Informationen des „Focus“ nicht viel. „Die Bundesregierung hat bislang praktisch nichts getan, um die Rahmenbedingungen für Rückführungen zu verbessern“, habe etwa ein Sprecher des CSU-geführten bayerischen Staatsministeriums beklagt. Die vergangenen Monate waren von Demonstrationen für den „Kampf gegen rechts“ geprägt, an denen zuweilen auch hochrangige Politiker wie Kanzler Scholz oder Außenministerin Baerbock teilgenommen hatten. Ihnen erscheinen die Abschiebekonzepte speziell von der AfD als übertrieben, wenn nicht als „rechtsextremistisch“.

Rückführungsverbesserungsgesetz endlich in Kraft

Das eigene, lange umstrittene „Rückführungsverbesserungsgesetz“ (BT-Drucksache 20/9463, PDF-Datei) der Ampelkoalition war zwar bereits am 18. Januar 2024 vom Bundestag verabschiedet worden, in Kraft trat es aber gerade erst am 27. Februar 2024. Im Bundesgesetzblatt war die Novelle am 26. Februar 2024 verkündet worden.

Die darin enthaltenen Änderungen der „Ausweisrechtlichen Pflichten“ laut Paragraf 48 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) treten aber erst am 1. August 2024 in Kraft. Ab dann werden es „Ausländer“ akzeptieren müssen, ihre „Datenträger […] einschließlich mobiler Geräte und Cloud-Dienste“ auslesen zu lassen, „wenn es zur Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit erforderlich ist“.

Landesministerien befürchten wenig Besserung

Wie der „Focus“ recherchiert hatte, glaubt aber nur eine Minderheit der 16 zuständigen Landesministerien an einen „tatsächlichen Erfolg“ des „Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung“. „Viele Ministerinnen und Minister“ gingen stattdessen davon aus, dass das Gesetz die vorherrschenden Schwierigkeiten nicht lösen werde. Womöglich bekämen es die Behörden sogar mit noch mehr Problemen zu tun.

In Hessen war es nach „Focus“-Recherchen von Oktober 2022 bis Januar 2024 beispielsweise gelungen, jeden Monat zwischen 72 und 156 unberechtigte Asylbewerber abzuschieben. Im Dezember 2023 seien unter dem Eindruck von Scholz‘ Abschiebe-Bekenntnis 138 Personen abgeschoben worden, im Januar 2024 nur noch 118.

Innenministerium Hessen: „unzureichender erster Schritt“

Eine Sprecherin des Landesinnenministeriums in Wiesbaden habe das Rückführungsverbesserungsgesetz mit seinen „vielen bundesrechtlichen Einzelmaßnahmen“ lediglich als einen „unzureichenden ersten Schritt“ bezeichnet, so der „Focus“. Das Ministerium wünsche sich von der Ampelregierung weniger „Hindernisse“.

Gemeint seien unter anderem Probleme, die Identität beziehungsweise Staatszugehörigkeit der Bewerber herauszufinden. Das wohl größte Hindernis sei allerdings die mäßige Bereitschaft von Herkunftsländern, bereits existente Rückführungs- und Migrationsabkommen umzusetzen. Die „meisten politisch Verantwortlichen“ in den übrigen 15 Bundesländern sehen das laut „Focus“ genauso.

Manche der Länderministerien bemängelten auch den „Anwaltszwang“ des neuen Gesetzes, nach dem ein Pflichtanwalt eine Person ohne Aufenthaltsrecht über ihre bevorstehende Abschiebung informieren müsse. Das bedeute in der Praxis ein „Frühwarnsystem“ für Ausreisepflichtige, was wiederum ihr Untertauchen erleichtere. So habe etwa der sächsische CDU-Innenminister Armin Schuster kritisiert, dass die Grünen „im Bundestag aus dem ursprünglichen Rückführungsverbesserungsgesetz ein Rückführungsverhinderungsgesetz gemacht“ hätten.

Faeser: Weiterhin keine Obergrenze Zahl der Flüchtlinge

Eine klare Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge lehnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser übrigens nach wie vor ab. Dafür bemüht sie sich wie einst Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weiter um eine gemeinsame Ausgestaltung der Migrations- und Abschiebepolitik im Rahmen des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) der EU. Das GEAS soll unter anderem ermöglichen, Asylverfahren direkt an den Außengrenzen der EU durchzuführen. Diese Verfahren sollen vorwiegend bei solchen Schutzsuchenden angewendet werden, deren Asyl-Aussichten von vorneherein als gering eingeschätzt werden.

Bei ihrem jüngsten Treffen mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erneuerte Faeser zudem ihr Versprechen, die deutschen Länder und Kommunen bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration der Schutzsuchenden finanziell zu unterstützen.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) enthalten „die Rechtsakte“ der GEAS-Reform „unterschiedliche Fristen, ab wann sie nach dem Inkrafttreten in den Mitgliedstaaten gelten“. Damit wolle man den EU-Staaten „ausreichend Zeit“ zur Umsetzung gewähren.

Thüringens Landesinnenminister Georg Maier (SPD) kann den Zeitpunkt der GEAS-Umsetzung in Deutschland laut „Focus“ kaum erwarten: „Das würde uns nachhaltiger entlasten.“ Marion Gentges (CDU), die Justiz- und Migrationsministerin von Baden-Württemberg, sähe es noch lieber, wenn Bundesinnenministerin Faeser ihren Widerstand gegen eine Reform der deutschen Visaregelungen aufgeben würde. Ginge es nach Gentges, würde es höhere Gebühren bei der Visavergabe für Staatsangehörige jener Herkunftsstaaten geben, die ihre Landsleute nicht wieder aufnehmen wollten. Die Christdemokratin ist überzeugt: „Bereits die ernste Drohung damit hat das Potenzial, die Rücknahmebereitschaft in diesen Ländern spürbar zu steigern.“



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