Hat Berlin in Washington interveniert? Regierungssprecher drückt sich um klare Antwort

Hat die Bundesregierung alles unternommen, um die USA von der Lieferung von Streumunition an die Ukraine abzubringen? Auf diese einfache Frage gabs in Berlin am Montag keine eindeutige Antwort. Nach der „Oslo-Übereinkunft“ wäre die Regierung verpflichtet, Washington Kontra zu geben.
Ein ukrainischer Soldat dokumentiert in Charkiw die Überreste eines Hauses, das von einer russischen Rakete zerstört wurde.
In der ukrainischen Stadt Charkiw soll es laut Human Rights Watch schon vor Monaten zu Streumunitionsangriffen durch russische Truppen gekommen sein. Das Archivbild zeigt die Überreste eines Hauses, das von einer Rakete zerstört worden war.Foto: Andrii Marienko/AP/dpa
Von 11. Juli 2023

Die Bundesregierung hatte sich schon vor gut 14 Jahren dazu verpflichtet, andere Staaten zur Abkehr von Streumunition zu bewegen. Ob das bei den USA in den vergangenen Tagen konkret versucht worden ist, darauf blieben Regierungsvertreter während der Bundespressekonferenz (BPK) die Antwort letztlich schuldig.

Am Montag, 10. Juli, bemühten sich einige Hauptstadtjournalisten, angeführt von dem YouTuber Tilo Jung („Jung & Naiv“), den Abgesandten der Bundesregierung eine Antwort auf die Frage zu entlocken, ob beziehungsweise in welcher Weise die Bundesregierung sich bereits aktiv bemüht habe, die US-Regierung von der geplanten Streumunitionslieferung an die Ukraine abzubringen. Genau dazu habe sich die Bundesrepublik nämlich bereits im Dezember 2008 mit der Unterzeichnung des „Oslo-Übereinkommens“ international verpflichtet.

Ministeriumssprecher: „Unser Engagement spricht für sich“

Doch Sebastian Fischer, der erstmals in der Rolle des Sprechers für das Auswärtige Amt auftrat, wich einem einfachen Ja oder Nein konsequent aus: „Ich glaube, unser Engagement in dem Oslo-Übereinkommen über Streumunition spricht für sich. Wir haben’s mit initiiert, wir sind dort mit, glaub‘ ich, mehr als hundert Staaten gemeinsam engagiert. Und allein diese hundert Staaten, die wir gewinnen konnten, sich diesem Übereinkommen anzuschließen, zeigen ja, dass unser Einsatz nicht vergeblich gewesen ist bislang.“ (Video auf „YouTube“ ab ca. 13:40 Min.)

Jung bohrte nach: Die Regierung sei nach Artikel 21 Absatz 2 des „Oslo-Übereinkommens“ (PDF) verpflichtet, auch „Nicht-Vertragsstaaten und damit die USA, Russland und Ukraine davon abzubringen und dies auch zu verurteilen“. Die Bundesregierung selbst habe noch im Mai 2023 genau das auf eine Anfrage der Linksfraktion (BT-Drucksache 20/6681, PDF) bestätigt. In der Tat heißt es im Übereinkommen:

Jeder Vertragsstaat notifiziert den Regierungen aller in Absatz 3 genannten Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, seine Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, fördert die Normen, die darin niedergelegt sind, und bemüht sich nach besten Kräften, Staaten, die nicht Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen.“ (Hervorhebung: Epoch Times)

„Die Situation ist, wie sie jetzt ist“

Fischer wich zum zweiten Mal aus: „Sie können sich sicher sein, dass wir zu diesem Thema in den letzten Jahren immer wieder auch mit unseren Partnerinnen und Partnern gesprochen haben. Wir sind ebenso sicherlich immer wieder auch auf die von Ihnen Genannten zugegangen. Aber die Situation ist, wie sie jetzt ist.“

Es gehe nicht um die vergangenen Jahre, sondern um die aktuelle Situation, schaltete sich nun auch der AP-Reporter Frank Jordans ein: „Hat die Bundesregierung in dieser Sache mit der amerikanischen Regierung gesprochen und versucht, die amerikanische Regierung davon abzubringen, Streubomben an die Ukraine zu liefern?“

Von links: BMV-Sprecher Oberst Arne Collatz, Außenministeriumssprecher Sebastian Fischer und Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: Wenig Konkretes bei der Frage, ob die Bundesregierung bereits aktiv gegen die US-Regierung interveniert hat.

Von links: BMV-Sprecher Oberst Arne Collatz, Außenministeriumssprecher Sebastian Fischer und Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: Wenig Konkretes bei der Frage, ob die Bundesregierung wegen einer angekündigten Streumunitionslieferung bereits aktiv gegen die US-Regierung interveniert hat. Foto: Bildschirmfoto YouTube/Jung & Naiv

Fischer wich zum dritten Male aus: „Naja, wir stehen im ständigen Kontakt mit unseren amerikanischen Freundinnen und Freunden. Das wissen Sie, auf allen Ebenen. Durch das Auswärtige Amt, durch das Bundeskanzleramt, natürlich auch durch unsere Botschaft vor Ort. Und für uns gilt, dass wir Vertragspartei des Oslo-Abkommens sind und es deshalb für uns völlig ausgeschlossen ist, Streumunition an andere Staaten zu liefern.“ In Deutschland seien sämtliche Altbestände von Streumunition längst vernichtet und keine weiteren beschafft worden, ergänzte Fischer.

Als Jordans seine Bitte um eine konkrete Antwort erneuerte, wich Fischer zum vierten Mal aus: Das Auswärtige Amt gebe zu „internen Gesprächen“ niemals Auskunft. Er könne allerdings „versichern“, dass „wir […] natürlich zu allen Fragen, die die Ukraine betreffen, auch mit unseren Partnerinnen und Partnern in Kontakt“ stünden.

Jetzt legte wiederum Tilo Jung nach: „Herr Fischer, Sie meinten gerade, das Engagement spricht für sich in Sachen Oslo-Abkommen der Bundesregierung. Das Nichtstun jetzt aber auch.“

Fischer darauf: „Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass wir nichts tun.“ Dann wiederholte er seine Aussage, dass die Bundesregierung sich weltweit für die Ächtung von Streumunition einsetze. Die Außenministerin, der Regierungssprecher und wohl auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) – da war sich Fischer nicht so sicher – hätten sich bereits vor drei Tagen dazu geäußert.

Nur Baerbock übte öffentlich Kritik

In der Tat hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach einem Bericht der „Zeit“ gleich nach Bekanntwerden der Lieferzusage durch die Regierung Joe Biden am 7. Juli in Wien gesagt, sie lehne den Einsatz von Streumunition ab.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit dagegen habe das US-Vorhaben am selben Tag als „legitim“ bezeichnet. Von aktiven Bemühungen, die USA an der Lieferung zu hindern, wurde seitdem nichts bekannt.

Unklar: Liefern die Amerikaner via Deutschland?

Auf eine spätere Frage, ob das Oslo-Übereinkommen es verbiete, amerikanische Streumunition über das Territorium der Bundesrepublik in die Ukraine zu liefern, konnte Fischer „keine abschließende Antwort“ geben. Er wisse auch nicht, ob es dafür Anträge gibt oder überhaupt welche gestellt werden müssten. In jedem Fall gelte das Oslo-Übereinkommen und die „nationale Gesetzgebung“, stellte Fischer klar.

Jung ließ nicht locker. Er wies darauf hin, dass der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) das Oslo-Abkommen seinerzeit „mitverhandelt“ und sogar „gefeiert“ habe und sich nun im konkreten Fall davon zu distanzieren scheine. „Wie bewertet das die Bundesregierung?“

Bundespräsident „nicht im Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung“

Nun übernahm die Stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann das Mikrofon: „Die Bundesregierung sieht die Äußerung des Bundespräsidenten nicht im Widerspruch zu ihrer Haltung.“ Die Ukraine setze die Streumunition ja „zur Verteidigung ihres Territoriums oder zur Rückeroberung ihres Territoriums und zum Schutz ihrer eigenen Zivilbevölkerung“ ein. Russland dagegen setze „schon seit sehr langer Zeit von sich aus Streumunition“ ein, betonte Hoffmann. Das gelte es mitzubedenken, „bei allem, was wir in Verurteilung von Streumunition selbst tun“, mahnte Hoffmann. Ähnlich hatte drei Tage zuvor schon Regierungssprecher Hebestreit argumentiert.

Die Regierungssprecherin konnte spontan auch keine Auskunft darüber geben, wann die Regierung „eigene Erkenntnisse“ über Streumunitionsangriffe der russischen Seite gewonnen habe.

Collatz: „Es gibt keine deutschen Waffen in der Ukraine“

Auch Oberst Arne Collatz, der das Bundesverteidigungsministerium auf der BPK vertrat, sieht offenbar keinerlei Problem darin, dass amerikanische Streumunition in der Ukraine möglicherweise mit Waffensystemen abgefeuert werden könnte, die aus Deutschland stammen. Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ wäre dies technisch auch über das Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem „Mars-MLRS aus deutscher Produktion“ möglich. Deutschland habe solche Geräte bereits im Winter 2022/23 an die Ukraine geliefert.

„Für den Verantwortungsbereich des Geschäftsbereichs sehe ich keinerlei Betroffenheit“, antwortete Collatz auf eine entsprechende Frage von Tilo Jung. Es gebe gar „keine deutschen Waffen in der Ukraine“, betonte Collatz auf Nachfrage, „es gibt ukrainische Waffen mit deutschem Ursprung“. Er sehe das „als völlig andere Verhältnisse“. Die deutschen Panzer in der Ukraine seien ukrainische Panzer: „Wir haben sie der Ukraine gegeben, und die Ukraine ist in Verantwortung.“

Eine Einschätzung zu einer möglichen Eskalation des Kriegsgeschehens durch den Einsatz von Streubomben wollten weder Collatz noch Fischer abgeben.

Auf beiden Seiten schon länger im Einsatz?

Nach einem Bericht des ZDF hatte der ukrainische Vizeregierungschef Olexander Kubrakow schon Mitte Februar 2023 auf der Münchener Sicherheitskonferenz um „Streumunition und Phosphor-Brandwaffen“ nachgefragt.

Im Mai verkündete die Genfer Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass beide Kriegsparteien bereits Streumunition eingesetzt hätten. Russland habe unter anderem in Charkiw und Mykolajiw zu dem Mittel gegriffen, die Ukraine mindestens einmal „in einem Dorf bei Charkiw“. Offiziell bestätigt ist das aber nach einem Bericht der „Tagesschau“ nicht.

Rechtlich unbedenklich, menschlich fatal

Rein rechtlich ist übrigens nichts gegen die Lieferung von Streumunition an die Ukraine durch die USA einzuwenden. Das meint jedenfalls Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), nach einem aktuellen Interview mit dem „Südwestdeutschen Rundfunk“ (SWR): Weder die USA noch die Ukraine noch Russland hätten sich je dem Oslo-Übereinkommen angeschlossen. Deshalb müsse man von einem „legalen Verhalten“ sprechen, „so schwer das auch zu ertragen“ sei.

Kaim geht zudem davon aus, dass der NATO-Gipfel in Vilnius keine konkreten Zusagen über eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und auch keine weiteren Sicherheitsgarantien für Kiew bringen werde. Insofern werde der Gipfel zu einer „große[n] Enttäuschung für die Ukraine“ werden, sagte Kaim voraus.

Die Epoch Times hatte auch den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort steht noch aus.



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